„Das Untere Ried darf nicht dem Abbruchhammer zum Opfer fallen“
Der Juryentscheid für das Alterszentrum Unteres Ried hat im Falbringen-Quartier und darüber hinaus viel Wirbel ausgelöst und Entsetzen darüber, dass das Gebäude Robertweg 12 abgebrochen werden soll. Nun hat ein kleine Gruppe von Quartierbewohnerinnen Vizestadtschreiber Julien Steiner einen offenen Brief mit 2608 Unterschriften übergeben. Das Resultat zeigt klar: Bielerinnen und Bieler wollen das Ried erhalten und dulden keine Eingriffe in das historische und landschaftliche Ensemble. Hier die Auslegeordnung der Historikerin.
Das altehrwürdige Untere Ried soll abgebrochen werden. Gewiss, es entspricht nicht mehr den heutigen Bedürfnissen eines Alterszentrums, und das Haus selber hat in seiner bald 300-jährigen Geschichte viele Veränderungen erlebt. Das ehemalige Bauernhaus wurde 1853 vom Maler Aurèle Robert erworben. 1874 wurde es um ein Stockwerk erhöht und dem jungen Paul ein Atelier eingerichtet, 1893 ein Wohnhaus angebaut (und wieder abgebrochen). Das Türmchen kam erst 1900 dazu. 1926 erwarb die Stadt die Liegenschaft und richtete dort das Altersheim ein. Seither gab es grosse Anpassungen im Innern; von der ursprünglichen Einrichtung ist nicht mehr viel vorhanden. Aber das Äussere blieb weitgehend erhalten. Die vielen Umbauten sind denn auch der Grund dafür, dass das Gebäude nur als erhaltens- und nicht als schützenswert eingestuft ist. Nun hat es die kantonale Denkmalpflege zum Abbruch freigegeben.
Es geht, so meine ich, aber gar nicht nur um die Qualität und die Tauglichkeit des Hauses Robertweg 12. Es geht auch um das Ried als Ensemble und um das das Erbe der Familie Robert.
Paul Robert, der im Unteren Ried seine Jugend verbracht hat, und seine Mutter wussten den landschaftlichen Wert dieses Ortes zu schätzen. Und sie wussten, dass dieser über kurz oder lang von der bauhungrigen Stadt angeknabbert und schliesslich aufgefressen würde. Deshalb erwarben sie Stück für Stück des kleinen Paradieses. 1884 erbauten sie das Pächterhaus (Robertweg 5), 1885 kauften sie das Obere Ried, ebenfalls ein ehemaliges Bauerngut, wo die Familie künftig wohnte. Ein Jahr später errichtete Paul das Atelier-Gebäude, und mit dem Kauf des Bauernhauses im Falbringentälchen rundete er seinen Besitz 1890 ab und verhinderte damit, dass dort eine Fabrik und Arbeiterwohnhäuser entstanden. Ein Luxus, zweifellos, den sich der erfolgreiche Maler leisten konnte, dem aber das heute so hoch geschätzte Naherholungsgebiet zu verdanken ist.
1926/27 jedoch sah sich seine Witwe gezwungen, die gesamten Ried-Liegenschaften zu verkaufen. Allerdings sorgte sie für strenge Auflagen, worunter mir eine besonders auffällt. Da heisst es nämlich: «Die Gemeinde als Käuferin verpflichtet sich, die hiervor erworbenen Liegenschaften in der Hauptsache nur zu humanitären Zwecken zu verwenden und als Gesamtheit zu belassen. Das Terrain darf von der Stadt nicht zu spekulativen Zwecken veräussert werden. Dagegen darf sie davon zum Zwecke der Abrundung oder aus anderen wichtigen Gründen einzelne kleine Stücke weiter veräussern.» [zitiert nach Ph. Gensheimer]
Wenn also in den folgenden Jahren ein Altersheim, ein Kinderheim und eine heilpädagogische Tagesschule errichtet und diese weiter ausgebaut wurden, scheint mir das durchaus im Rahmen des Vertrags. Doch was bedeutet es, die Liegenschaften als «Gesamtheit zu belassen»? Ich meine, es geht darum, historisch gewachsene, harmonische Strukturen nicht mutwillig zu zerstören. Aber genau das geschieht mit dem Abbruch der Robert’schen Campagne im Unteren Ried. Dass es auch anders ginge, zeigen mehrere Wettbewerbsbeiträge, so etwa das Projekt «Adèle» (3. Preis).
Die Projektverfasser des Wettbewerb und die Jury wussten sehr um den Wert des Orts. Im Wettbewerbsprogramm wird eingehend darauf hingewiesen. «Die einzigartige Landschaft im Gebiet Falbringen-Ried bietet, nicht zuletzt dank ihrer zurückhaltenden und vorwiegend öffentlichen und sozialen Nutzung, aber auch durch ihren historischen Hintergrund überragende landschaftliche, räumliche und atmosphärische Qualitäten. Diese machen es zu einem der wertvollsten Naherholungsgbiete der Stadt Biel.»
Das Ried ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) eingetragen. Für die Landsitze des 17.-19. Jahrhunderts, d.h. das obere und das untere Ried, ist das Erhaltungsziel A „Erhalten der Substanz“ festgelegt. Die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission schreibt dazu in einem Gutachten von 2017: «Damit sind alle Bauten, Anlageteile und Freiräume integral zu erhalten und störende Eingriffe zu beseitigen. Als generelle Erhaltungshinweise gelten zudem „Abbruchverbot, keine Neubauten“ und „Detailvorschriften für Veränderungen“». – Ich verstehe nicht, was daran missverständlich ist.
Aber da ist noch etwas, das mich irritiert: Auch das Obere Ried soll als Altersresidenz aufgegeben und einem neuen Zweck zugeführt werden. Wieso nicht auch das Untere Ried? Es gibt heute längst neue Wohnmodelle im Alter und neue Bedürfnisse der Senioren. Altersheime im ursprünglichen Sinn wird es immer weniger geben. Das Ried mit seinen nicht eben behindertengerechten Spazierwegen eignet sich beispielsweise ideal für gemischte Wohnformen, für rüstige Senioren, die nicht im eigenen Haushalt vereinsamen wollen, für Wohneinheiten für Angehörige, Gästezimmer für Kurzeitaufenthalte u.v.m. Mindestens ein Wettbewerbsbeitrag schlägt genau solche Alternativen vor.
Aber wohin dann mit den Pflegebedürftigen, den Demenz- und Palliativpatienten? Für sie gibt es sicher geeignetere Standorte und vielleicht auch mittelfristige Lösungen, denn in absehbarer Zeit wird schliesslich ein ganzes Spital in bester Lage frei…
Kurz: Das Untere Ried darf nicht dem Abbruchhammer zum Opfer fallen! Das sind wir der Familie Robert, die uns das Ried mit seiner Geschichte, seiner landschaftlichen und architektonischen Gesamtwirkung hinterlassen hat, und der Nachwelt schuldig.
Margrit Wick-Werder, Dr. phil., Historikerin und Museologin, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der älteren Bieler Geschichte.
Foto oben: Das Untere Ried um 1905. Quelle: Neues Museum Biel NMB
Die Unterschriftensammlung…
…für den Erhalt des Unteren Rieds endete am 1. März. Tags darauf hat ein kleine Gruppe von Quartierbewohnerinnen des Ried dem Vizestadtschreiber Julien Steiner den offen Brief mit 2608 Unterschriften übergeben.
Das ist weit mehr, als für eine Initiative nötig wären. Dabei haben sich die engagierten Verfechterinnen für den Erhalt der historischen Liegenschaft auf das Sammlen im Quartier und an drei Samstagsmärkten in der Altstadt beschränkt. „Es gab kaum jemand, der den Brief nicht mitunterzeichnen wollte“, schreiben sie in ihrer Medienmitteilung. Hingegen seien die Unterschriftenbogen oft kopiert und weiter verbreitet worden. Das Resultat zeige ganz klar: Bielerinnen und Bieler wollen das Ried erhalten und dulden keine Eingriffe in das historische und landschaftliche Ensemble.