Culture Transition Urbanisme

Flüchtiges Wohnen

Darf man sich eine Stadt als spontan erträumen? Lässt sich eine Utopie entwickeln und als Geschichte so erzählen, dass sich Wohn- und Arbeitswelt vielleicht in Zukunft menschlicher, organischer anfühlen?

Offensichtich gibt es im Leben Themen, denen man immer wieder begegnet – egal ob man sich darum tut oder nicht. Eines meiner Themen sind Schiffscontainer. Während Dreharbeiten in der kalifornischen Wüste haben mich die unendlich langen Güterzüge immer wieder beeindruckt. Vier, fünf schwere Dieselloks ziehen Container durch die Wüste, die alle eigene Geschichten auf ihren Reisen rund um den Erdball zu erzählen wüssten. Faszinierend, oder?

Weniger schön ist die Tatsache, dass Container oft nach einmaligem Gebrauch auf Deponien dem langsamen Zerfall überlassen werden. Das Wiederverwenden der Container rechnet sich für die riesigen Transportunternehmen nicht. 

Die Vorstellung, gebrauchte Schiffscontainer als Wohn-, Atelier- und Arbeitsraum wiederzuverwenden ist nicht neu.

Wenn man mit dem Zug nach Zürich fährt, entdeckt man das «älteste»Schiffs-Container-Aushängeschild Helvetiens: den Freitag Tower. Ich muss jedes Mal schmunzeln, wenn ich ihn sehe. Irgendwie scheint der Container-Turm mit seiner finanzstarken architektonischen Nachbarschaft zu kokettieren. In den letzten Jahren ist sogar ein kleines Container-Dorf neben dem Tower entstanden mit dem schönen Namen «Frau Gerolds Garten».

Jede Stadt besitzt temporäre Brachen. Meist sind es kleine Flickstücke; Parzellen, die an bester Lage zentral gelegen sind–mit Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und öffentlichem Verkehr quasi vor der Haustür. Die Bauvorhaben auf diesen Grundstücken ziehen sich meist Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dahin. Wie wäre es denn, wenn wir kurzfristig und spontan solche Parzellen in urbane Lebensräume umgestalten könnten?

Unmöglich; das lässt sich nicht machen! Die Verantwortlichen der Städte werden argumentieren, dass die Gesetzeslage eine temporäre Nutzung nicht zulässt, die Vertragsausarbeitung viel zu komplex und mühselig ist und überhaupt: eine «Containeroptik» mitten in der Stadt? Das passt nicht! Schade, oder?

Studien belegen, dass künftig mehr Menschen in Städten wohnen werden. Und in Zukunft werden Städte vermehrt Verantwortung übernehmen und somit zu einer Vorbildfunktion für andere urbane Lebensentwürfe werden. Ein internationales Beispiel: Vor kurzem hat die britische Universitätsstadt Oxford entschieden, dass dieselbetriebene Motorfahrzeuge ab 2020 in der Innenstadt nicht mehr zugelassen werden. Dieser Entscheid zwingt Autohersteller, alternativ betriebene Fahrzeuge innert nützlicher Frist für den Markt bereit zu halten. Erstaunlich, wie viel positiv nachhaltigen Druck eine Stadt auf globale Entwicklungen ausüben kann. Nicht nur in Grossstädten, sondern auch in kleineren Städten entstehen eigenständige und eigenwillige Strukturen, die anziehend wirken. Ein regionales Beispiel: die schöne Veranstaltung «FirstFriday»in Biel strahlt bereits über die Kantonsgrenze, und man überlegt sich hier und da, wie Ähnliches in anderen Städten umgesetzt werden können.

Nicht nur wie wir künftig in Städten leben, sondern wie wir arbeiten, Arbeit «denken», ist sich am Verändern. Der Arbeitsmarkt wird herausfordernder und wir werden mit der Tatsache konfrontiert, dass wir zukünftig eventuell mehreren Jobs nachgehen, um einen erfüllten Alltag zu erleben.
Die zaghafte Diskussion um den digitalen Einfluss in unserem Alltag wird uns noch überraschen…die starren Strukturen von Familie, Arbeit, Mobilität und Freizeit sind im Aufbruch begriffen –ob wir das toll finden oder nicht. Die sogenannten Millennials –junge Menschen die um die Jahrtausendwende geboren wurden –sind sich dessen bereits bewusst, und es ist zu erkennen, wie sie sich nach alternativen Lebensentwürfen umsehen. Wie wäre es, wenn wir ihnen Angebote dazu hätten?

Mit diesem Blick auf die nahe Zukunft entsteht in meiner Phantasie ein Bild, das unter anderem flexiblere Wohn- und Arbeitsräume entstehen lässt, in denen Ideen und Konzepte zwangloser und effizienter angegangen werden können. Bestehende Räume sind meist für einen ganz bestimmten Zweck konzipiert und quasi für die Unendlichkeit in Stein gemeisselt –räumlich und ideell. Wie Räume bespielt werden können, zeigt ein Beispiel an der Bieler Bahnhofstrasse. «La Werkstatt»von Swisscom stellt unterschiedliche Arbeits-, Kommunikations- und Vortragsmethoden zur Verfügung. Ein Versuch hin zu einer sinnvolleren und effizienteren Nutzung von Raum im urbanen Raum.

In meiner Utopie werden mit Städten klare Verträge vereinbart, die erlauben, flüchtiges Wohnen und Arbeiten einzurichten. Die Verträge werden nach den Bauvorhaben auf den Brachen ausgerichtet und die Schiffscontainer müssen innert wenigen Tagen auf- und abgebaut werden können. Die Container werden in unterschiedlichen Modulen – als wären es Lego-Bausteine – an einem Standort dezentral so vorbereitet, dass sie in kürzester Zeit herantransportiert werden um nutz- und zahlbar bespielt zu werden. Die Ansprüche an die Ästhetik sind hoch und die Container-Landschaft soll sich in die Stadt integrieren lassen. Naturüberwachsene Brachen werden möglichst unberührt belassen, damit Flora und Fauna Lebensraum zurückbekommt. «Urban Gardening» spielt eine zentrale Rolle. Denn Menschen, die städtisch wohnen und arbeiten, möchten sich in ihrem Alltag «wirklich»mit ihrer Stadt identifizieren. Und wenn die Stadt ihre Wurzeln zum Natürlichen wiederfindet, dann entstehen vielleicht sogar «arkadische»Orte mitten im urbanen Raum.

Nun schliesse ich meine Augen und stelle mir vor, wie mein flüchtiger Wohn- und Arbeitsraum zuvor meine Nike-Turnschuhe und Miele-Waschmaschine und das Ikea-Bücherregal einmal um den Erdball in meine «gute Stube» transportiert hat. Gibt es nicht ein zeitgemässeres Bild, wie alles miteinander verbunden ist?

Martin Albisetti

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