Ernährung

Mit Permakultur gegen das Zerbröckeln von “Ubuntu”

Wie finden Menschen zu einem selbstbestimmten und eigenständigen Leben in Einklang mit der Natur und in Harmonie untereinander? Diese Frage treibt Michael Mubaya seit einiger Zeit um. In seiner Heimat Zimbabwe hat er den Hof seiner Eltern in einen Vorzeigehof für Permakultur umgewandelt. Im Interview gibt er Einblicke in das sich entwickelnde Mubaya  Ökodorf. Ein Schweizer Förderverein mit Sitz in Biel hilft finanziell.

Michael Mubaya, Du bist im Jahr 2011 nach einem längeren Englandaufenthalt nach Zimbabwe zurückgekehrt mit dem Ziel, dein Heimatdorf in ein Ökodorf zu verwandeln. Ist das nicht eine verrückte Idee?

(Lacht) Ja, das ist es wohl! Ich gehöre eben zu den Träumern dieser Erde und glaube an die Selbstverantwortung durch Selbstversorgung! Auch hatte ich die Nase voll, in England als Migrant immer unten durch zu müssen!

Das kann ich verstehen! In Europa ist die Umsetzung von kreativen Ideen für Einwanderer*innen nicht einfach. Wie kamst du gerade auf diese Idee mit dem Ökodorf?

Vor vier Generationen, unter der Herrschaft der weissen Siedler, wurden die Schwarzen in Zimbabwe aus fruchtbaren Böden in weniger fruchtbare Landstriche – sogenannte Reservate – vertrieben, so auch meine Vorfahren. Nach ihrem Tod hinterliessen meine Eltern ca. 170 Hektaren Land, für das sich niemand von meinen Geschwistern interessierte: es war zu trocken und unwirtschaftlich. Auch die restlichen 53 Höfe der Mubaya Streusiedlung haben wegen der Wasserknappheit, der Überweidung der Felder und der Abholzung des Baumbestandes zu kämpfen. Das Land wird zwar nach wie vor bewirtschaftet, aber mit einem hohen Einsatz von synthetischen Düngemitteln, welche die Böden noch mehr zu Grunde richten. 

Wie bist du vorgegangen, um daran etwas zu ändern? 

Ich begann mich für alternative Landwirtschaftsmethoden zu interessieren und stiess dabei auf die Permakultur, die mich begeisterte. So absolvierte ich einen Permakultur-Design-Kurs in einer Ausbildungsfarm in unserer Hauptstadt Harare und besuchte diverse Projekte im Ausland, unter anderem auf der Schweibenalp in der Schweiz. Damit wollte ich der Dorfgemeinschaft von etwa 450 Personen eine Alternative zur Abwanderung und eine Möglichkeit für lebenswertes Wohnen im Dorf aufzeigen. Ökodörfer sind lebende Beispiele von Nachhaltigkeit. Ich glaube, dass sie einen gangbaren Weg darstellen, die Verschlechterung unserer sozialen, ökologischen und spirituellen Umwelt anzugehen. Deshalb habe ich damit begonnen, den Hof meiner Eltern mit einfachen Methoden wie Kompostieren, Mulchen, Anlegen von Gärten, Renovation von Brunnen, Setzen von Bäumen in einen Vorzeigehof umzuwandeln. Daneben haben wir seit 2013 verschiedene praktische Weiterbildungen angeboten, beispielsweise in der Nahrungsmittelverwertung und -konservierung und im Nutzen unserer lokalen Heilkräuter. Wir glauben an “learning by doing” und das Aufzeigen, wie Veränderung geschehen kann. So entwickelt sich unser Hof zu einem Ausbildungszentrum. Auf diese Art werden die Dorfbewohner vertraut mit der Idee der Permakultur und haben einen Ort, wo sie Permakultur lernen und praktizieren können. Trotzdem zögerte die Mehrheit, sich diese arbeitsintensive Landwirtschaftsmethode anzueignen.

Wie erklärst du dir das? 

Die Mentalität der Leute ist die grösste Herausforderung für mich. Die Leute denken individualistischer als früher; alle kümmern sich nur um das eigene Überleben und jenes ihrer Familien. Das kann ich verstehen. Trotzdem habe ich Mühe zu akzeptieren, dass wir oft unsere Ambitionen nicht umsetzen können, weil zu viele Leute eifersüchtig sind auf jene, die etwas erreichen. Das ist destruktiv und entmutigend. Der afrikanische Geist, in einer grösseren Gemeinschaft zu leben und einander zu unterstützen, ist am Verschwinden. Unsere traditionelle Lebensphilosophie, das sogenannte Ubuntu, ist am Zerbröckeln. Ubuntu bedeutet in etwa „Menschlichkeit“, „Nächstenliebe“ und „Gemeinsinn“ sowie die Erfahrung und das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Die politische und ökonomische Situation trägt stark dazu bei, dass wir uns nicht mehr danach richten. Viele Leute sind abhängig vom Geld, das ihre Verwandten in der Stadt oder in der Diaspora verdienen, und nehmen dankbar Regierungsgeschenke wie Saatgut, synthetische Düngemittel oder Nahrungsmittelpakete an. Dies führt zu einer Mentalität der Abhängigkeit und bremst Innovationen und Unternehmergeist. 

Welche Schwierigkeiten hast du beim Umsetzen von Permakulturprinzipien selber erlebt? 

Es ist klar, dass die hohen Erwartungen der Erfinder dieser Methode, die ja in westlichen Ländern mit sozialen Abfederungen leben, bei uns nicht erfüllt werden können. Wir haben schlicht nicht die Mittel dazu, schon gar nicht die Musse zum Experimentieren. Es ist beispielsweise schwierig, Zeckenseuchen bei unseren Rindern oder Termitenplagen mit nachhaltigen Mitteln anzugehen. Auch ich komme da an meine Grenzen und bevorzuge eine rasche synthetische Lösung, wenn ich nicht mehr weiter weiss, anstatt meine Pflanzen oder Häuser an die Termiten zu verlieren. Es gilt trotzdem, Altbekanntes hinter sich zu lassen und neue Ideen zu entwickeln. Wir lassen beispielsweise unsere Rinder traditionellerweise während der Regenzeit (etwa zwei Monate zwischen November und März) frei in der ganzen Gegend grasen. Doch dabei riskieren die Tiere, von tödlichen Zecken gebissen zu werden. Ich habe sie also nicht mehr frei herumstreunen lassen. Meine Rinder blieben zwar gesund, ich musste aber mehr Futter dazukaufen, um sie zu ernähren. Jetzt habe ich mir eine Mühle mit einem Schredder gekauft und gewinne so zusätzlich die zerkleinerten Maisblätter als Tierfutter. Mais ist unser Hauptnahrungsmittel; die Maiskolben haben wir bisher in mühseliger Handarbeit geschält und zerstückelt. Nun können wir dank dem Schredder mehr Futter zubereiten. Aber auch da sind wir mit einem nicht nachhaltigen Element konfrontiert: wegen den Stromunterbrüchen mussten wir eine mit Diesel betriebene Mühle kaufen. Solarantrieb wäre viel zu teuer gewesen. Vielleicht können wir uns später einmal eine solche Anlage leisten.

Was sind also die grössten Herausforderungen, um die Dorfgemeinschaft umzustimmen?

Es gilt nicht nur, eine alternative Anbaumethode zu verbreiten, sondern vor allem der Passivität und gedankenlosen Entgegennahme von Regierungsgeschenken etwas Überzeugendes entgegenzuhalten. Dies ist die grösste Herausforderung! Wie finden Menschen zu einem selbstbestimmten und eigenständigen Leben in Einklang mit der Natur und in Harmonie untereinander? Ich bin überzeugt, dass wir als Selbstversorger in unserem Dorf leben können. Wir müssen uns von den Regierungsprogrammen, die gratis Dünger und andere landwirtschaftliche Produkte an die Leute verteilen, loslösen. Das sind keine barmherzigen Taten sondern Methoden, um uns abhängig zu machen. Auch sind diese Düngemittel schädlich für die Pflanzen. Sie helfen nicht, den bereits kargen Boden zu erhalten oder gar zu verbessern. 

Was hast du getan, um mehr Leute für deine Idee der Selbstversorgung zu gewinnen?

Zuerst waren sie eifersüchtig, als sie meinen üppigen Hof sahen. Erst als wir dieses Jahr Projekte für die ganze Dorfgemeinschaft angingen, haben die Leute Vertrauen gefasst. Wir bauen zurzeit ein Wehr, um das Regenwasser in einem Stausee zu sammeln. Davon werden vier Nachbardörfer profitieren können. Für später sind weitere Wassergewinnungsprojekte vorgesehen. Erst wenn alle Wasser haben, können sie sich auch selbst ernähren.

Interviewerin:
Muriel Beck Kadima war als Menschenrechtsaktivistin erstmals 1998 in Zimbabwe, wo sie Michael Mubaya kennen lernte. Heute lebt die ehemalige Bieler Stadträtin in Biel und arbeitet in St.Gallen am Bundesverwaltungsgericht, wo sie sich weiterhin für Gerechtigkeit einsetzt. Sie präsidiert den Förderverein Mubaya Ökodorf Zimbabwe seit dessen Bestehen.

Zwei weitere Stimmen aus dem Mubaya Ökodorf


Catherine Mubaya, du bist schon seit Anbeginn am Projekt beteiligt. Was motiviert dich? 

Als Mike mich im Jahr 2012 zurück ins Dorf rief, arbeitete ich in Südafrika und Mozambik als Wanderarbeiterin. Am Meisten litt ich unter der Distanz zu meinen Familienmitgliedern. Ich war so glücklich zu hören, dass es im Dorf Möglichkeiten geben soll, um mein Überleben und jenes meiner Mutter und meiner Kinder zu sichern, dass ich sofort zurückkam und mich in Permakultur ausbilden liess. Heute habe ich einen Fischteich, Hühner und Hasen sowie einen Gemüse- und Obstgarten und bin stolze Selbstversorgerin. 

Weshalb lassen sich nicht mehr Frauen von der Vision eines Ökodorfs anstecken?

Frauen haben die Hauptverantwortung für das Überleben der Grossfamilien; sie haben selten Zeit, um weit vorauszuplanen. Aber alle unsere Workshops wurden von ihnen mit Begeisterung besucht und einiges Erlerntes auch umgesetzt, bspw. das Trocknen und Einlegen von Gemüse, Heilkräutern und Früchten. Ich freue mich sehr, dass ich zurzeit eine Pilotgruppe von Frauen leiten darf, mit der wir Hühner in grösserem Umfang für den Verkauf züchten wollen. Ich bin ganz ungeduldig, endlich im vorgesehenen Weiterbildungslehrgang, der vom Schweizer „Förderverein Mubaya Ökodorf Zimbabwe“ gesponsert werden soll, mehr über Mikrokredite, Businessmanagement und nachhaltige Geflügelhaltung zu erfahren. Ich bin sicher, dass wir Frauen – zurzeit zwanzig aus je unterschiedlichen Höfen – damit wirtschaftliche Unabhängigkeit und Selbstvertrauen gewinnen werden.

Joseph Mubaya, du bist vor etwa einem Jahr aus der Hauptstadt ins Dorf zurückgekehrt, nachdem du als Lehrer und Rektor in Pension gegangen warst. Zurzeit leitest du das Entscheidungsgremium des dorfübergreifenden Wasserprojekts. Du warst von Anbeginn Feuer und Flamme für das Ökodorfprojekt. Warum?

Ich war schon lange betrübt über die Lage unserer Dorfbevölkerung. Die Familien werden grösser, das Land aber nicht, das sie ernähren soll. Die Abwanderung und damit auch die Zerrüttung der Familien sind enorm. Fast 70% der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, ein Sektor, der – wie wir alle wissen – vom Klima und Wetter abhängig ist. Es ist deshalb nicht erstaunlich, wenn wir bei Trockenheit oder Fäulnisbefall immer wieder mit Hungersnöten konfrontiert sind. Als ich den Hof von Michael Mubaya sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass das die Lösung ist: Zusammenhalten. Den Austausch über nachhaltige Anbaumethoden pflegen. Wissen Weitergeben. Das lebenswerte Wohnen im Dorf selber gestalten. Ich bin überzeugt, dass wir als Gemeinschaft die Armut bei uns bekämpfen können, wenn wir gemeinsam nachhaltige Landwirtschaft betreiben und so selber für unsere Ernährungssicherheit sorgen. Ich erwarte nicht viel vom Staat und von aussen. Wir müssen unsere Zukunft selber in die Hand nehmen. Und das gelingt uns nur, wenn wir zusammenhalten und die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der UNO selber umsetzen. 

Was scheint dir dabei prioritär?

Die Selbstbestimmung der Menschen und deren Gesundheit. Das gratis verteilte synthetische Düngemittel können wir ersetzen durch Mist, Kompost und Erzeugnissen aus Komposttoiletten oder einer Biogasanlage. Wir können selber gesunde biologische Nahrungsmittel produzieren und die Fruchtbarkeit des Bodens wieder herstellen. Ich hoffe, dass durch das Beispiel des erfolgreichen Vorzeigehofs das Interesse der Leute in Permakultur geweckt wird. Gerne würde ich dazu beitragen, Gemeinschaftsgärten auf der Basis von Permakultur für Schulkinder zu errichten, damit davon gesunde Mahlzeiten für sie zubereitet werden können! Ja, ich träume, aber trotz meiner 60 Jahre möchte ich nicht aufgeben.

Der Förderverein Mubaya Ökodorf Zimbabwe

  • wurde 2015 in Biel gegründet und bezweckt die finanzielle, administrative und personelle Unterstützung für nachhaltige, ökologische und soziale Projekte im Ökodorf Mubaya.

  • hat unter anderem auch das Startkapital für den Aufbau des Vorzeigehofs von Michael Mubaya beigesteuert – und dafür hier in der Schweiz Konzerte organisiert und an Flohmärkten Stände betrieben.
  • möchte als nächstes dem Dorf finanziell helfen, ein Bohrloch zur Gewinnung von Wasser zu realisieren, dort wo die Topografie sich nicht für Staudämme eignet. Mubaya braucht dafür 2000 Dollar Eigenkapital. Des Weiteren ist ein grösseres Frauenprojekt (Hünerbusiness und Aufbau von Mikrofinanzgruppen) vorgesehen, wofür ebenfalls Spenden gesammelt werden.

  • nimmt Spenden über das Postcheck-Konto des Fördervereins Mubaya Ökodorf Zimbabwe (Beundenweg 52, 2503 Biel) dankend entgegen: IBAN: CH44 0900 0000 8913 2954 1.
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