Ausweis für alle – Städte können das

Ein Bankkonto eröffnen, das Kind in der Kita anmelden, einen Arbeits- oder Mietvertrag unterschreiben: für Viele von uns eine Selbstverständlichkeit, weil wir uns ausweisen können. Doch leider gibt es Menschen, auf die das nicht zutrifft. Das will der Verein City Card Biel/Bienne verändern und setzt sich deswegen für eine städtische Identitätskarte für alle ein. Andere sind schon weiter.

Was will die City Card?

Die City Card – nicht zu verwechseln mit den touristischen Citycards – entstammt dem Konzept des «Urban Citizienship», der sogenannten Stadtbürger:innenschaft. Die Idee: Jede Person, die in der betreffenden Stadt arbeitet und lebt, soll Zugang zu den städtischen und privaten Dienstleistungen erhalten. Zugehörigkeit und soziale Rechte sollen nicht vom Nationalstaat abhängig sein, sondern von einer lokalen Verankerung ausgehen. Genau dafür können sich Städte stark machen und dadurch der sonst sehr restriktiven nationalen und internationalen Migrationspolitik etwas entgegensetzen. Die Städte können sogenannte „Laboratorien der Demokratie und Solidarität werden“, wie Soziologin Dr. Sarah Schilliger 2018 in der Vorstudie „City Card Bern“ schrieb.
Etliche Vereine und Institutionen in Biel kennen die prekären Situationen von Sans Papiers gut. Im Alltag bringt ein nicht gesicherter Aufenthalt viele administrative Hürden mit sich: für die Betroffenen, für die Mitarbeitenden von sozialen Institutionen, aber auch für Versicherungen, Arbeitgebende und Wohnraumanbietende. Für alle wäre ein offizielles städtisches Ausweisdokument eine Vereinfachung in der Arbeit. Alle Bieler:innen hätten einen Zugang zu den öffentlichen Dienstleistungen, und die Dienstleistenden müssten keine Nachfragen ablehnen, da sich die Menschen ausweisen könnten, was eine win-win Situation für alle darstellen würde.

Die Bieler Herangehensweise

Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich verschiedene Bieler Vereine und Institutionen wie die Gassenküche, das Sleep-In, die Gassenarbeit, das AJZ, der Verein Alle Menschen tous les êtres humains, der Verein Fair, das Multimondo und die Passerelle zusammengetan, um die Idee der City Card für Biel weiter voranzubringen. Gerade Organisationen, welche Menschen unterstützen, die sonst durch alle Maschen unseres sozialen Sicherungssystems fallen, betrifft die Thematik stark. Obwohl viele Sans Papiers arbeiten und hier leben, sind sie fast täglich mit Hindernissen konfrontiert. Die oft einzige Schwierigkeit oder Hürde für ein ganz selbstständiges Leben ist das fehlende Ausweisdokument und die damit verbundenen Zugänge. Diese Tatsache haben auch Parlamentarier:innen aus dem Bieler Stadtrat erkannt und einen Vorstoss für die Einführung einer City Card in Biel eingereicht. Die Antwort des Gemeinderates: vorerst die Entwicklungen in Zürich abwarten.

Die City Card in anderen Städten

In Zürich wurde die Einführung einer City Card von der Stadtbevölkerung abgesegnet. Die Stadtverwaltung, allen voran Stadtpräsidentin Corinne Mauch, ist nun daran, die Grundlagen zu schaffen, um die City Card in Zürich zu lancieren. Alle städtischen Dienstleistungen, wie Bibliotheken, Hallenbäder oder Kitas sollen mit dieser Karte zugänglich gemacht werden, und die Karte soll an alle Bewohnenden von Zürich ausgestellt werden, damit sich alle damit ausweisen können und niemand ausgegrenzt wird. Auch in anderen Städten wie Bern und La Chaux-de-Fonds laufen Abklärungen für die Einführung einer solchen Karte. Vorbild für das Anliegen ist die Stadt New York, welche bereits über eine gut funktionierende City Card verfügt.
Ergänzend zur City Card haben sich diverse Städte zu «Sanctuary Cities» erklären lassen und Verordnungen verabschiedet, welche verlangen, dass Stadtbeamte keine Auskünfte über den Aufenthaltsstatus verlangen können und keine Informationen weiterleiten. Gewisse europäische Städte haben sich zu Zufluchtsstätten erklärt und bekunden damit, dass sie bereit sind, geflüchtete Menschen in ihrer Stadt aufzunehmen.

Eine symbolische Karte gibt es schon

Während in anderen Schweizer Städten die städtischen Verwaltungen und politischen Entscheidungstragenden bereits nach Möglichkeiten und Lösungen für eine City Card suchen, sind die Behörden in Biel nicht aktiv. Deshalb hat sich der Verein City Card Biel/Bienne konstituiert und engagiert sich nun von der Basis her für das Anliegen. Bereits haben die Engagierten eine City Card lanciert, welche bis jetzt zwar nur symbolischen Charakter hat, jedoch ein starker Ausdruck für die Forderung nach einer anerkannten City Card ist. Jede Person, die eine solche Karte erwirbt, unterstützt das Projekt und zeigt sich solidarisch. Die Karte kann im Moment im «Der ORT» in Biel und im «Haus pour Bienne» bezogen werden.

 Am 1. Juni fand eine Podiumsdiskussion zu Urban Citizenship und dem Stand der Dinge betreffend Einführung einer City Card statt. Eine wichtige Botschaft aus dieser Veranstaltung nehmen wir mit: Für die Einsetzung einer City Card ist die Bereitschaft und die Motivation der Behörden, zu handeln, entscheidend. Somit bleibt dem Verein City Card Biel/Bienne die Aufgabe der Sensibilisierung zuteil, und, den politischen Druck aufrecht zu halten, um zusammen das Ziel zu erreichen: Eine inklusive Stadt, wo sich Menschen willkommen und zu Hause fühlen.

Beispiele für die Umsetzung von Urban Citizenship sind erstens Politiken und Praktiken, bei denen sich Städte aktiv nationalstaatlichen Migrationspolitiken widersetzen und ihre Bewohner*innen vor Abschiebungen schützen. Verankert sind solche Politiken (verstärkt seit der Präsidentschaft Trumps) insbesondere in den mehreren hundert «Sanctuary Cities» im nordamerikanischen Kontext: In diesen Städten wurde eine Resolution oder Verordnung verabschiedet, welche Stadt- oder Strafverfolgungsbeamten ausdrücklich verbietet, sich über den Aufenthaltsstatus zu erkundigen und/oder mit (nationalen) Migrationsbehörden zu kooperieren (de Graauw 2014, 2021, Bau- der/Gonzalez 2018, Kaufmann 2019 zitiert in Sarah Schilliger, 2018)

Züri City Card, Projektwebsite
City Card Bern, Umsetzungskonzept

Text:
Anna Tanner ist Stadt- und Grossrätin und engagiert sich im Verein City Card Biel. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin in der
Opferhilfe.

Foto:
Andreas Bachmann