Bauern am Limit: Viel Arbeit, wenig Lohn, kaum Wertschätzung

Suizide sind in der Landwirtschaft häufiger als in anderen Berufsgruppen. Nicht wenige Bauern laufen am Limit, immer mehr Höfe werden aufgegeben. Was die Gründe dafür sind und welche Bemühungen unternommen werden, dieser alarmierenden Situation beizukommen, darum geht es in diesem Beitrag. 

Die intensiven Bemühungen, derart systemrelevante Berufsgruppen besser vor Burn-Out und Überlastung schützen, sind eindrücklich. Dabei bleibt wie immer wichtig, die Schicksale einzeln zu betrachten und aus ihrer Biographie und ihrem Milieu besser verstehen zu lernen.

2018 untersuchten erstmals Forscher der Universität Bern im Rahmen einer Nationalfondstudie die zunehmende und alarmierende Suizidrate unter Bauern mit Daten von 90’000 Landwirt*innen. Zwischen 1991 und 2014 nahmen sich 447 von ihnen das Leben. Laut der Studie haben Bauern ein um 37% höheres Suizid-Risiko als andere Berufsstände. Für Franziska Feller, Präsidentin des Netzwerks Mediation im ländlichen Raum, wurde deutlich, «dass viele ältere Bäuerinnen und Bauern mit der Digitalisierung und zunehmenden Bürokratie nicht zurechtkommen». Jungen Landwirten hingegen mache die hohe Arbeitslast Sorgen, die dennoch kaum genug Geld zum Überleben einbringe.

Dabei bleibt wie immer wichtig, die Schicksale einzeln zu betrachten und aus ihrer Biographie und ihrem Milieu besser verstehen zu lernen. Die intensiven Bemühungen, derart systemrelevante Berufsgruppen besser vor Burn-Out und Überlastung schützen, sind eindrücklich. Besonders betont werden muss die «Sentinelle Vaud – Promotion de la Vie», die seit Ende 2015 im Kanton Waadt die Früherkennung und Frühintervention zur Suizidprävention in der Landwirtschaft fördert. Dies mit Hilfe von sogenannten Sentinelles (Wachposten). So werden aus dem bäuerlichen Umfeld – etwa Tierärzt*innen, Besamer*innen und Kontrolleur*innen ausgebildet, um auf den Höfen Krisensituationen und Suizidgefährdung zu erkennen und persönlich aktiv werden zu können. Das Konzept stammt aus Kanada und wurde im Kanton Waadt durch Prométerre, dem Amt für Landwirtschaft und Weinbau sowie den Landeskirchen aufgebaut. Das Projekt «Sentinelle Vaud – Promotion de la Vie» entstand aus dem politischen Willen des Staatsrats M. Leuba, Leiter des Departements für Wirtschaft und Sport, und des Leiters der Generaldirektion für Landwirtschaft, Weinbau und Veterinärwesen DGAV, M. Brand, die Einführung eines Instruments zur Unterstützung von Landwirten in Schwierigkeiten zu ermöglichen.

80’000 Bauernhöfe und Landwirtschaftsbetriebe gab es in der Schweiz im Jahre 1996, zwanzig Jahre später noch etwas mehr als deren 50’000. Die Bauernhöfe, die weiterbestehen, werden tendenziell immer grösser. Die Revision der Standardarbeitskraft (SAK) im Agrarpaket 2016 ermöglichte bäuerlichen Kleinbetrieben an der Definition eines landwirtschaftlichen Gewerbes festzuhalten und weiter dem bäuerlichen Bodenrecht und Erbrecht zu unterstehen und Investitionskredite erhalten zu können. Mit dem Einbezug von landwirtschaftsnahen Tätigkeiten in die Bemessung der Betriebsgrösse, etwa Direktvermarktung, Anbau von Weihnachtsbäumen, Umweltdienstleistungen und Agrotourismus, konnten kleinere Bauernhöfe so ihr Überleben sichern.

Im November 2022 hat die Kleinbauernvereinigung uniterre die Petition «Jeder Hof zählt – jetzt das Hofsterben stoppen!» mit 13’367 Unterschriften eingereicht, die den Bundesrat dazu auffordert, konkrete Massnahmen gegen das Hofsterben zu ergreifen und eine kleinstrukturierte, bäuerliche und vielfältige Landwirtschaft zu fördern. Auf ihrer Webseite schreibt uniterre deutlich: «In ökologischer, aber vor allem in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht scheitert die schweizerische Agrarpolitik. Die bäuerliche Landwirtschaft ist gefangen im Würgegriff zwischen Wettbewerb und Preisdruck, Freihandel, der Forderung nach mehr Unternehmertum, Tierwohl und dem berechtigten Ruf nach mehr Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit. Die Preise für Produktionsmittel und Investitionen steigen stetig, während die Verkaufspreise weit hinter den Produktionskosten zurückbleiben. Das Ergebnis: Täglich werfen 2 – 3 Betriebe das Handtuch.»

Der Schweizer Bauernverband betont, dass die Betriebsführung in der Landwirtschaft nicht einfacher wird, der wirtschaftliche Druck hoch ist, der Beruf technisch wie bürokratisch immer anspruchsvoller wird. «Viele Bauernfamilien sind so damit beschäftigt, den Kopf über Wasser zu halten, dass sie jegliche neue Auflagen an die Landwirtschaft ablehnen», schreibt er auf Anfrage und weiter: «Denn diese bedeuten meist mehr Arbeit, weniger Ertrag, schlechteres Einkommen. Wer also finanziell schon in Schieflage ist oder Tag und Nacht arbeitet, der hat kein Verständnis für so was. Denn es ist schon länger Usus, die Schrauben für die Landwirtschaft anzuziehen, ohne dass Entschädigung über die Direktzahlungen für die erbrachten Zusatzleistungen auch zusätzlich entschädigt sind. Die Gesamtsumme der Direktzahlungen ist seit Jahrzehnten gleich.» – Ausserdem erklärt der Bauernverband: «Es reicht heute nicht mehr, ein Flair für Tiere und den Anbau der Kulturen zu haben. Vielmehr muss man viel Technik beherrschen, den Dreh bei der Buchhaltung und der Büroarbeit raus haben und ein gewiefter Verkäufer sein.“ Erschwerend komme hinzu, dass Arbeit und Privatleben räumlich nicht getrennt seien: „Das fördert zwischenmenschlichen Spannungen z.B. in der Beziehung.“ Auf einem Hof lebten oft mehrere Generationen und man sei aufeinander angewiesen. „Doch nicht immer stimmt die Chemie zwischen allen.“

Zu alledem sei es in der Branche noch wenig Usus, sich bei Problemen Hilfe zu suchen. Suiziden lägen oft mehrere «Baustellen» zugrunde. „Viele sprechen gar nie über ihre Nöte und Sorgen, und erst wenn sie das tun, dann kann auch wegen Unterstützung geschaut werden.“

Text:

Alain Bopp ist Autor und Künstler, im Vorstand der City Card Biel/Bienne, in der Marketing AG als Gründungsmitglied der LeihBARàObjets, und initiierte gerade den gemeinnützigen Verein zur politischen Partizipation und kulturelle Bildung namens FREIE MITTE – CENTRE LIBRE.

Weiterer Beitrag zum Thema online:
www.vision2035.ch/sorgentelefon (Artikel ist noch nicht online)
Ein Gespräch mit Andri Kober, Präsident des Bäuerlichen Sorgentelefons, der seit bald 30 Jahren LandwirtInnen in ihren beruflichen und persönlichen Schwierigkeiten begleitet.

Anlaufstellen:

Das Bäuerliche Sorgentelefon ist ein Hilfsangebot für Bäuerinnen, Bauern und ihre Angehörigen sowie alle anderen in der Landwirtschaft tätigen Menschen in schwierigen Situationen. Dreimal in der Woche ist die Nummer 041 820 02 15 betreut: Montag 8.15-12h, Dienstag 13-17h und Donnerstag 18-22h.

Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband vermittelt Fachpersonen in Fällen von Familienkonflikten und Scheidung unter 0795202787.

Das Netzwerk Meditation ist erreichbar unter www.hofkonflikt.ch, 0319410101 und 078790404

Hilfe in Not bietet auch die Dargebotene Hand unter der nummer 143.

Der erste Schritt zur Selbsthilfe ist meist bereits ein offener Zuhörer, der qualifiziert und ernsthaft auf einen hilfebedürftigen Menschen eingeht, und womöglich beratend und zuhörend, den Anrufer auf neue Ideen und Möglichkeiten bringt.