Das Quartier des Profits

Wohnen müssen wir alle. Das Recht auf Wohnraum gehört denn auch zu den Menschenrechten. Für einen Staat oder eine Gemeinde stellt sich die Frage, wie dieser Wohnraum bereitgestellt werden soll. Dafür gibt es verschiedenste Möglichkeiten, im Kern lassen sich jedoch zwei grundlegende Prinzipien der Wohnraumbereitstellung unterscheiden: Bedürfnisorientierter und profitorientierter Wohnungsbau. Eine Auslegeordnung mit Bezug zu Agglolac.

Bedürfnisorientierter Wohnungsbau setzt direkt bei den Bedürfnissen der Menschen an. Ein Beispiel hierfür sind Wohnbaugenossenschaften: Die Menschen, welche in einer genossenschaftlichen Überbauung leben, treffen demokratisch alle wichtigen Entscheide, die ihre Wohnsituation betreffen, wie beispielsweise die Gestaltung gemeinsamer Räumlichkeiten, oder die Verwendung genossenschaftlicher Mittel. Ausserdem wird zur Kostenmiete vermietet, d.h. Bewohnende einer Genossenschaft bezahlen nur so viel Miete, wie die Instandhaltung und Verwaltung ihrer Wohnung auch tatsächlich kostet. Ebenfalls bedürfnisorientiert ist der öffentliche Wohnungsbau. Eine Gemeinde kann ihren BewohnerInnen selbst Wohnraum zur Verfügung stellen, welcher dann unter der demokratischen Kontrolle der Gemeindebevölkerung steht.

Städte mit viel bedürfnisorientiertem Wohnungsraum gehören weltweit zu den lebenswertesten: So sind in kaum einer anderen westeuropäischen Grossstadt die Mieten so tief wie in Wien. Kein Wunder, gehören doch, laut einem Artikel der „Zeit“ von 2017, 32% der Wohnungen der Stadt selbst und weitere 26% gemeinnützigen Wohnbauträgern wie Genossenschaften.

In Schweizer Städten ist die Situation anders: Hier dominiert der profitorientierte Wohnungsbau. Kernmotivation für die Wohnraumbereitstellung sind nicht die Bedürfnisse der Bewohnenden – geschweige denn jene der Allgemeinheit – sondern schlicht der Profit. Ein Musterbeispiel, was profitorientierter Wohnungsbau bedeutet, erleben wir BielerInnen und NidauerInnen mit dem Projekt Agglolac. Aber, der Reihe nach: Wie drücken sich denn die Probleme von profitorientiertem Wohnungsbau in der Realität aus?

Das erste und offensichtlichste Problem ist verteilungspolitischer Natur: Profit, egal in welchem Wirtschaftsbereich, bedingt, dass die Einnahmen eines Unternehmens dessen Ausgaben übertreffen. Im Wohnbau bedeutet dies, dass MieterInnen bei profitorientierten Wohnbauträgern mehr Miete bezahlen müssen als die Instandhaltung ihrer Wohnung kostet. Damit profitorientierte Immobilienfirmen die Mieten nicht unbegrenzt erhöhen können, sind in der Schweiz die maximal zulässigen Profitraten bei momentan 2% gedeckelt. Diese Deckelung wird von Immobilienfirmen jedoch schamlos missachtet: Profitorientierte ImmobilienbesitzerInnen kassieren schweizweit jedes Jahr leistungsfrei 35 Milliarden Franken, wovon, gemäss einer Studie der Raiffeisen-Bank, rund 14 Milliarden illegal sind. Dieser Geldfluss von der arbeitenden Bevölkerung hin zu profitorientierten Immobilienfirmen stellt eine gewaltige Umverteilungsmaschinerie von unten nach oben dar.

Die riesigen Geldströme fliessen zu den AktionärInnen der Immobilienfirmen. Im Falle des AGGLOlac-Investors Mobimo sind dies unter anderem Schweizer Grossbanken, wie UBS oder CS, sowie die US-amerikanischen Schattenbanken Blackrock und Vanguard. Die beiden letzteren, die grössten Vermögensverwalter der Welt, werden aufgrund der gewaltigen Konzentration an Geld, und folglich Macht, zunehmend zum Problem. Mit ihren grossen Beteiligungen in zahlreichen börsenkotierten Firmen fällen sie oft im Alleingang wichtige, wirtschaftsrelevante Entscheide.

Doch profitorientierter Wohnungsbau führt nicht nur dazu, dass Bieler und Nidauer Geld aus der Region zu Vanguard, Blackrock und Co abfliesst. Profitorientierte Immobilienfirmen bauen auch vorzugsweise für ein ganz bestimmtes Publikum: Reiche Menschen. Von MarktfundamentalistInnen wird oft behauptet, Märkte würden Angebote für menschliche Bedürfnisse bereitstellen. Doch in Tat und Wahrheit stellen sie Angebote für Kaufkraft bereit. Dies ist im profitorientierten Wohnungsmarkt nicht anders: Wenn ich obdachlos bin und kein Geld habe, so wird mir Mobimo keine Wohnung zur Verfügung stellen, trotz meines riesigen Bedürfnisses nach Wohnraum. Habe ich hingegen mehrere Millionen auf der Seite und kann mir hohe Mieten leisten, wird mir Mobimo auch dann eine Wohnung zur Verfügung stellen, wenn ich bereits eine Villa und vier Zweitwohnungen habe.

Die Konsequenzen der Fokussierung auf Gutbetuchte durch profitorientierte Immobilienfirmen sehen wir bei Agglolac vielerorts: Die enorm grossen Wohnungen oder die geplante «Attraktivierung» des Seeufers sollen reiche Menschen ansprechen. Ob damit ein seelenloses, die meiste Zeit leerstehendes Zweitwohnungsquartier für MillionärInnen entsteht, ist Mobimo egal, Hauptsache die MieterInnen sind in der Lage, hohe Mieten zu bezahlen.

Zu guter Letzt bedeutet profitorientierter Wohnungsbau einen Abbau an demokratischer Mitbestimmung: Alle relevanten Entscheide, von der Gestaltung der Aussenräume über jene die Wohnungen betreffend bis hin zur Höhe der Miete, werden allein durch den Investor gefällt. Damit fällt ein grosser Teil unseres Lebens – die ganze Zeit, welche wir in den eigenen vier Wänden verbringen – aus der demokratischen Mitbestimmung und damit unter die Diktatur von Kapitalinteressen. Die Folgen: Gentrifizierung ganzer Quartiere, Verdrängung ärmerer Menschen aus den Städten und überall die gleichen langweiligen Überbauungen ohne Charakter.

Spannende und lebenswerte Quartiere für alle Menschen entstehen, wenn die BewohnerInnen einer Gemeinde oder eines Quartiers dieses selber auf demokratische Art und Weise gestalten können. Bei Agglolac, genau wie bei allen anderen profitorientierten Wohnbauprojekten, ist dies nicht der Fall. Doch es geht auch anders: Am 28. Juni wird voraussichtlich neben Agglolac noch über ein zweites Wohnbauprojekt abgestimmt: die Überbauung des Gurzelen-Geländes. Es ist kein Zufall, dass dieses Projekt kaum kritisiert wird und wohl ungefährdet von der Bevölkerung angenommen werden wird: Es handelt sich um eine genossenschaftliche und folglich bedürfnisorientierte Überbauung. Vermietet wird zur Kostenmiete, BewohnerInnen entscheiden selbst und demokratisch über ihre Wohnbedingungen.

Gemäss der Firma Wüest&Partner entfallen gerademal 12 Prozent aller Mietwohnungen in der Schweiz auf kommunale oder genossenschaftliche WohnbauträgerInnen. Der Rest gehört reichen Famillien oder professionellen Investoren wie Mobimo. Letztere haben ihren Anteil am Schweizer Mietwohnungsmarkt innerhalb von 20 Jahren von 29% auf 40% erhöht. Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen, Leilani Farha, sieht durch den Vormarsch der Profitorientierten gar das Menschenrecht auf angemessenen Wohnraum in Gefahr, wie sie im Film «Push: Für das Grundrecht auf Wohnen» darlegt. Am 28. Juni fällen wir in Biel und Nidau also einen wichtigen Entscheid.


Miro Meyer
ist 26, ETH Umweltnaturwissenschaftler und Stadtrat für die JUSO in Biel. Mit der Boden- und Wohnbauproblematik befasst er sich schon länger. So war er 2017 Mitinitiator einer Motion im Bieler Stadtrat, welche verlangte, dass der AGGLOlac-Perimeter nicht an Mobimo verkauft werden dürfe.

Quellen und Hinweise auf interessante Artikel zum Thema:

„Hauptstadt des bezahlbaren Wohnens“
„Zeit »-Artikel über das Wohnen in Wien.

„Tiefe Mieten sind die beste Altersvorsorge“
„WOZ“-Interview mit Jacqueline Badran zur Initiative für «mehr bezahlbare Wohnungen».

„Die grosse Umverteilung“
„WOZ“-Artikel über die Mietexplosion auf Kosten einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung.

„Die neue Macht der drei Finanzkolosse“
Hintergrundartikel der „Welt“ über Vanguard, State Street und BlackRock. 

„Frühstück mit BlackRock und Co.“
Das einleitende Kapitel aus dem neuen Buch „Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen? Die heimlichen Herrscher und ihre Gehilfen“ von Jens Berger auf Infosperber.

JUSO Bielingue 

Ziel:

Bezüglich Agglolac den Bau eine weiteren profitorientierten Quartiers am Seeufer verhindern.

Bisherige Aktionen und Outputs:

  • Veröffentlichung des Positionspapiers « Stadt für alle statt Agglolac » im Jahr 2017 als unmissverständliches Zeichen gegen das Projekt 
  • Lancierung der Social-Media-Kampagne « Nein zum Quartier des Profits »
  • Organisation eines Podiums zu Agglolac im Kreuz in Nidau im Sommer 2017, auf welchem, unter anderen Jaqueline Badran und Erich Fehr debattierten.

Weitere Texte zum Thema:

« Das Gebiet auf eigene Faust entwickeln » 
von Manuel Stöcker