Der Ausbau der Wasserkraft in der Schweiz erfolgte dank der Arbeit tausender Saisonniers, die teils ihr Leben auf den Baustelle der Stauseen liessen. L’histoire de l’électricité en Suisse est donc aussi une histoire de migrations. Ein Beitrag in Deutsch (erster Teil) und Französisch (zweiter Teil) fruit d’une collaboration entre deux auteurs issus du domaine.
In den politischen Debatten der letzten drei Jahre tauchte überraschend eine völlig in den Hintergrund geratene Hauptaufgabe des Staates auf: die Versorgung der Bevölkerung. In einem Zeitalter, in dem man alles und jederzeit im Internet kaufen kann, reibt sich die Augen, wer im Supermarkt vor leeren Regalen steht oder plötzlich Güter des Grundbedarfs, wie Medikamente oder Strom, knapp werden. Dies in der Schweiz, dem Land mit einem der höchsten BIP pro Kopf der Welt. Während der Covid-19 Pandemie waren Ethanol, Schutzmasken, Schmerzmittel, aber auch Holz und Papier auf einmal knappe Güter. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine hatte die nächste Verknappung eines Alltagsgutes zur Folge, nämlich der Energie. Den Menschen wurde bewusst, wie abhängig sie von Energieimporten und somit von der Geopolitik sind.
Eine Schweizer Erfolgsgeschichte…
Wie so oft macht es den Anschein, dass die Schweiz glimpflicher aus der Energiekrise kommt als andere, nicht zuletzt wegen der vergleichsweise hohen Energieproduktion. Man ist hierzulande nicht ohne Stolz, dass 60% des Strombedarfes von der Wasserkraft kommt. Man profitiere von den sogenannten natürlichen Vorteilen des Landes: Grosse Wasservorkommen, die von Gletschern gespeichert werden, und eine Topographie, die sich durch grosse Höhenunterschiede auf kurzen Distanzen hervorragend dafür eignet, grosse Mengen an Elektrizität kostengünstig zu erzeugen.
Jedoch, so erneuerbar diese Energie auch sein mag, sie ist das Ergebnis einer umfangreichen Erschliessung der vorhandenen Ressourcen; die Eingriffe in die Natur waren riesig: Nicht nur wurden ganze Täler überflutet und zum Teil Dörfer verlegt, der Bau und Unterhalt der Stauseen in abgelegenen Gebieten erforderte auch Strassen und weitere Infrastrukturbauten.
Der Bau einer Infrastruktur, der die Transmutation von Wasser und Strom bewerkstelligt, hat jahrelange Bauarbeiten unter schwierigen Bedingungen erfordert und ist nach wie vor ein aktuelles Thema. Die grossen Staudämme, für die das Land bekannt ist, wurden in das Bild der Alpen integriert. Sie sind ein Zeichen der Eroberung der Natur durch die moderne Technik, eine gefeierte Episode der Schweizer Geschichte. Der Bau der teils spektakulären Staumauern ist auch ein Symbol für eine moderne und technologisch orientierte Schweiz, die die Urgewalten kontrollieren und zu ihren Gunsten nutzen konnte.
… die ohne Ausländer*innen nicht möglich gewesen wäre
Diese patriotische und modernistische Schweizer Erfolgsgeschichte, blendet jedoch aus, dass auch die Wasserkraftwerke – zumindest während des Baus – nicht ohne «Importe», bzw. ausländischer «Energie» hätten errichtet werden können. Die Rede ist von den abertausenden Saisonniers, die insbesondere in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Baustellen hierzulande gearbeitet haben. Ihnen dankt momentan kein Politiker, wenn es darum geht, sich wegen der vergleichsweise hohen Schweizer Energiesouveränität auf die Schultern zu klopfen.
Die Geschichte der Migration und insbesondere die der Saisonniers ist von Marginalisierung und Vergessenheit geprägt. In Diskussionen sowie in den Schulbüchern taucht der Beitrag der Saisonniers an die Schweiz wenig auf, am häufigsten noch in klischeehaften Erzählungen wie «sie haben unsere Küche durch das Olivenöl bereichert», als ob die Italiener*innen nicht auch gerade wegen der anderen Kochart über Jahrzehnte als Fremde diskreditiert wurden. Das Migrationsregime der Schweiz, so wie es das Ausländer- und Migrationsgesetz von 1931 festlegen, sollte die Schweizer Wirtschaft mit «Arbeitsenergie» bedienen, jedoch eine «Überfremdung» der Schweiz verhindern. Die magische helvetische Lösung hiess Rotationsprinzip bzw. Saisonnierstatut: die Arbeitskräfte sollten «rotierend» jahrein und jahraus nach Bedarf in die Schweiz kommen, jedoch lediglich für maximal 9 Monate ohne Garantie auf Erneuerung des Vertrages im kommenden Jahr. Grundlegende Rechte, wie das Recht auf freie Niederlassung, Arbeitgeberwahl sowie das Recht auf Familie, galten nicht für die Saisonniers.
Tod auf der Baustelle
In der Schweiz trafen Menschen aus dem Ausland nicht nur auf rechtliche Diskriminierungen – oft gepaart mit Fremdenfeindlichkeit – harte Arbeitsbedingungen sowie hygienisch dürftige Behausungen, sondern zum Teil auch auf den Tod. Es gab immer wieder tödliche Unfälle auf Schweizer Baustellen, angefangen bei den Tunnelbauten Ende des 19. Jahrhunderts. Das Denkmal «Vittime del lavoro» des Tessiner Bildhauers Vincenzo Vela (1820-1891) beim Bahnhof von Airolo zeugt davon, obwohl es entgegen dem Willen des Künstlers zum Denkmal für die Arbeit und Opferbereitschaft des Ingenieurs und Bauunternehmers Louis Favre (1826-1879) umgewidmet wurde.
Auch in der Ausstellung «Wir, die Saisonniers… 1931-2022» im Neuen Museum Biel (siehe Infobox) findet man ein Denkmal für die Arbeiter*innen, die den Bau der Schweizer Infrastruktur ermöglichten, jedoch ihr Leben dafür lassen mussten. Eine eindrückliche Fotografie von Pia Zanetti hält eine Beerdigungsszene in den Abbruzzen im Jahr 1965 fest. Fünf Frauen schreiten zusammen mit zwei Kindern zum Begräbnis, im Hintergrund erkennt man an der Mauer eines Wohnhauses eine Todesanzeige. Dieses Bild der schwarz gekleideten Frauen mit ebenfalls schwarzem Kopftuch scheint aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt zu stammen. Jedoch hat es sehr viel mit der Geschichte und Aktualität der Schweiz, nicht zuletzt mit der Energieversorgung, zu tun. Der Verstorbene starb nicht etwa eines natürlichen Todes, sondern durch einen «Arbeitsunfall» in der Schweiz.
Die Tragödie von Mattmark
Am 30. August 1965 um 17.15 Uhr bereiteten sich zuhinterst im Walliser Saastal auf 2197 Metern Höhe Arbeiter auf ihre Nachtschicht auf einer der damals grössten Baustellen Europas vor. Sie wärmten sich noch etwas in ihren Schlafsälen, lasen wohl noch Briefe ihrer Familienmitglieder in Italien oder Spanien. Oberhalb der Baracken lag die Zunge des Allalingletschers, der sich hundert Jahre früher noch über den ganzen Talgrund gezogen hatte, dort wo nun einer der grössten Stauseen Europas gebaut werden sollte. Dann krachten plötzlich innerhalb von 30 Sekunden zwei Millionen Kubikmeter Eis und Geröll auf die Baracken der Arbeiter nieder. Der Schnee lag bis zu 50 Meter hoch über den Verschütteten, niemand konnte lebend geborgen werden. Die traurige Bilanz der Katastrophe: 88 Tote, 5 Verletze. 65 der Verstorbenen stammten aus dem Ausland, darunter 56 aus Italien.
War die Katastrophe Naturgewalt oder beruhte sie auf menschlichem Versagen? Hätte man den Tod dieser Arbeiter verhindern können, indem die Behausungen weiter unten im Tal bzw. nicht unmittelbar unter der Gletscherzunge errichtet hätte? Dieser Frage musste sich ein Gericht annehmen, denn Hinterbliebene klagten gegen die Walliser Kraftwerke Mattmark AG sowie gegen die Behörden. Der Richter beteuerte sieben Jahren nach dem Gletscherabbruch das, was der angesehene ETH-Professor Gerold Schnitter unmittelbar nach dem Unglück in die Kamera des Schweizer Fernsehens gesagt hatte: Niemand hätte einen solchen Absturz erahnen können. Das Gericht sprach sämtliche 17 Angeklagten frei, darunter Ingenieure und Direktoren der Elektrowatt und zwei Suva-Beamte. Niemand könne wegen Naturgewalt zur Rechenschaft gezogen werden. Das Gerichtsverfahren hätten jedoch Menschen verursacht, weshalb die Klägerfamilien die Hälfte der Gerichtskosten übernehmen müssten. Medien in Italien zeigten sich empört, wie die Walliser Behörden und Energieunternehmen ihre Hände in Unschuld wuschen. Kritische Stimmen in der Schweiz vermuteten, dass sich Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gegenseitig decken würden. Spätere journalistische sowie universitäre Recherchen gaben Hinweise dazu.
et maintenant, la suite en français:
Les saisonniers, une infrastructure?
La tragédie de Mattmark a quelque chose d’exceptionnel dans ses répercussions, car elle dirige l’attention, pour un temps en tout cas, sur les détails sordides de la construction du réseau hydroélectrique. Les infrastructures ont en effet ceci de caractéristique que la fonction qu’elles permettent (transport, communication) remplacent dans l’esprit des utilisateurs leur réalité physique (routes, câbles). Ce n’est que quand elles faillent qu’il faut soudain s’occuper de leur matérialité, afin d’établir un diagnostic. Mais l’infrastructure que l’accident de Mattmark révèle, ce n’est pas le réseau hydroélectrique suisse. Plutôt, elle oriente le regard sur l’ensemble des infrastructures “accessoires”, celles nécessaires à la construction des grands barrages des Trente Glorieuses: à côté des outils financiers allouant aux grandes entreprises hydro-électriques les moyens de matérialiser leurs projets, des cheminements de livraisons de matériaux, ou encore du réseau routier construit pour permettre à tout ce monde l’accès aux hautes vallées alpines, la presse s’intéresse donc soudain aux ouvriers étrangers venus en suisse participer aux grands chantiers alpins. Et comment ne pas comprendre l’arrivée des travailleurs et travailleuses saisonnier•ère•s en Suisse comme une infrastructure ? Sa fonction principale serait de pourvoir en force de travail les postes que les Suisses quittent pour des positions plus stables ou mieux payées, bref, plus dignes. En tant que structure organisationnelle, le permis A permet à la Suisse d’exporter, en cas de crise, son chômage, puisque les premiers licenciés seront toujours les saisonniers. Après 1975 et la fin de la construction du barrage d’Emosson, les forces hydroélectriques disponibles du Valais sont, pour la plupart, harnachées. Les chantiers sont terminés, mais le système des saisonniers permet de ne pas avoir à se préoccuper de trouver un emploi à tous les travailleurs qui ont pris part aux chantiers: ils sont simplement renvoyés chez eux. De manière cynique, on pourrait parler d’un système durable pour l’économie et la société suisse, si l’on ne considère pas le problème à l’échelle transnationale.
Les saisonniers, privés de leur famille, sont logés pour les saisons d’été dans des villages temporaires, retirés de la ville, constitués de baraquements en bois. Ceux de Mattmark avaient trouvé leur place au plus près possible du chantier, afin de limiter les temps de trajets, et il s’ensuivit le drame du 30 août 1965. Pour les autres chantiers, les villages sont ensuite démontés, transportés, et réutilisés ailleurs. Enchaînant les chantiers (par exemple avec les constructions successives de Cleuson, Salanfe puis de la Grande Dixence) un même travailleur-•euse saisonnier•ère pouvait donc avoir été logé, pendant des décennies, dans un des logements “temporaires”. Il faut alors se demander si la dénomination est réellement adéquate. Les alentours du chantier sont renaturés, selon le jargon, de sorte que les barrages apparaissent comme des évènements géologiques, l’œuvre de “titans” selon le titre d’un film de Edgar Hagen. Il reste pourtant d’autres traces matérielles du passage des saisonnier•ère•s en Suisse: Les postes sanitaires de frontière sont un exemple de cette archive territoriale. C’est dans ces bâtiments, intégrés aux gares d’arrivés dans le pays, Chiasso, Brig, Genève, La Chaux-de-Fonds ou Buchs, que l’on retirait à ces travailleurs à la fois leurs vêtements et leur dignité, afin de limiter la propagation de maladies infectieuses. C’en était en tout cas le but avéré. Car le contrôle permettait également, moins officiellement, de sélectionner uniquement les corps sains pour les besoins de l’industrie.
Si officiellement, le statut de Saisonniers a disparu en suisse avec les accords bilatéraux avec l’Union Européenne en 2001, dont la libre circulation est un pilier central, le principe persiste. Après les Italiens, ce furent les Espagnols et les ressortissants d’ex-Yougoslavie, puis le Portugais. Aujourd’hui, sur ces chantiers de haute montagne le polonais, le slovaque et le roumain ont remplacé la langue italienne. La structure du saisonnier, au fond, n’a fait que s’adapter aux nouvelles conditions politiques. Avec les incertitudes énergétiques que le climat géopolitique actuel soulève, le regard va de nouveau se tourner vers les Alpes. Il conviendrait alors de se rappeler qui construit réellement notre indépendance énergétique, afin de donner enfin à ces femmes et ces hommes sinon la visibilité qu’ils méritent, alors au moins la dignité dont ils sont privés. N’oublions pas que l’un des trois piliers du développement durable est la durabilité sociale. Une énergie réellement “verte” reposerait donc également sur le respect des conditions de vie de ces travailleurs et travailleuses venus de l’étrangers.
Texte:
Rune Frandsen (1989) est architecte EPFL et doctorant à l’ETH Zürich. Son travail de recherche, à cheval entre les chaires d’architecture du paysage et d’histoire de la construction, l’amène à s’intéresser à la composante sociale de la construction du réseau hydroélectrique des Alpes suisses, dans les années suivant la Seconde Guerre Mondiale. Rune@frandsen.ch
Florian Eitel (1981) ist Historiker. Er promovierte an der Universität Freiburg zum Thema Uhrenindustrie und Anarchismus. Seit 2017 ist er Kurator für Geschichte am NMB Neues Museum Biel. florian.eitel@nmbiel.ch
1 Zur bewegten und unrühmlichen Geschichte des Denkmals «Vittime de lavoro» siehe den Fernsehbeitrag von Tiziano Gamboni, « Le vittime del lavoro » di Vincenzo Vela, RSI 19.10.1982 (Abrufbar im SRF-Archiv : https://www.rsi.ch/play/tv/-/video/le-vittime-del-lavoro-di-vincenzo-vela?urn=urn:rsi:video:12947780)
2 Siehe dazu den Beitrag «Antenne» vom 06.09.1965, abrufbar im SRF-Archiv: https://www.srf.ch/play/tv/archivperlen/video/die-katastrophe-von-mattmark?urn=urn:srf:video:365c0ec0-3a0c-46ba-aaa7-8fe5bca37357.
3 Les Années des Titans, 2000, Edgar Hagen. Voir le film ici: https://www.playsuisse.ch/detail/958400?locale=fr
Bild: Pia Zanetti, Familie Buzzi auf dem Weg zum Friedhof, 1965. Fotostiftung Schweiz mit freundlicher Genemigung von Pia Zanetti.
Photo à droite: Village ouvrier du P4 au – dessus d’Arolla. Les baraquements servaient de base pourcreuser les tunnels d’amenée d’eau vers la Grande
Dixenc, Médiatheqie du Valais.
Eine hochwertige verkleinerte Kopie der Karte (Siebdruck) in Farbe kann im Shop des NMBs für 15.- erworben werden, damit an möglichst vielen Orten an die Saisonniers erinnert wird.