Hilfe zur Selbsthilfe im Armutsquartier
Sie können einen ohnmächtig machen, die ständig betrübenden Nachrichten zu den desaströsen Zuständen in Armutsländern, verschlimmert noch durch Covid. Ein Projekt in Ecuadors Hauptstadt Quito gibt Gegensteuer – unterstützt von einem Gönnerverein in Zürich – und zeigt was Hilfe zur Selbsthilfe bewirken kann.
Sol de Primavera bedeutet übersetzt Frühlingssonne, und in der Tat kommt ein Eintritt in die Fundación Sol de Primavera (FSdP) für die Strassenjugendlichen und ihre Angehörigen der Armutsquartiere in Quito dem Beginn eines neuen Lebens gleich. Seit 1997 besteht die NGO-Tagesstätte und ermöglicht mittellosen Jugendlichen, eine Ausbildung als SchreinerIn, BäckerIn oder SchneiderIn zu absolvieren. Die Jugendlichen, momentan rund 90 an der Zahl, und ihre Familien entwerfen zusammen mit den Ausbildnern, Sozialarbeitenden und Psychologen der FSdP einen individuellen «Plan de vida», einen Lebensplan für die nächsten Monate mit erreichbaren Zielen. In allwöchentlichen Treffen für die Eltern werden Erziehungsfragen geklärt, z.B. durch Rollenspiele zur gewaltfreien Kommunikation, Gesundheitsthemen aufgegriffen, wie Sucht, Ernährung, Hygiene, Aufklärung, und die Selbsthilfe gestärkt – Stichwort: politische Rechte, Mobilisierung zur Quartierhilfe. Besonders beliebt ist das Stadtgarten-Programm «Huerto urbano», in dem die Eltern lernen, ihr eigenes Gemüse in alten Mülltonnen oder aufgeschnittenen Petflaschen anzubauen – auf Dächern, Balkonen und in Hinterhöfen. Gerade in der Lockdownzeit war dies für die meisten der einzige Zugang zu frischem Gemüse.
Der Lockdwon letzten Frühling zwang alle dazu, zusammengepfercht auf kleinstem Wohnraum zu leben. Dadurch war plötzlich die Lebensmittelversorgung nicht mehr garantiert. Das Team der FSdP (12 ecuadorianische Mitarbeiter) reagierte sehr schnell, beschaffte sich eine Ausgangsbewilligung und Schutzanzüge und belieferte ca. 400 Personen mit Nahrungspaketen. Darin waren auch Hygieneartikel (Masken, Desinfektionsmittel und Seifen) und pädagogisches Material um die Kinder weiterhin wenigstens minimal schulen zu können, sowie Anleitungen zum Brotbacken in Pfannen, weil kaum jemand einen Ofen hat, und zum Gemüse anpflanzen. Die hungernden Familien hissten bei ihren Häusern weisse Flaggen, um zu zeigen, dass sie über keine oder zu wenig Nahrungsmittel mehr verfügten. Auch startete das Sozialarbeiter-Psychologenteam eine Podcastsendung mit Beratungen und Hilfeleistungen zu verschiedensten aktuellen Themen. Die Podcasts konnten die Familien über ihre Handys hören, jeder hat mittlerweile ein eigenes Handy, auch in Quito. Einige Familien unterstützte die FsdP während der drei Monate des totalen Lockdowns mit Aufladeguthaben für die Handys. Es war sehr wichtig, dass sie zumindest so mit der Aussenwelt in Kontakt sein konnten, auch wegen medizinischer Notfälle oder Gewalt-Gefahr. Die Gewalt, besonders gegen Frauen, ist extrem hoch in Ecuador. Allein in Quito wird jeden dritten Tag eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Wegen den von der Regierung verhängten Ausgangssperren stiegen die psychischen, körperlichen und sexuellen Misshandlungen im letzten Jahr nochmals massiv an. Einmal wöchentlich wurden die Jugendlichen und ihre Familien angerufen, um nachzufragen, wie es um ihre Situation stehe.
Anfang Jahr konnte der Ausbildungsbetrieb dann in Halbtagesgruppen à ca. 35 Jugendliche wieder aufgenommen werden. Jedes Jahr schliessen ca. 20 Jugendliche ihre Ausbildung ab und die FSdP bemüht sich sehr, dass sie danach im formellen Arbeitssektor eine Anstellung finden. JedeR ausgebildete Jugendliche, der oder die eine Anstellung findet, unterstützt in der Regel danach eine ganze Gruppe von Familienangehörigen finanziell. Es ist beeindruckend zu erleben, wie ehemalige Drogenverkäufer oder Prostituierte hier lesen lernen, ethische Werte vermittelt bekommen und immer mehr Selbstvertrauen und Kompetenzen gewinnen. Der jetzige Bäckermeister war ebenfalls ein ehemaliger Strassenjunge. Solche Schicksale motivieren auch andere Strassenjugendliche, durch die FSdP ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.
Fabienne Berlinger ist Vorstandsmitglied des Vereins Primavera Zürich.
Fundación Sol de Primavera
Die Fundación Sol de Primavera wird finanziell durch den Gönnerverein Primavera Zürich unterstützt. Alle arbeiten dort unentgeltlich, 95-98 Prozent der Spenden gehen direkt ins Projekt. Konto: IBAN: CH4909 0000 0087 7728 984, Verein Primavera, 8000 Zürich.