Transition

Das Ende des Mangels

«Das Wort Steuer ist ein Sklavenwort; in der Polis ist es unbekannt. In einem wirklich freien Staat tun die Bürger alles eigenhändig und nichts mit Geld.»                     «Gesellschaftsvertrag», Jean-Jacques Rousseau (1762)

Das Ende des Mangels

Guido Müller, einstiger hochangesehener Bieler Stadtpräsident (1875 – 1963), wollte im Jahre 1933, in der Zeit der Krise und der hohen Arbeitslosigkeit, ein Schwundgeld in Biel einführen. Müller erfragte den Bundesrat, einen örtlich und zeitlich begrenzten Versuch des Freigeldes zu genehmigen.

Der Bundesrat erteilte ihm eine Absage. Die Angst: «Biel wäre kurz gesagt, währungspolitisches Ausland». Die Basler Nachrichten vom 4. April 1933 zitierten die Begründung wie folgt: «Denn nach der Bundesverfassung steht das Recht zur Ausgabe von Münzen, Banknoten und andern Geldzeichen ausschliesslich dem Bunde zu, jedoch kann er das Notenausgaberecht durch eine besondere Bank ausüben lassen. Dieses Notenmonopol hat die Schweizerische Nationalbank durch Bundesgesetz inne. Wollte irgend sonst wer das Recht erlangen, andere Geldzeichen an Stelle des Bundes auszugeben, so bedürfte es dazu einer Verfassungsänderung.» Der aufmerksame Leser wird sich zu Recht an die Vollgeld-Initiative erinnert fühlen, die voraussichtlich im 2018 zur Abstimmung kommt. Diese Initiative ist deshalb wichtig, weil nicht nur die Nationalbank, wie der Bundesrat behauptet, Geld ausgibt, sondern auch die rund 265 Banken in der Schweiz via Buch- und Giralgeld. Kurz erklärt: Sie möchten einen Kredit von 10’000 Franken aufnehmen. Die Bank überweist Ihnen das Geld auf ihr Konto und hinterlegt bei der Nationalbank dafür eine Sicherheit von Fr. 100.- (Giralgeldschöpfung). Selbstverständlich bezahlen sie auch Zinsen dafür. Münzen und Noten sind gesetzliche Zahlungsmittel, machen aber nur 10% der umlaufenden Geldmenge aus. 90% sind elektronisches Geld (Buchgeld). Mit dieser «unkontrollierten» Geldschöpfung durch Kredite werden Finanzkrisen wie diejenige im 2008 ausgelöst. Aber nicht nur rhetorisch sei die Frage gestellt, ob die Krise je ein Ende hatte?

Zurück zu Biel

Gegenwärtig ist so viel Geld wie noch nie auf der Welt im Umlauf. Trotzdem herrscht an vielen Ecken und Enden Mangel, so auch in Biel. Sprich das Geld funktioniert nicht richtig, es ist fehlerhaft. Das gegenwärtige Geldsystem erzeugt Armut, Arbeitslosigkeit und Finanzkrisen anstelle von Wohlstand für alle, und das ist durchaus gewollt.

Dr. Guido Müller hegte seine Zweifel am Schwundgeld und wollte diese mit einem praktischen Beispiel aus dem Weg räumen. Wie Hunderte weitere Gemeinden weltweit, orientierte er sich dabei an Wörgl (Ö). Dort hat der sozialdemokratische Bürgermeister Michael Unterguggenberger 1932 den Versuch gewagt. Mit Erfolg. Wolfgang Uchatius schreibt in der Zeit: «Es ist eine Geschichte über die ebenso gefährliche wie heilsame Kraft des Geldes.» Uchatius zitiert Unterguggenberger zu den Sparmassnahmen: «Das Sinnvolle dieser Maßnahmen liegt auf der Hand und sieht etwa so aus: Ich schränke mich ein und gehe barfuß (hilft das dem Schuster?). Ich schränke mich ein und reise nicht (hilft das der Bundesbahn?). Ich schränke mich ein und esse keine Butter (hilft das dem Bauern?).» Der Bürgermeister der 4000-Seelen-Gemeinde entschliesst sich gegen das Sparen, will eine Brücke bauen und Strassen erneuern. Er bezahlt die Löhne der Bauarbeiter mit Schwundgeld, ein Geld das an Wert verliert. Die Idee geht auf Silvio Gesell (1862 – 1930) zurück, aber auch der Anthroposoph Rudolf Steiner (1861 – 1925) war ein Verfechter des Freigeldes.

Die Arbeiter und Angestellten der Gemeinde Wörgl erhalten also «Arbeitswertbestätigungen», deren Wert monatlich um 1% abnimmt. Sprich der 10-Schilling-Schein ist bei Monatsende nur noch ein 9.90-Schilling-Schein und muss mit einer Marke von 10 Groschen aufgewertet werden. Das Geld muss fliessen und der Negativzins garantiert eine höhere Umlaufgeschwindigkeit. «Lindert die Not, schafft Arbeit und Brot», steht auf den Scheinen und tatsächlich reduziert sich die Arbeitslosenzahl um einen Viertel, die Steuereinnahmen nehmen zu und die Geschäfte verzeichnen höhere Umsätze. Nur 5500 Schilling sind im Schnitt im Umlauf, doch sie zirkulieren schnell: Vom Bäcker zum Metzger, vom Metzger zum Schreiner, vom Schreiner zum Schneider und von dort als Steuereinnahme in die Gemeindekasse zurück. Das «Wunder von Wörgl» geht um die Welt. Wörgl scheitert nach nur 13 Monaten an der österreichischen Nationalbank, die in einem internen Schreiben «die Abstellung dieses Unfugs» fordert und auch durchsetzt.

Neuland betreten

Mittlerweile gibt es über 4000 sogenannte Komplementärwährungen auf der Welt. Die Bewegung bekam während der Finanzkrise 2008 erneut Aufschwung. Die weltweite Transition-Town-Bewegung hat sich die Regionalwährungen ebenfalls auf die Fahne geschrieben. Viele davon sind private Initiativen, aber natürlich erhalten diese Projekte mehr Schlagkraft wenn sich eine Stadt entscheidet, Regiogeld auszugeben wie z.B. Bristol (GB). Die verschiedenen Projekte sind dabei in der Moderne angekommen: Die Vergabe von zinslosen Mikrokrediten wie z.B. beim erfolgreichsten Regiogeld-Projekt von Europa, dem Chiemgauer (D), bargeldlose Zahlungsmöglichkeiten via SMS oder Karten, verschiedene Ansätze des Negativzinses etc. Allen gemeinsam ist aber: Regiogelder fördern nachhaltige regionale Wirtschaftskreisläufe und die Innovationskraft für die Deckung des regionalen Bedarfs. Die Ausgabe, Steuerung und Kontrolle obliegt der direktdemokratischen Kontrolle einer Genossenschaft, eines Vereines oder einer Stadt und hat die vollständige Transparenz als Grundlage. Allfällige Überschüsse kommen dem Gemeinwohl zu Gute. Wann startet in Biel ein Regiogeld-Projekt? 50 motivierte Mitglieder und 30 Geschäfte brauchen wir für einen erfolgreichen Start.

Mathias Stalder ist Mitbegründer der Zeitung « Vision 2035 » 

Überblick der Lokalwährungen in der Schweiz:

Netzbon Basel: Seit über 10 Jahren. Zahlungsmöglichkeiten bei rund 130 sozialen und ökologischen Betrieben und Organisationen. www.netzbon.ch

Bonobo «Bon ohne Boss», Bern: Seit Januar 2015 im Umlauf und in rund 30 Betrieben angenommen. www.bonobo-bern.ch

Le Léman, Genf und Region: Seit 2015 aktiv mit rund 400 angeschlossenen Geschäfte. www.monnaie-leman.org

Farinet, Wallis: Erfolgreicher Start im 2017 mit bereits 151 beteiligten Betrieben. http://lefarinet.ch

Literatur:

Christoph Pfluger, Das nächste Geld – Die zehn Fallgruben des Geldsystems und wie wir sie überwinden, edition Zeitpunkt, Fr. 21.- Margrit Kennedy / Bernard A. Litaer: Regionalwährungen – Neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand, Riemann Verlag, Fr. 19.80

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