Velotour d’horizon

Diesen August am Rande von Biel: eine kleine Velokaravane fährt vor dem Asylzentrum in Bözingen vor. Es sind Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen die Isolation von Asylsuchenden in den neuen Bundes- und Kantonsasylzentren engagieren, die die Verhältnisse sichtbar machen und sich kantonsübergreifend vernetzen wollen. In Biel treffen sie auf vergleichsweise menschenwürdige Verhältnisse für die Zentrumsbewohner. Aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Vision 2035 sprach mit Lukas Degen, einem Teilnehmer dieser Velotour d’horizon.

Was ist die Idee dieser Velotour?

Das Projekt ist in Zürich entstanden. In Zürich werden seit mehreren Jahren bei Sans-Papiers, welche in der Nothilfe leben, die Zwangsmassnahmen angewendet: sprich Eingrenzungen auf das Gemeindegebiet der Unterkunft, Strafvollzug wegen illegalem Aufenthalt und Durchsetzungs- resp. Ausschaffungshaft. Das ist eine neue Stufe von Isolation, die Leute können nicht mehr ohne Angst, verhaftet zu werden, nach Zürich in die Rechtsberatung oder in die Schule kommen. Wir finden dies sehr problematisch – es ist ein Einschnitt in die Grundrechte des Menschen – und wir haben mit vielen verschiedene Aktionen darauf hingewiesen, so auch mit der Gründung des Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird …». Seit drei Jahren bemühen sich nun Leute aus der Zivilgesellschaft mit Besuchen in den Nothilfelagern den Zugang zur Rechtshilfe dezentral aufrecht zu erhalten. Im Zuge dieser Entwicklung wollten wir wissen, ob dieser Prozess in der ganzen Schweiz gleich abläuft, oder mit welchen Problemen die anderen Orte zu kämpfen haben.

Was ist das konkrete Ziel dieser Tour?

Es gibt mehrere Ziele: das eine ist, die Isolation von geflüchteten Menschen zu durchbrechen, sich untereinander zu vernetzen um das Thema grösser und sichtbarer zu machen, sowie gemeinsame Momente zu erleben. Ein zweites Ziel ist es, die Situation in den neuen Bundes- und Kantonsasyllagern zu dokumentieren. Dass geflüchtete Menschen jetzt, mit dem neuen Gesetz, seit März 2019 von Anfang an in diesen Bundesasylzentren konzentriert werden, können wir nicht akzeptieren. Das sind geschlossene Institutionen, wo du über Nacht drinnen bleiben musst, mit Einlasskontrollen durch die Securitas, mit sehr strikten Essens-Präsenzzeiten und einem Taschengeld von Fr. 21.– pro Woche. Ausserdem haben wir gemerkt, dass es nicht mehr reicht, das Thema lokal zu behandeln. Das ist anstrengend und ineffizient. Also kam die Idee auf, alle aktiven Regionen zu besuchen, um vielleicht voneinander zu lernen, sich auszutauschen. Aus all diesen Gründen diese Velotour d’horizon.

Wie viele Leute machen mit?

Die Tour dauert zweieinhalb Wochen, mitorganisiert durch viele lokale Gruppen. Teilnehmen können alle: Interessierte, Engagierte, Neuangekommene, Sans Papiers, wer auch immer. Die Idee ist, dass eine Kerngruppe von Ort zu Ort fährt, lokal grösser wird, und dann wieder weiterzieht. In Zürich sind wir gestartet, mit fünfzig Personen mitten durch die Stadt, dann gab es kleinere Etappen nach Baden und Aarau. In Basel gab es wieder einen grossen thematischen Sonntag, sicher mit 80 Teilnehmenden. Danach sind wir durch den Jura nach Delémont gefahren und jetzt hier in Biel angekommen.

Wie war der Empfang in den verschiedenen Städten?

Zum Teil kamen Politikerinnen und Politiker vorbei, es gab offene Runden mit Leuten der Zivilgesellschaft, aber auch eher interne Treffen mit Leuten, die schon viel über das Asylgesetz wissen. Zusätzlich waren wir immer wieder auf der Strasse sichtbar und versuchten, wirklich alle Menschen anzusprechen und klar zu sagen, dass wir mit der Entrechtung und der Isolation von Menschen nicht einverstanden sind.

Sie waren gestern Abend in Bözingen. Wie war dort der Empfang?

Im Vergleich mit den Erfahrungen aus Zürich sehr überraschend. Ich weiss nicht, ob es schon einmal einen solchen Empfang in einem Zentrum bei uns gegeben hat. Aber leider ist es auch im Kanton Bern ein Auslaufmodel, das noch bis Juni 2020 betrieben wird. Für uns war es eine sehr positive Erfahrung, dass abgewiesenen Asylsuchende ohne Perspektiven auf eine Rückkehr, mit Leuten im Verfahren zusammenleben können und dieselben Bedingungen haben. Sie müssen fünf mal pro Woche unterschreiben und erhalten ein menschenwürdiges Mass an Privatsphäre. Aber auf jeden Fall wird ab 2020 mit der neuen Ausschreibung im Kanton Bern auch eine Verschärfung stattfinden. Ob es reine Rückreisezentren und Nothilfelager geben wird, welche die Menschen mit negativem Asylentscheid stärker isolieren und für viele Geflüchtete zur Sackgasse ohne Ausweg werden, ist im Moment noch in der Ausarbeitung. Eine Beibehaltung einer ähnlichen Unterbringungspraxis wie in Bözingen wäre zu begrüssen.

Haben Sie dort Kontakte mit Asylsuchenden knüpfen können?

Ja, die Leitung hat uns offen empfangen, und ich denke, es ist dort auch für die Zivilgesellschaft möglich, vorbei zu gehen und einen Besuch zu machen. Man muss, wie in jedem Zentrum, seine Identität ausweisen, aber der Zugang ist eigentlich möglich. Das Zentrum scheint mir relativ gross. Es sind 160 Personen dort untergebracht, und das gibt Probleme, wenn man so viele auf so engem Raum leben lässt. Die Unterkunft ist wie eine Militärunterkunft, jedoch ohne Möglichkeit am Wochenende nach Hause zu gehen. Ursprünglich wurden die Baracken von den AutobahnarbeiterInnen benutzt und es lebten halb so viele Menschen darin, wie jetzt Asylsuchende. Immer zwei Leute teilen sich ein Zimmer, im Vergleich zu anderen Standorten in der Schweiz, wo es bis zu 18 Personen in einem Zimmer aushalten müssen, sind das aber sehr gute Verhältnisse. Für alle gilt: Wenn man so konzentriert lebt, bringt ein Kontakt zu Leuten ausserhalb der Lager viel, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist, in denen sich Menschen unter normalen Umständen treffen können.

Lukas Degen ist in Biel (27) aufgewachsen, besucht regelmässig Leute in den Nothilfelagern im Kanton Zürich und setzt sich seit mehreren Jahren im Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird …» dafür ein, dass Leute nicht systematisch ausgegrenzt, diskriminiert und zu Unrecht von rassistischen Polizeikontrollen verhaftet werden. Diesen Sommer fuhr er 2,5 Wochen mit der Velotour d’horizon durch die Schweiz

Weitere Informationen zur Tour

https://antira.org/velotour/