Rückblick aus der Zukunft

Eines Tages werden unsere Kindes-Kinder-Kinder-Kinder-Kinder auf unser Zeitalter zurückblicken. Wie werden sie es dann nennen? Das digitale Zeitalter? Das Zeitalter des multinaltional gesteuerten Massenkonsums? Oder das Zeitalter der unstillbaren Begierden? 

Dass wir das Adjektiv «digital» für das Zeitalter der Rechner, der einfachen Datenübermittlung und der Vernetzung gebrauchen, ist nicht ganz so glücklich. Der Begriff «Digital» kommt von «Digitus», was auf Lateinisch «Finger» bedeutet. Also bezeichnet «digital» in seiner ersten Bedeutung etwas, das mit den Fingern zu tun hat.

Nun ist es so, dass das sogenannte «digitale Zeitalter» tatsächlich etwas mit den Fingern zu tun hat. Wenn ich die Leute um mich herum mit Handys und anderen Geräten anschaue, muss ich eingestehen, dass diese Leute unglaubliche Fingerfertigkeiten besitzen. Insbesondere jene, die nach 2000 geboren wurden, halten das Handy in der linken Hand halb umschlossen von Zeige-, Mittel-, Ring- und kleinem Finger und geben gleichzeitig Daten mit dem linken Daumen ein, während sie in der rechten Hand eine Cola-Petflasche halten. Aber deshalb  wird unser Zeitalter kaum in die Geschichte eingehen. Die Leute im Mittelalter, welche alles selbst von Hand herstellten, waren wohl noch vielseitiger «digital» im ersten Sinne, als wir es heute sind.

In der Bezeichnung «digitales Zeitalter» hat aber «digital», wie wir alle wissen, eine andere Bedeutung. Dieses «digital» bedeutet die binare Darstellung von Informationen, oder anders gesagt, die Codierung von Informationen in einer Abfolge von 1-0 Symbolen. In dieser Welt wird die Information also sehr einfach übertragen. Dies hat zur Folge, dass wir Informationen schneller prozessieren können. So können wir schneller miteinander kommunizieren und die Menschen sind weiträumiger miteinander vernetzt. Ist dies aber die Kernaussage über unser Zeitalter?

Projizieren wir uns 150 Jahre in die Zukunft! Unser Zeitalter würde ich aus diesem Standpunkt zuerst als Zeitalter des übermässigen Wirtschaftswachstums, der übermächtigen multinationalen Unternehmen und des werbungsgesteuerten Konsums beschreiben. Noch nie gab es neben den Staaten – und vormalig neben den religiösen Institutionen – eine Macht, die so bestimmend war, wie die multinationalen Konzerne. Niemals zuvor in der Weltgeschichte wurde so viel sinnlos konsumiert wie heute, und niemals zuvor wurden ganze Bevölkerungen fast weltweit am Abend von Bildern überflutet, welche ihr Konsumverhalten programmierten. Wir könnten daher unser Zeitalter auch als «das multinational gesteuerte Massenkonsum-Zeitalter» benennen. Die digitalen Geräte sind die Instrumente, die dies möglich machen. Daher sind sie eher eine Nebenerscheinung und nicht das Kernmerkmal unserer Zeit.

Vielleicht wird unser Zeitalter auch ganz anders in Erinnerung bleiben, und zwar auf eine traurige Weise.  Es ist das Zeitalter, wo die fossilen Rohstoffe schonungslos ausgebeutet, die Meere verschmutzt und viele Tier- und Pflanzenarten ausgerottet wurden. Die Natur als gesunde Lebensgrundlage wurde massiv beeinträchtigt. Da dieser Aspekt unseres Zeitalters wohl die grössten Konsequenzen auf die folgenden Generationen haben wird, könnte es später als das «Zeitalter der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen» bezeichnet werden.

Vielleicht sehen unsere Kindes-Kinder-Kinder-Kinder-Kinder aber auch noch etwas tiefer in uns hinein. Sie werden erkannt haben, wo dieser Konsumwahnsinn und die globale Ausbeutung von Mensch und Natur ihren Ursprung hatten. Unser Zeitalter sehe ich als das Zeitalter der rationalen, leistungs- und  wettbewerbsorientierten Kräfte. Die Gegenspieler dieser Kräfte wie etwa die Empfänglichkeit, die Heilung und die Naturverbundenheit bleiben oft auf der Strecke. Nur im individuellen und globalen Unterdrücken dieser feineren Kräfte, konnte dieser Wahnsinn von Konsum und Zerstörung passieren. Unsere Nachfahren könnten unsere Epoche als «Zeitalter der rationalen Wahnsinnsherrschaft» bezeichnen.

Vielleicht werden unseren Nachfahren spirituell reife Leute sein, die in einer grossen Harmonie mit sich und der Umwelt leben. Sie legen einen tiefen individuellen Weg zurück, wo sie lernen mit ihrem inneren Hass, mit ihrer inneren Unzufriedenheit, mit den schwierigen Lebenserfahrungen Frieden zu schliessen. Sie drücken ihr innerstes Wesen aus, sind zufrieden mit dem, was sie haben, und geniessen den Aufenthalt auf der Erde. Aus ihrer Sicht der inneren Klärung würde dann unser Zeitalter als das «Zeitalter der unstillbaren Begierden» erscheinen.

Wie auch immer unsere Nachfahren das  jetzige Zeitalter benennen werden, ich möchte ihnen mitteilen, wie es für mich ist, in diesem Zeitalter zu leben: Unser Leben ist voll von stressiger Arbeit, die keinen Sinn macht; von Bildschirmen, wo Belangloses mit viel Lärm zum Besten gegeben wird, und von technischen Geräten, von denen wir abhängig sind. In einer ständig pulsierenden Überenergie, welche uns alle in Atem hält, leben wir nervös und Viele werden chronisch krank davon. Unser Leben hat zwar seine schönen Seiten, vor allem der Konsum von Waren, Sex und Sensationen. Mehr und mehr werden unsere Kontakte mit anderen Personen aber oberflächlich. Wir ziehen uns in unsere Privatsphäre zurück. Wir sind oft unglücklich. Viele Fragen, die wir haben, bleiben im Hals stecken, obwohl wir in Demokratien mit Meinungsfreiheit leben. Weshalb, frage ich mich, machen wir da nur mit?

Ursi Singenberger: Lebenskünstlerin, Coach/Heilerin & Naturverbundene