Biel ist eine Wasserstadt – auch ohne Agglolac. Da sind die Quellen am Jurahang, die einst zur Gründung der Stadt an dieser Lage führten. Da ist der See, dessen Wasser sechs Mal im Jahr vollständig ausgetauscht wird. Da ist die Schüss mit ihren Armen, die das Stadtbild prägen. Da ist das Grundwasser, das bei jedem grösseren Bauvorhaben Spundwände nötig macht. Und wie läuft das eigentlich mit der Trinkwasserversorgung, den unsichtbaren Röhren, Pumpen und Reservoiren? Einblicke in Biels Wasserwelt mittels kleiner fiktiver Geschichten voller Fakten und Zahlen.
In Madretsch steht eine Studentin frühmorgens in der Küche ihrer WG im dritten Stock eines Altbaus. Sie dreht den Kalt-Wasserhahn auf und lässt das Wasser laufen. Sie hat einmal in einem Artikel im Bieler Tagblatt gelesen, dass es ratsam sei am Morgen vor dem Trinken das Kaltwasser einige Minuten fliessen zu lassen, damit kein über Nacht in den Leitungen gestandenes Wasser im Glas landet. Der Tipp stammt von Andreas Hirt, beim ESB für den Bereich Wasserversorgung verantwortlich. Er bestätigt:
„Wasser ist ein Frischprodukt ohne Konservierungsmittel und am besten, wenn es fliesst. Steht es längere Zeit, können sich Keime vermehren.“
Besonders wichtig sei es, nach der Rückkehr aus den Ferien die Hahnen aufzudrehen – so lange bis das Wasser kühl komme. Auch gebe es in den Häusern häufig Leitungen, die selten gebraucht werden. Im schlimmsten Fall könnten durch darin stehendes Wasser Rückverkeimungen bis ins Trinkwasser entstehen. Deshalb am besten diese Leitungen regelmässig spülen oder wenn es sich um solche für Anschlüsse aussen am Haus handelt, über den Winter trocken legen. „Sparen ist sinnvoll und wichtig beim Warmwasser, das viel Energie benötigt“, sagt Hirt: „Beim Kaltwasser braucht man nicht allzu knausrig zu sein. Es geht entweder durch den See oder durch unser Leitungsnetz. Wir verbrauchen es dabei nicht, wir nutzen es nur.“ Und er fügt an: „Erschrecken Sie also nicht, wenn Sie einmal jemandem von uns vom ESB einen Hydranten voll aufdrehen sehen ohne irgend ein Feuer in Sicht. Auch die Löschwasserleitungen müssen wir von Zeit zu Zeit spülen, sonst fault das Wasser darin.“ Und ja, gelöscht wird mit Trinkwasser.
Im Beaumont lässt eine Frau abends nach der Arbeit ein Bad voll laufen. Schön warm, 150 Liter, was ziemlich genau der durchschnittlich pro Person und Tag verbrauchten Wassermenge entspricht. Sie macht das natürlich nicht jeden Tag. Sie freut sich auf die Entspannung und denkt nicht daran, was es hinter den Kulissen dafür gebraucht hat: 1.5 Kilowattstunden Energie pro Kubikmeter Wasser, oder runtergerechnet auf ihre Badewannenfüllung so viel wie eine 60Watt-Glühbirne braucht, wenn sie 2.5 Stunden brennt. So viel hat es allein gebraucht, um das Wasser zu ihr hochzupumpen – die Energie für den Boiler kommt noch dazu. Zuerst ist das Wasser vom Seewasserwerk durch eine 800mm-Transportleitung bis nach Biel geflossen und hat dabei den Nidau-Büren-Kanal und den Zihlkanal gequert. Es hat sich im Bieler Netz in eine 700mm- und eine 500mm-Leitung verzweigt, danach in 150mm- bis 400mm-Leitungen. Aus diesem verzweigten Netz wurde das Wasser mit dem Pumpwerk Schützengasse in das Reservoir Mahlenwald gepumpt, und von dort mittels Pumpwerk Mahlenwald in das Reservoir Beaumont, das höchst gelegene der neun Bieler Reservoire. Dabei hat es 200 Höhenmeter überwunden. Gefüllt wird dieses Reservoir übrigens jeweils in der Nacht, wie auch alle anderen in oberen Druckzonen (Vingelz, Vogelsang, Vorberg, Wilerberg). Dann nämlich wenn in der unteren Druckzone der Verbrauch abnimmt.
90 Prozent der Kundinnen und Kunden des ESB befinden sich in der Unteren Druckzone und geben den Takt vor, in dem das Seewasserwerk Trinkwasser produziert. Andreas Hirt sagt nicht ohne Stolz:
„Wir produzieren direkt und bedarfsgeführt ins Netz. Frischer geht es nicht.“
Ausgleichen hilft das Reservoir Krähenberg mit seinen zwei Mal 2500 Kubikmeter Fassungsvermögen. Ist es zu weniger als etwa 80% gefüllt, schaltet das Seewasserwerk eine Stufe hoch bis das Niveau wieder mehr als 90% beträgt, dann schaltet das Seewasserwerk eine Stufe zurück.
Am meisten Wasser wird jeweils am Morgen, Mittag und Abend verbraucht mit Spitzen kurz nach 12 Uhr und zwischen 18 und 19 Uhr. Es werden dann in der Stadt bis zu 18 000 Liter pro Minute verbraucht, in der Nacht sinkt der Verbrauch auf 2000 Liter pro Minute. Der totale Tagesverbrauch (Biel und Nidau) beträgt durchschnittlich rund 13’500m3 oder 13,5 Millionen Liter.
Im Inselspital in Bern geht ein Patient aufs WC. Er hat Röntgenaufnahmen hinter sich und musste verschiedene Medikamente schlucken. Er spült. Sein Urin inklusive Medikamentenrückstände gelangt alsbald in die Berner Abwasserreinigungsanlage. Dort kann aber längst nicht alles zurückgehalten werden. Spuren der Medikamente, in des Patienten Fall insbesondere Röntgenkontrastmittel, werden mit der Aare in den Bielersee gespült. Ein paar Tage oder Wochen später haben die Wasseraufbereiter vom ESB im Seewasserwerk damit zu tun – natürlich in winzigen Mengen. Ein riesiger Aufwand, sie nun milliardenfach verdünnt herauszuholen. Andreas Hirt sagt:
„Wir sind am Schluss der Kette. Besser wäre es, an deren Anfang anzusetzen, direkt bei den Spitälern zum Beispiel, wo besonders viele Medikamentenrückstände ausgeschieden werden.“
Dort spezielle Kläranlagen einzubauen, das wäre seiner Ansicht nach sinnvoll, statt die Spurenstoffe später mühsamst wie eine Nadel aus dem Heuhaufen herauszusuchen. Das Gleiche bei der Landwirtschaft: „Wird ein Mittel, wie jüngst Chlorothalonil, verboten, gelangt einfach das nächste zum Einsatz, das erlaubt ist, bis vielleicht irgendwann auskommt, dass auch dieses möglicherweise krebserregend ist“, so Hirt. „So lange wir Fungizide und Pestizide einsetzen, so lange haben wir sie auch im Wasser und damit ein Problem.“ Ein Bio-Produzent habe ihm mal erklärt, dass es gerade betreffend Pilzbefall im Getreidebau auch ganz anders ginge. Er säe einfach weniger dicht, damit die Ähren mehr Abstand zueinander haben und besser abtrocknen können.
In Bözingen füllt ein Familienvater einen Krug mit Wasser und stellt ihn auf den Esstisch. Gleich kommen die Kinder von der Schule heim. Was er nicht weiss: sie werden ihren Durst auch mit ein bisschen Quellwasser löschen. Denn in Bözingen, weit draussen nach der Holzfachschule am Fuss des Juras speisen noch zwei Fassungen der Leugenenquelle ins Bieler Trinkwassernetz ein. Bis zu 600 Liter pro Minute sprudeln hier aus dem Boden. Wer vorne am See wohnt, bekommt von diesem Wasser nie etwas ab, die Bözinger, je näher sie an diesen Quellfassungen wohnen desto mehr. Allerdings nicht immer. Nach starken Regenfällen, auch wenn sie nur im Jura niedergehen, müsse die Einspeisung, so Hirt, immer mal wieder unterbrochen werden. Kuhmist von den Weiden und andere Verunreinigungen gelangten dann mitunter relativ schnell ins Quellwasser. „Das Karstgestein im Jura ist durchlässig wie Bahnschotter, ganz anders als die Alpen.“ Beim ESB hat man deshalb immer ein wachsames Auge auf das Wetter und die Leugenenquelle und behandelt sie generell aus Sicherheitsgründen mit einer Schutzdosierung auf Chlorbasis. Apropos Quellwasser: Immer wieder auftretende Verschmutzungen waren auch der Grund, die anderen Bieler Quellen vom Netz zu nehmen. Zuletzt im Jahr 2005 die Merlinquelle, welche Biel Ende des vorletzten Jahrhunderts von der Gemeinde Plagne erworben hatte. Sie versorgte via das Reservoir Mahlenwald ab 1879 und bis 1953 zusammen mit der Römerquelle und der Châtelquelle, später auch der Leugenenquelle, die Stadt ausschliesslich mit Quellwasser. Ab da kam Grundwasser aus Worben, später aus Gimmiz dazu, 1975 schliesslich aufbereitetes Seewasser. Die Quellen verloren an Bedeutung. Zunächst die Châtelquelle, die in der Schlucht der Schüss oberhalb Friedliswart liegt. Seit 1973 wird sie nicht mehr genutzt, weil verschmutztes Flusswasser in die Quelle gelangt. 1991 schliesslich wurde auch die Römerquelle vom Bieler Trinkwassernetz abgehängt, sie die einst entscheidend zur Gründung der Stadt Biel an genau diesem Ort beigetragen haben dürfte (siehe dazu auch Artikel in Vision 2035 Nr. 30)
Im Elfenaupark erfreuen sich ein Kind und seine Grossmutter an den fetten Karpfen im Teich. Was sie dem Wasser nicht ansehen: es stammt nicht etwa aus der Schüss, deren Arme links und rechts vom Elfenaupark fliessen, sondern aus dem Überlauf der Römerquelle. Das ist Francis Meyer, dem die Villa Elfenau nebenan gehört, sehr wichtig.
„Für meine Forellen, die ich in einem separaten Teich züchte, wollte ich nicht Wasser, in das irgendjemand etwas reingetan haben kann.“
Also zog er vor rund 30 Jahren eigenhändig mit Kollegen und in Kooperation mit der Liegenschaftsverwaltung der Stadt Biel dem Schüsskanal entlang eine 1.5 km lange Leitung von der Quellfassung der Römerquelle neben der Talstation Leubringenbahn bis zum Elfenaupark. Gleich ausserhalb der Brunnstube darf er Wasser abzapfen – mit der Auflage vom Kanton, es wieder in die Schüss zurückzuleiten. Dieser Rückfluss ist das kleine Bächlein, das durch den Elfenaupark sowie dessen Teich und dann vorbei am Restaurant Ecluse um die Ecke in die Schüss fliesst.
Zur Reinheit der Römerquelle, die seit 2002 nicht mehr kontrolliert wird und damit offiziell nicht mehr als Trinkwasser gilt, sagt Francis Meyer: „Ich trinke regelmässig davon. Es ist mir noch nie etwas passiert.“ Im Spätmittelalter versorgte die Römerquelle alle öffentlichen Brunnen in Biel mit frischem Trinkwasser. Das Wasser der Quelle umgab ausserdem die Burg und die Stadt in offenen Wassergräben und trieb von der Brunnstube bis hinunter zur Mühlebrücke mehrere Mühlen an. Spuren davon gibt es noch heute: Im Moxi neben dem Restaurant St. Gervais beispielsweise, das auf über 400-jährigen Grundmauern steht, hat Francis Meyer im hinteren Teil die Sicht auf das unter dem Haus durchfliessende Wasser der Römerquelle freilegen lassen. Genau an dieser Stelle sei einst ein Mühlrad angetrieben worden.
Und dann sind da natürlich auch noch die privaten Brunnen, die teils seit dem 16. Jahrhundert ans Netz der Römerquelle angeschlossen sind und für die ein jährlicher Wasserzins zu entrichten war. 2.72 km Leitungen und mehr als 20 Brunnen umfasst das Verteilnetz heute noch. Um es aufrecht zu erhalten haben sich zahlreiche BrunnenbesitzerInnen 2019 zu einer Genossenschaft formiert und mit der Stadt Biel vereinbart, das Netz auf eigene Kosten zu übernehmen, während die Quelle in Obhut der Stadt bleibt.
Im Falbringenquartier trinkt ein Hund vom Wasser aus dem Brunnen beim Pärkli neben der Epicerie 79a. Eine Frau kommt dazu und beginnt Pet-Flasche um Pet-Flasche mit dem klaren Wasser zu füllen. Die beiden beachten das durchgestrichene Trinkglas unterhalb des Hahnens nicht. Offiziell ist das hier kein Trinkwasser, der Brunnen nicht wie alle anderen unten in der Stadt ans Trinkwassernetz angeschlossen. Sie trinken es auf eigenes Risiko aber sind längst nicht die Einzigen. Das Wasser komme aus einer Quelle, die irgendwo oben im Wald entspringt, weiss Francis Meyer, der sich viel mit den Bieler Quellen befasst hat. Historische Belege gebe es dazu leider nicht.
„Man hat die Fassung gesucht, aber nie gefunden. Dass das Wasser immer klar fliesst, ist ein Zeichen, dass es von tief aus dem Berg kommt.“
Der Brunnen müsse aus der Zeit stammen, als im Gebiet Sonnhalde und Falbringen einzig ein paar Bauernhöfe standen, umgeben von Weiden und Rebbergen, wie noch auf Karten aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts zu sehen ist. Er vermutet, dass er vor allem den Tieren zum Trinken und zur Bewässerung der Reben gedient hat.
Fakt ist: Aus dem Jura und von den umliegenden Höhen fliesst viel Wasser durch das Karstgestein Richtung Biel. Dort tritt es an verschiedenen Stellen als Quelle aus dem Hang oder schiebt sich unter der Stadt hindurch. Grössere Bauprojekte in Biel machen diesen unterirdischen Grundwasserstrom immer wieder bewusst – man erinnere sich an die Manor-Baustelle. Laut Geologischen Untersuchungen fliessen pro Sekunde rund 2500 Liter Wasser durch durchlässigen «Schüss-Schotter» unter der Stadt hindurch Richtung Nidau-Büren-Kanal.
Doch nochmal zurück zu den Brunnen: Auch jene unten in der Stadt wurden einst von Vieh besucht. Um sie herum herrschte reger Betrieb, Pferde wurden getränkt und Brunnenaufseher beaufsichtigten, dass niemand das Wasser verschmutzte. Heute verbrauchen die rund 100 öffentlich zugänglichen Brunnen praktisch ungenutzt 425 Kubikmeter Trinkwasser am Tag.
Text:
Janosch Szabo ist freier Journalist, Mitglied der Kernredaktion von Vision 2035 und Mitherausgeber.
Er liebt die Herausforderung, Fakten und Zahlen hinter dem «Vorhang» hervorzuholen und komplexe Themen anschaulich zu erzählen. Er trinkt am liebsten Wasser, zu Hause, im Restaurant oder direkt von einem Brunnen in der Stadt.
Das Trinkwasser in Biel:
- kostet die Verbraucher Fr. 1.30 pro Kubikmeter. Dieser Preis ergibt sich aus den Kosten für die Aufbereitung und Versorgung. Diese sind zwar durchaus schwankend, werden aber über jeweils 5 Jahre gemittelt. Einen Gewinn darf der ESB mit der Wasserversorgung von Gesetzes wegen nicht erzielen, das wird vom Kanton überwacht. Ist die Bilanz nach 5 Jahren in den schwarzen Zahlen, müssen die Tarife gesenkt werden, ist sie in den roten Zahlen steht eine Erhöhung an.
wird vom Energie Service Biel aufbereitet und bis zu den Häusern geliefert. 380 Kilometer Leitungen umfasst das unterirdische Netz, das laufend unterhalten werden muss. In der Regel liegt die Lebensdauer einer Frischwasserleitung bei bis zu 80 Jahren, in der Innenstadt aber eher kürzer, weil Bauarbeiten und Verkehr eine vorzeitige Erneuerung oder Umlegung erfordert. Innerhalb der Häuser liegt die Verantwortung für die Leitungen bei den Hausbesitzern. Für das Abwasser, welches die Häuser verlässt, ist wiederum das Tiefbauamt der Stadt Biel zuständig. - ist mittelhalt, künftig wird es durch das neue Seewasserwerk noch weicher. Dadurch können Waschmittel, Regeneriersalze und Entkalkungsmittel eingespart werden.
- wird im Seewasserwerk online permanent überwacht auf physikalische Parameter wie Trübung, Lichtdurchlässigkeit, Leitfähigkeit, pH-Wert. Wöchentlich nimmt der ESB Proben für mikrobiologische Analysen im eigenen Labor und monatlich Proben für chemische Analysen, die extern untersucht werden. Dabei gilt: man findet nur, wonach man sucht. 29 Parameter stehen aktuell im Fokus. Dies aufgrund einer Risiko-Analyse, was an für die Trinkwasseraufbereitung relevanten Stoffen im See sein kann. Das heisst nicht, dass nicht noch viel mehr drin ist. Aber diese Stoffe sind entweder nicht relevant, noch nicht entdeckt, oder unterhalb er Nachweisgrenze, die momentan im Nanogramm-Bereich liegt, wo noch vor zehn Jahren nicht gemessen werden konnte.
- Zusätzlich erfolgt auf Verdacht oder spätestens alle 5 Jahre eine sogenannte «non target suspect analyse» in der das Labor das Wasser auf Fremdstoffe untersucht und versucht diese Stoffe zu identifizieren. Wenn da etwas gefunden wird, das nicht ins Wasser gehört, wird es auf die Analyse-Liste genommen und häufiger analysiert.