Culture Transition

Was ist eine gute Frage?

Es gibt viele Fragen, und manche sind ausserordentlich schön. Hatte Noah Fische auf seiner Arche? Für wen mache ich morgens mein Bett? Reicht die Zeit, um die guten Bücher noch zu lesen? Wozu Hunde? Solche Fragen können sich jedem stellen und die Antworten sind Nebensache. Es gibt viele Fragen, die überhaupt keine Antworten erwarten. Persönliche Fragen etwa, wenn sie rhetorisch sind. Oder jene, die schwierig sind, weil die Worte darin zu gross und damit leer geworden sind. Was ist der Sinn des Lebens? Die Tatsache, dass diese interrogative Zumutung nur in Frageform existiert, zeigt, dass sie nur individuell, nicht generell beantwortet werden soll.

Mit jeder Frage wird man – wie Aaron Bodenheimer bemerkt hat – hochgenommen. Fragen enden immer oben: dorthin wird man hochgehoben. Die Satzmelodie zeigt es schon, stimmt’s? Wie ein unter den Füssen weggezogener Teppich wirbelt die Frage den Befragten nach oben, wo er hängenbleibt und sich hastig um eine Antwort bemüht. Fragen erzeugen Schulden: wir bleiben eine Antwort schuldig, wenn wir sie zu geben ausserstande sind. Fragende sind meist die Mächtigen. Auch Kinder haben die Macht, die Grossen in Verlegenheit zu bringen. Das erwachsene Wissen verhält sich zum fragenden Kind wie ein Kilo Salz zum Meer. ‚Richtige’ Antworten sind wie ein Sack voller Geld in der falschen Währung für einen Bettler, der jetzt sofort ein paar Münzen braucht. Nur in der Fernsehquizshow darf man sagen, dass ‚B’ die richtige Antwort ist. Im Rest des Lebens sind Fragen selten eindeutig oder vollkommen richtig zu beantworten. Wissensfragen sind langweilig, wenn die Antworten schon bekannt sind. Welche Städte liegen unter dem Meeresspiegel? Und wie viele werden es in 30 Jahren sein?

In Fragen kommen Dinge in einem Satz zusammen, die sonst nicht zusammenpassen können. Wir suchen die Verbindungen zwischen ihnen, und hoffen, sie in der Antwort zeigen zu können. Können alle Tiere singen? Fragen sind oft Aussagen in Frageform, und ihre herausfordernde Satzmelodie geben ihnen Autorität und Macht über den Befragten.

 

Tine Metzler lebt in Zürich. Sie ist Künstlerin und Forscherin mit Schwergewicht Sprache und lehrt an der Hochschule der Künste in Bern

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