Die Römerquelle: Denkmal und Unort zugleich

Ohne die Römerquelle – das darf man füglich behaupten – gäbe es Biel nicht.
Während Jahrtausenden hatte sie ihren Kalk an der warmen Erdoberfläche abgelagert und einen Hügel gebildet, der sich als idealer Siedlungsplatz anbot und auf dem Biel entstand. Jahrhunderte lang versorgte sie dann die Stadt mit frischem Trinkwasser. Heute hat sie weitgehend ausgedient. Doch ihre historische Bedeutung hat sie damit keineswegs verloren.

Es ist kein attraktiver Ort. Ein steiler Pflasterweg zwischen Technikum und christkatholischer Kirche, daneben eine Mauer und ein Wassergraben. Dann ein rutschiges Kiesweglein, ein hoher Absatz, ein kleine Matte mit verschmutzten Steinbänken. Nebenan, versteckt hinter einer von Schlitzen durchbrochenen Blechwand und einer kleinen Eisentüre, ist sie verborgen: die Römerquelle, oder wie sie früher hiess, die Brunnquelle.

«Ein gut küller Quellbrunn lobesan,
Das beste Wasser tut er han,
Das fleusst durch die Reben in die Statt,
Darin man hat
Viel köstliche Brünnen zugericht,
Daraus das Wasser herfürbricht,
Dem Stadtvolck zur grossen
Nutzbarkeit,
Denn weit und breith
Wirt nit gefunden dessen gleich,
In manchem Land und Königreich.»

So besang der Bieler Chronist Augustin Verresius 1624 die Quelle. Auch Albrecht von Haller lobte ihr gutes Wasser und verlieh ihr damit eine gewisse Berühmtheit. Tatsächlich war sie für die Stadtbevölkerung von elementarer Bedeutung.

Für viele Städte war die Wasserversorgung ein grosses Problem. Fluss- und Seewasser war oft verschmutzt. Um zu sauberem Wasser zu gelangen, mussten tiefe Sodbrunnen gegraben oder Regenwasser in Zisternen gesammelt werden. Biel hingegen verfügte mit der Brunnquelle das ganze Jahr hindurch, sommers wie winters, über reichlich frisches Trinkwasser. Es wurde über hölzerne Leitungen (Teuchel) zu den neun öffentlichen Brunnen der Stadt geführt – darunter die noch heute existierenden Figurenbrunnen in der Altstadt. Dort holten die Stadtbewohner das Wasser für Küche und Werkstatt. Seit dem 16. Jahrhundert gab es auch private Brunnen. Noch immer werden einzelne Brunnen in den Innenhöfen der Altstadt mit Römerquellenwasser gespeist. Aber die öffentlichen Brunnen sind längst abgehängt und am städtischen Wassernetz angeschlossen.

Am Anfang war die Quelle

Quellen, als Ursprung des Wassers empfunden, hatten immer eine besondere Anziehungskraft. Als 1846 bei Bauarbeiten in der Brunnquelle einige Hundert spätrömische Münzen (1. Jh. – 4. Jh.) zum Vorschein kamen (daher der Name «Römerquelle»), war man sich einig, dass sich hier eine Kultstätte befunden haben musste, wo einer Quellgottheit Opfermünzen dargebracht wurden. 1902 hat der Sprachforscher Johann Stadelmann die Herkunft des Ortsnamens «Biel/Bienne» untersucht und ihn auf ein romanisches Wort Beelna zurückgeführt. Hinter diesem Namen stehe der gallorömische Gott Belenus, der in der Brunnquelle verehrt worden sei. Seither ist es stadtbekannt: Biel hat seinen Namen vom keltischen Sonnengott, der in der Quelle verehrt wurde. Auch ich habe das mit den entsprechenden Erläuterungen bei meinen Stadtführungen immer erzählt. Im Rahmen der 2013 erschienenen «Bieler Geschichte» hat aber der Archäologe und Kulturhistoriker Laurent Auberson diese These mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt und führt den Namen auf die keltische, ursprünglich indoeuropäische, Wortwurzel belo- zurück, was «stark, mächtig» bedeutet und auch in Belenos enthalten ist. Auch der Namensforscher Andres Kristol, Professor an der Universität Neuenburg, hat sich dieser Kritik angeschlossen. Dem Stadtnamen liegt, so die beiden Forscher, eine weibliche Namensform Belena zu Grunde, die sich sehr wohl auf die Quelle beziehen kann, nämlich die «starke, mächtige» Quelle. Es wird nicht leicht sein, die schöne Legende vom keltischen Sonnengott aus den Köpfen der Bielerinnen und Bieler zu verbannen.

Sonderfall Römerquelle

1854 war berechnet worden, dass die Römerquelle viermal mehr Wasser liefere, als die Stadt benötige. Dennoch konnte es bei grosser Trockenheit vorkommen, dass die privaten Bezüger kaum noch Wasser erhielten, weil die öffentlichen Brunnen zuviel davon verbrauchten. Ein diesbezügliches Rechtsgutachten sprach sich 1872 zu Gunsten der Privatbezüger aus. Angesichts der starken Zunahme der Bevölkerung sah sich die Stadt veranlasst, zusätzliche Quellen zu erschliessen. Fündig wurde sie in der Gemeinde Plagne, von der sie 1875 die Schwarzbrünnli- oder Merlinquelle erwarb. In einer 4,1 km langen Leitung wurde das Wasser zum Reservoir im Mahlenwagwald und von dort ins Verteilnetz der Stadt geleitet. Nun konnten die Haushaltungen mit Wasser versorgt werden. Die Römerquelle wurde weiterhin als Trinkwasser genutzt und war dem Wassernetz angeschlossen. Die privaten Bezüger des Römerquellenwassers in der Altstadt und im Pasquart hatten, wie seit jeher, einen Wasserzins zu entrichten. 1918 endeten erneute Differenzen zwischen den Inhabern der Brunnenrechte und der Einwohnergemeinde vor Gericht. Zwei Jahre später einigten sich die beiden Parteien in einem Vergleich. Ein auf hundert Jahre ausgelegtes Brunnenreglement bildet seither die Grundlage für den privaten Wasserbezug aus der Römerquelle (zu finden unter www.roemerquelle.org)

Wasserqualität

Auch wenn das Wasser der Römerquelle hoch gelobt und ihm mitunter sogar Heilwirkung angedichtet wurde, so kam es bei extremen Ereignissen doch zu schweren Verschmutzungen. Nach dem Erdbeben von Lissabon 1755, so wird berichtet, seien alle Brunnen trüb geflossen, was zuvor nie, seither aber bei grossem Regen immer wieder vorkomme. Und auch nach einem Erdbeben in der Neujahrsnacht 1834, so heisst es in der Chronik von Gustav Blösch,

«floss das Wasser der grossen Brunnquelle plötzlich lettfarbig und in solcher Menge, dass die Brunnentröge überflossen. Man fand die Quelle wie mit einem dicken Brei bedeckt und sehr bewegt und aufwallend. Neben der Hauptquelle bildete sich ein zweiter Strom, der sich nach der Untergasse hinabdrängte, solche überschwemmte und mit Schutt überdeckte. Die Bachquelle vor dem Oberthor wurde dagegen von diesem Ereigniss nicht im Mindesten berührt; das Wasser blieb nach wie vor hell und klar. Sämtliche Bewohner der Stadt mussten das Wasser für ihren Gebrauch und das Vieh dort holen bis zum 8. Januar, wo sich die Brunnquelle wieder läuterte.»

Gelegentliche Vorkommen von Kolibakterien und anderen Keimen wiesen darauf hin, dass das Einzugsgebiet der Römerquelle Verschmutzungen ausgesetzt ist und das Wasser bis zur Quelle einen zu kurzen Weg zurücklegt, um auf natürliche Weise völlig gereinigt zu werden. Woher die Quelle ihr Wasser bezieht, konnte nie festgestellt werden.

«Am merkwürdigsten ist unter den Seltenheiten in und um Biel die Quelle, deren Umfang kein Sterblicher erforscht hat und vielleicht auch nie erforscht wird»,

schrieb schon 1790 der Göttinger Professor Christoph Meiners. Färbungsversuche verliefen ergebnislos.

Seit 1991 ist die Römerquelle nicht mehr am Trinkwassernetz angeschlossen. Dennoch überwachte das Stadtchemikeramt bis 2002 ihre Wasserqualität. Im Rahmen einer Reorganisation der Stadtverwaltung wurde das Stadtchemikeramt aufgelöst und die Kontrolle der Wasserqualität dem Energie Service (ESB) übertragen. Seither kümmert sich kaum noch jemand regelmässig um die Quelle. Die Trinkwasserverschmutzung in La Neuveville von 1998, die eine Magen-Darm-Epidemie auslöste, schreckte auf. Die Bezüger der Römerquelle mussten ihre Brunnen als «kein Trinkwasser» beschildern. Es liegt auf der Hand, dass die Einrichtung einer Entkeimungsanlage nicht im Verhältnis zur Nutzbarkeit der Römerquelle stünde. Immerhin ist die Quelle aber dem kantonalen Messsystem angeschlossen und im Internet kann ihr Wasserstand jederzeit abgerufen werden.

Neues Leben für die Quelle?

Im Frühling 2017 floss aus den Gartenbrunnen der Römerquelle an der Seevorstadt plötzlich kein Wasser mehr. Ein Stück der Wasserleitung war bei Bauarbeiten beschädigt worden. Da 2020 der Vertrag zwischen der Stadt und den Wasserbezügern der Römerquelle ausläuft, sollte sie nicht repariert und der Vertrag nicht mehr erneuert werden. Das rief die rund 20 Wasserberechtigten auf den Plan. Gleichzeitig verlangte ein stadträtliches Postulat:

«die Römerquelle in geeigneter Weise und in beschränktem Rahmen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ihre Umgebung aufzuwerten, die ganze Anlage durch eine Einzäunung zu schützen sowie Informationen zur Bedeutung der Quelle anzubringen.»

Eine ähnliche Motion von 2004 war 2012 abgeschrieben worden. Schon 1956 hatte sich Hans Schöchlin, der Direktor des Technikums, dafür eingesetzt, dass der Überlauf der Römerquelle für eine Wasserkunst verwendet und eine öffentlich Anlage geschaffen werden sollte. Inzwischen ist die Leitung repariert, die Brunnen an der Seevorstadt fliessen wieder. Künftig soll eine Genossenschaft der Wasserbezüger, deren Gründung bevorsteht, dafür sorgen, dass das Wasser der Römerquelle weiterhin genutzt wird und nicht einfach «bachab» geht. Das aktuelle Postulat wurde für erheblich erklärt und harrt noch der Behandlung. Meint es der Gemeinderat ernst, so besteht immerhin die Hoffnung, dass die Erinnerung an die historische Bedeutung der Römerquelle nicht vergessen geht.

Wie sogar eine genutzte Trinkwasser-Quellfassung attraktiv gestaltet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, hat die Burgergemeinde Pieterlen bei der Kirchfluhquelle vorgemacht. Eine Besichtigung ist auf Anfrage bei der Burgergemeinde möglich. Auch gibt es einen Erlebnispfad Wasser.

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Bildlegende zu Stich (Titelbild):

1758 hat der Zürcher Kupferstecher und Verleger David Herrliberger der Bieler Brunnquelle in seiner Topographie der Eidgenossenschaft ein Denkmal gesetzt. Die Zeichnung dafür lieferte ihm der Bieler Arzt Friedrich Samuel Neuhaus. Aus der Kunstsammlung der Stadt Biel

Margrit Wick-Werder, Dr. phil., Historikerin und Museologin, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der älteren Bieler Geschichte. Die «Brunnquelle», mit der alles begann, liegt ihr besonders am Herzen.

Info-Veranstaltung der Genossenschaft Römerquelle (in Gründung) am Mittwoch 26. Juni 2019 ab 19.00 Uhr für alle BrunnenbesitzerInnen und alle an der Römerquelle Interessierten. Ort: Les Vignes du Pasquart. Seevorstadt 103c.

Mehr Infos und Anmeldung unter:

www.roemerquelle.org

 

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