Bieler Sachplan Velo – alter Wein in neuen Schläuchen?
2020 war – allen Krisen zum Trotz – für Velofahrer*innen ein gutes Jahr. Überall auf der Welt wurden Pop-Up Radwege gebaut oder Parkplätze in Velowege umgewandelt. Und in Biel? Ein behördenverbindlicher Sachplan Velo 2035 mit 80 Massnahmen ist seit letztem Jahr in Arbeit. Doch was taugt er und wie beeinflussen ihn die Erkenntnisse aus dem Westast-Dialog? Mit welcher Strategie wird Biel von einer Autostadt zur Velostadt? Eine Auslegeordnung.
Das Gute zuerst: Nach jahrelangen Diskussionen, mehreren Grossdemos und einem intensiven Westast-Dialog ist klar; das Betonmonster mit Anschlüssen im Stadtzentrum und 15 Jahren Bauzeit wird nicht gebaut. Auch ursprüngliche Befürworter*Innen wie Stadtpräsident Erich Fehr oder wirtschaftsnahe Kreise haben die Zeichen der Zeit erkannt. In den ab-schliessenden Empfehlungen zum Westast-Dialog wurde von fast allen politischen Seiten die Forderung nach einer konsequenten Förderung des Velos im urbanen Umfeld unterstützt. Die Velo- und Fussverkehrsachsen entlang der Gewässer begeistern und führen zur Frage: Wann geht es los mit der konsequenten Förderung?
Pop-Up-Velowege. Warum nicht in Biel?
Genf, Lausanne und sogar Fribourg haben es gezeigt: Mittels temporärer Verordnungen sind im Frühling / Sommer 2020 rasch und unbürokratisch Pop-Up-Velowege gebaut worden, welche nun nach und nach in dauerhafte Velowege umgebaut werden. In Biel sei dieser Weg geprüft und verworfen worden, lautet es aus der Bieler Verkehrsplanung. Als oberster Verkehrs-planer weist Erich Fehr darauf hin, dass es eine behördenverbindliche Planung brauche, sonst pfeife der konservative Kanton Bern zu eifrige Stadtplaner*innen zurück. Doch zeigt gerade die Bundeshauptstadt Bern auf: wo ein Wille mit einer Galionsfigur wie Ursula Wyss (und eine Velo-Offensive) ist, ist auch ein Weg.
Rot grüne Mehrheiten – aber für was?
Die Bieler Bevölkerung hat die Veloinitiative im September 2018 (Bundesbeschluss über die Velowege sowie die Fuss- und Wanderwege) mit einem grossen Mehr von 82,12% angenommen. In Zürich wurde im September 2020 eine Initiative für 50 km Velowege mit 80% angenommen. Auf den ersten Blick scheint es nicht verständlich, weshalb bei solch klaren Mehrheiten nicht mehr geschieht im Bereich des Langsam- und insbesondere des Veloverkehrs. Haben die Bieler Grünen und Sozialdemokrat*innen vielleicht sogar Angst vor zu viel Aktivismus? Oder anders gefragt: Was bräuchte es genau, damit konsequent 30er-Zonen und abgetrennte Velowege gebaut werden? Tatsächlich ist es nicht so, dass die linken Stadtratsfraktionen untätig sind. Vieles wurde mit diversen Anträgen gefordert: Velobahnen bzw. -strassen, eine Transportvelostadt, bessere (Velo)-Schneeräumung, und viele andere mehr. Einiges davon wurde ange-nommen, allen Anträgen deren Wichtigkeit anerkannt. Passiert ist jedoch wenig bis nichts.
Zuerst die Autobahn, dann der Veloweg: Planen ist das Zauberwort
Hier kommt der springende Punkt – seit gefühlt 25 Jahren sprechen die Exekutivpolitiker*innen und ihre Stadtverwaltung von kommenden Velowegen und Fussgängerparadiesen. Taten sind, vielleicht mit Ausnahme der durchaus gelungenen Schüssinsel, nicht viele auszumachen. Und gar dort gibt es einen Wermutstropfen: die Breite der Schüssinselbrücken entspricht leider nicht mehr der Norm, sie sind darum zu schmal für Velos geworden. Wie dem auch sei, seit Jahren sind Massnahmen für die Veloinfrastruktur versprochen und mit dem Hinweis auf wahlweise die flankierenden Massnahmen zum Ostast oder auf den (nicht mehr) kommenden Westast zurückgestellt. Die Gesamtmobilitätsstrategie 2035 (GMS) wäre ein gutes Beispiel für ein gut klingendes Konzept, das jedoch auf der unverbindlichen Meta-Ebene feststeckt. Wenn es wirklich darauf ankommt, wenn also zum Beispiel Leitungen von Strassen saniert werden müssen, dann bleibt alles beim Alten, wie bei der Neumarktstrasse oder Güterstrasse bewundert werden kann. Es bleiben sowohl die Parkplätze bestehen und Bäume werden keine gepflanzt (Güterstrasse). Oder die Strasse wird verbreitert und Abbiegemöglichkeiten für Velos gibt’s nur wegen den Einsprachen von PRO VELO (Neumarkstrasse). In solchen Situationen stellt sich die Frage: Wird die Verkehrsplanung eigentlich für Menschen und ihre Bedürfnisse gemacht? Wie viele Abstimmungen mit 70 – 80% Zustimmung fürs Velo braucht es noch, bis die Exekutivpolitiker und die Stadtverwaltung mutige Ideen umsetzen? Für einen grünen Umbau der Stadt reichen gute Konzepte und ein paar Öko-Labels leider nicht.
Was kann der Velosachplan?
Kommen wir zum Velosachplan, der hier die Problematik verdeutlichen soll: Im Rahmen der bereits erwähnten Gesamtmobilitätsstrategie 2035 soll der motorisierte Verkehr plafoniert werden und sollen ÖV, Fussgänger und Veloverkehr gefördert werden. Dazu werden jeweils eigene Sachpläne ausgearbeitet. Beim Velosachplan werden einerseits verbindliche Massnahmen und Standards beschlossen, was zu begrüssen ist. Viele der 80 Teilmassnahmen sind vage formuliert und lassen viel Spielraum offen in Bezug auf Termine und Priorisierung. Auch kann der Eindruck gewonnen werden, dass der Sachplan aus vielen einzelnen Stücken besteht und unterbruchsfreie Verbindungen fehlen. Auch nimmt Biel die Gelegenheit nicht wahr, eine Vorreiterrolle einzunehmen und Velostrassen einzuführen. Vom motorisierten Verkehr losgelöste Hauptverbindungen fürs Velo auf den Hauptach-sen Nord-Süd, West-Ost, wir denken hier an eine Velo-Allee vom See bis zur Omega, fehlen. Ebenso verbindliche Zielsetzungen, 20% Anteil Veloverkehr (Modalsplit) bis 2035 oder eine Reduktion von 50% bei den Unfallstatistiken.
Die Kosten und die heilige Kuh!
Stadtpräsident Erich Fehr outet sich regelmässig als grosser ÖV-Fan. Das finden wir gut, wünschen uns aber ein ebenso grosses Statement zum Velo- und Fussgängerverkehr. Darf Veloförderung auch etwas kosten und was bringt diese den Einwohner*innen? Nun, Velofahren ist erwiesenermassen gesund und gesunde Menschen sind weniger häufig krank. Eine attraktive, entschleunigte Innenstadt mit Sitzplätzen im Freien oder Parkanlagen, wie sie nun in Zeiten von Corona besonders wichtig wären, bringt Kundenfre-quenzen für Läden, Geschäfte und Restaurants. Im Jahr 2021 sollte auch klar sein, dass Besucher*Innen von Ausserhalb nicht zum Auto-Gucken in die City kommen.
Auch die ewige Nörgelei der fehlenden Parkplätze wegen ist nicht glaubwürdig, sind doch die für viele Millionen erbauten städtischen Parkhäusern kaum je voll ausgelastet. Über den städtebaulichen Preis für das Altstadtparking und die Esplana-de-Betonmaus lässt sich dann auch noch streiten.
Es lässt sich feststellen, dass trotz Sachplan die Stadt Biel kaum zu einer Velostadt wird; das Problem liegt trotz progressiver Mehrheit offensichtlich bei den Prioritäten der Exekutive und ihrer Verwaltung.
MatthiasRutishauser ist Geschäftsleiter von Pro Velo Biel/Bienne-Seeland-Jura bernois und langjähriger Aktivist für Kultur und Nachtleben. Und seit 2016 im Vorstand des Terrain Gurzelen.