Biel braucht Steuerzüchter und Kaufkraftlenker

Städtebau, Stadtplanung? Braucht es nicht. Was Biel benötigt, ist Stadtentwicklung. Das wird offensichtlich, wenn man sich über die grundsätzlichen Geschäftsbedingungen klar wird, die hierzulande gelten. Die Schweiz hat ein stillschweigend vereinbartes Staatsziel: Wir sind reich, reich wollen wir bleiben und noch reicher wollen wir werden.

Was für die Schweiz als Ganzes gilt, gilt auch für Biel. Stadtentwicklung heisst, Verteidigung und Mehrung des Wohlstands. Dass es Städte gibt, die reicher sind als wir, ist eine tiefe Kränkung. Zürich ist das Mass der Dinge, was wir innerlich anerkennen um dann aber laut dagegen zu protestieren. Die Frage ist also, wie kann man Biel zu einem Zürich machen?

Leider gibt es wenig Spielraum. Der Kuchen ist verteilt, uns bleiben die Brösmeli. Doch wir geben nicht auf, keineswegs. Was können wir tun, um reicher zu werden? Es gibt zwei Hebel, das Steuersubstrat und die Kaufkraftlenkung. Wer die Stadtentwicklung verstehen will, muss mit Substrat und Lenkung beginnen.

Das Substrat ist ein Nährboden. Auf dem Steuersubstrat werden Steuern gezüchtet. Das Steuerzüchten hat verschiedene Methoden. Allen gemeinsam ist, dass das Senken, das Steigen bewirken soll. Es geht dabei weniger um das, was man hat, als viel mehr um das, was man anlocken will. Das Steuerzüchten braucht Samen, Keimlinge. Die werden vom Fallwind des Steuersparens heran geweht oder von der Flut der Standortvorteile angeschwemmt. In Biel sollen sie Wurzeln schlagen und zu mächtigen Wirtschaftsbäumen heranwachsen. Steuersparen heisst: Kommt zu uns, wir verlangen weniger als die Nachbarn. Allerdings hat das zwei Grenzen. Die, die der Kanton uns zieht, und die, die unsere Kasse diktiert. Wer kein Geld hat, kann nur bescheidene Geschenke machen. Darüber hinaus sind alle vor dem Gesetze gleich und das behindert das Steuerzüchten. Darum versuchen die Züchter, solche Einschränkungen zu umgehen. Im Klartext: Es gibt Rabatt. Die Stadtentwickler sind dabei sehr diskret, sie machen das unter der Decke. Man muss das verstehen, eine arme Stadt ist erpressbar. Entweder oder, sagt der Neophyt, aber auch der längst Eingewurzelte, der mit Sichselbstausreissen und Abwanderung droht. Man muss begriffen haben: Das Kapital greift an, indem es flieht.

Zwischenbilanz: Das Steuerzüchten ist ein schwieriges Geschäft. Es ist vom Wirtschaftswetter abhängig, so eine bescheidene Finanzkrise kann die Ernte vieler Jahre bösartig schädigen. Dazu kommt noch der weltweite ökonomische Klimawandel. Wenn in Ostasien die Arbeit billiger ist, friert die Schweiz und Biel schlottert. Das Schlimme daran ist, dass die hiesigen Steuerzüchter gegen Wetter und Klima machtlos sind. Man muss sich vergegenwärtigen, das Schicksal Biels wird nicht in Biel entschieden.

Kaufkraftlenkung? Das ist die Kunst, das Geld aufs eigene Territorium zu locken. Dabei stellt man sich Biel als Insel vor. Da draussen schwimmen die Konsumenten und die sollen an Land. Herzlich willkommen, rufen die Lenker ihnen zu, kauft alles in Biel! Die Konsumenten haben ein Böötli, das sie zur Insel bringt, das Auto, denn die Kaufkraft ist automobil. Das Auto ist wirklich gäbig, doch wenn die Kaufkraft aussteigt, um sich zu verwirklichen, ist es plötzlich hinderlich. Es braucht einen Parkplatz. Den muss anbieten, wer die Kaufkraft lenken will. Denn sie ist äusserst launisch und tut zickig. Sie will bedient und verwöhnt sein. Zu Fuss gehen hasst sie innig, denn sie wird vom Prinzip Bequemlichkeit regiert. Darum braucht sie einen Stall für ihr Auto, und den gleich nebenan. In Biel hat man das begriffen und am Bahnhof, beim Kongresshaus und am Neumarkt Autoställe gebaut. Die sind zwar für den Alltag viel zu gross, aber wenn die Kaufkraft anschwillt, an Samstagen zum Beispiel, dann verlangt sie, was ihr von wirtschaftswegen zusteht, einen Parkplatz. Darum müssen die Autoställe aufs Maximum ausgelegt werden. Wenn nicht, gilt  auch hier: Die Kaufkraft greift an, indem sie flieht. Sie kann sich überall verwirklichen, im Shopping Center auf einer andern Insel zum Beispiel. Die Konkurrenz ist riesig, darum rüsten wir auf und alle andern auch. Dass die Kaufkraft mal schwach werden könnte, verdrängen wir mit Fleiss. Wer reicher werden will, darf ans Stagnieren oder gar Verarmen gar nicht denken. Der Herrgott, der Bundesrat oder das Schicksal haben für den Fortbestand des goldenen Zeitalters zu garantieren.

Hat man einmal begriffen, dass Stadtentwicklung vom Steuersubstrat und von der Kaufkraftlenkung diktiert wird, so versteht man die Stadt wie sie ist. Und man sieht auch kommen, wie sie wird. Da auch wir reicher werden wollen, werden wir das Steuersubstrat düngen und die Kaufkraft lenken. Mehr braucht e nicht, sicher keinen Städtebau und keine Stadtplanung. Das machen die Stadtentwickler viel besser.

Benedikt Loderer, Stadtwanderer