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Buchtipp: Rich Lands of Poor People – Reiches Land armer Leute

Über die Machenschaften des Holcim-Konzerns im indischen Bundesstaat Chattisgarh.

Gerade passend zum aktuellen Geschehen rund um die erste ZAD (siehe Text “Orchidées contre béton armé”) erschien im letzten Herbst das Klick-Reportagemagazin #1 mit einer ausführlichen und persönlichen Bild- und Textreportage von Karin Scheidegger. 2013 und 2014 reiste sie in den indischen Bundesstaat Chattisgarh, um dort im Auftrag eines Zürcher Ethnologen Bilder einer indischen Zementfabrik zu schiessen.

Vorausgegangen war dem im April 2012 eine Ausstellung zum hundertjährigen Holcim-Firmenjubiläum im Berner Kunstmuseum, unter dem schönen Titel «Industrious», zu deutsch soviel wie «fleissig, arbeitsam» und alles gesponsert von Holcim selbst. Der preisgekrönte Starfotograf Marco Grob hatte ein Budget von 100’000 Franken zur Verfügung. Zusammen mit den beiden anderen Fotografen David Hiepler und Fritz Blunier entstunden schöne Bilder, welche die firmeneigene PR unterstreichen sollten, denn Holcim gibt sich gerne als nachhaltiges, umweltbewusstes und soziales Unternehmen aus, was ein unkritischer Blick auf die Holcim-Website durchaus beweisen könnte.

Weshalb Chattisgarh gemäss «Reporter ohne Grenzen» zu einem der weltweit gefährlichsten Orte für Journalist*innen zählt, wird in Scheidegger’s Erzählung deutlich. Chattisgarh ist ein eigentlicher Schauplatz verschiedenster Kämpfe zwischen Ureinwohner*innen, Kastenlosen, Naxaliten, Sicherheitskräften, staatlich finanzierten Bürgermilizen und einer rücksichtslosen Industrie, welche Natur und Menschen rücksichtslos ausbeutet, die Bauern enteignet und ihnen das Wasser abgräbt, sich nicht um Menschenrechte kümmert, ganze Dörfer von Ureinwohner*innen auslöscht und jegliche Kritik oder Widerstand an ihren Geschäftsmodellenmit allen Tricks der Mächtigen, häufig in Zusammenarbeit mit der Polizei und notfalls auch mit Auftragskillern unterdrückt. Seit sich Holcim im Jahre 2005 in den indischen Markt eingekauft hat, ist sie Teil dieses unmenschlichen Trauerspiels.

«Im Verhaltenskodex für Lieferanten legen wir die weltweiten Standards

in den Bereichen Umwelt, Gesundheit, Sicherheit und soziale Verantwortung fest,

die all unsere Lieferanten erfüllen müssen.»

(Zitat von Holcim-Website)

Karin Scheidegger spricht in Chattisgarh mit den verschiedenen Akteur*innen der ganzen Konflikte: sie portätiert betroffene Leiharbeiter*innen, Arbeitslose, Aktivist*innen, Gewerkschafter*innen, Menschenrechtler*innen und Anwält*innen in Wort und Bild. Sie macht aber auch Bekanntschaft mit brutalen Sicherheitskräften, mit der Polizei und schafft es sogar ins indische Fernsehen. 2016 wird ihr allerdings begründungslos die erneute Einreise nach Indien verweigert. Vermutlich hat Karin Scheidegger etwas «zuviel Interesse an einem Thema gezeigt, das indische Behörden nicht gerne von ausländischen Medien beleuchtet sehen».

Nach der Lektüre des Magazins erscheint der Hochglanz-Werbetext auf der Schweizer Holcim-Website wie blanker Hohn. Wer immer nach Quellen und konkreten Belegen für all die Anschuldigungen gegen Konzerne ruft: in diesem Magazin gibt’s reichlich davon. Gut möglich, dass Karin Scheidegger’s Beitrag zur Konzernverantwortungsinitiative mit dazu beigetragen hat, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung die Konzerne an die Leine nehmen wollte. Man darf hoffen, dass der Widerstand gegen die Ungerechtigkeiten weiter wächst, wie auch das Mitgefühl mit Menschen am anderen Ende der Welt, die zwecks Profitsteigerung wie Sklav*innen ausgebeutet werden und man darf auch hoffen, dass früher oder später die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Wie nachhaltig, umweltbewusst und sozial der Holcim-Konzern wirklich ist, können wir aktuell quasi aus der Nähe und live bei ihrem Umgang mit der ZAD de la Colline mitverfolgen.

Andreas Bachmann,  Redaktion Vision 2035, schätzt kritische Blicke hinter schöne PR-Fassaden.

Klick – Reportagemagazin #1,

Karin Scheidegger: «Rich Lands of Poor People», 09/2020, ISBN 978-3-033-08067-6

www.karinscheidegger.ch/klick

-> Ein Exemplar des Magazins kann am «ORT» (Marktgasse 34, Biel) eingesehen/ausgeliehen werden.

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