Viele werden nun an Kultur, Bademöglichkeiten, Lebensstandard, Offenheit der Bevölkerung, Sicherheit, Angebote zur Kinderbetreuung, Ausgang und internationale Anbindung denken. Unser Autor Christian Wittker auch, allerdings aus Sicht der Vögel.
Wenn ich an einem Frühlingsmorgen durch Biel spaziere, oder Exkursionen leite, treffe ich regelmässig über 20 verschiedene Vogel-Arten an. Auf der Runde Stadtpark – Madretschschüss – Silbergasse – Gartenstrasse – Logengasse sind neben den «allgemein bekannten» Arten auch Gartenbaumläufer, Wasseramsel, Gänsesäger, Girlitz, Distelfink, Alpensegler, Türkentaube, Schwarzmilan und viele mehr zu beobachten. In der Dämmerung bekommt man mit etwas Glück noch den Biber zu sehen.
100 Arten in Biel
Vögel sind wichtige Indikatoren für die Biodiversität, das heisst, sie verraten uns viel über die Vielfalt und Qualität der Lebensräume in einem bestimmten Gebiet. Vögel haben den grossen Vorteil, dass sie (zumeist) tagaktiv sind und zudem lautstark auf sich aufmerksam machen. Es gibt genügend Arten, um sinnvolle Aussagen zu machen und gleichzeitig ist die Diversität noch überschaubar. In Biel brüten rund 80 verschiedene Arten, knapp 20 weitere sind regelmässig zu anderen Jahreszeiten anzutreffen. Die rund 100 Vogelarten verraten uns durch ihre Präsenz, Absenz und Häufigkeit viel über den Lebensraum Stadt Biel, sie dienen uns als Gradmesser der Biodiversität.
Alle Arten möchten auch ihre Kultur leben, ihre Grundbedürfnisse decken, baden, nicht zu viele Feinde antreffen, Nachwuchs grossziehen, Rastplätze für den Vogelzug finden, kurze Distanzen fliegen bis zu weiteren geeigneten Lebensräumen und so weiter. Die flexiblen Arten können das problemlos: Ringeltauben, Raben- und Saatkrähen, Amsel, Mönchsgrasmücke, Hausrotschwanz, Rotkehlchen, Hausspatz und Buchfink haben keine Mühe in Biel eine Heimat zu finden. Anspruchsvollere Arten finden sich nur noch in kleinen Restflächen, am Stadtrand, oder dort wo sie gezielt gefördert werden. Dazu gehören zum Beispiel Grünspecht, Mehlschwalbe, Gartenrotschwanz, Teichrohrsänger, Trauerschnäpper, Neuntöter oder Goldammer. Einige davon sind klingende Namen, die auch Nicht-Vogelkundler schon gehört haben. Und viele gehören eigentlich in unsere Gärten. Doch dazu später mehr.
Segler in Wohnungsnot
Für die Dienststelle Umwelt der Stadt habe ich mit Michael Lanz (Milan Vogelschutz Biel, Vogelwarte Sempach) ein Arten-Förderkonzept geschrieben. Wir haben 23 Arten ausgewählt, die in Biel gefördert werden können und sollen. Diese verteilen sich auf das Siedlungsgebiet aber auch auf die Wald-, Kulturland- und Gewässerflächen. In diesem Artikel bleiben wir in der Siedlung. Hervorzuheben sind da insbesondere jene Arten, die an Gebäuden nisten. Unsere Segler und Schwalben geraten mit der modernen Bauweise zunehmend in Wohnungsnot. Alte Gebäude mit Nischen und Schlupflöchern, mit Dachvorsprüngen und rauem Verputz werden ersetzt durch kubische Bauten aus Beton und Glas. Da haben kaum noch Vögel Platz. Ihre aktuellen Brutplätze müssen geschützt werden und zusätzliche Nistmöglichkeiten sollen geschaffen werden, wo es Sinn macht. Sie nisten gerne in lockeren Kolonien, also in der Nähe von bereits besetzten Nestern. Die Verbreitungsschwerpunkte in der Stadt Biel sind bekannt. Die Dienststelle Umwelt gibt gerne Auskunft.
Auch für den Wanderfalken soll eine Nistgelegenheit auf Bieler Boden geschaffen werden. Das Projekt ist bereits nahe an der Umsetzung: Unser Kongresshaus soll damit ausgestattet werden. Der Wanderfalke, wie andere Greifvögel auch, hat eine wichtige Rolle im Ökosystem inne. Er erbeutet kranke und geschwächte Tiere und trägt damit zur Gesundheit der Populationen bei. Wir freuen uns sehr darauf, ihn künftig vermehrt in Biel zu sehen.
Für die kleineren Arten ebenso wichtig ist die Förderung der Nahrungsgrundlage. Insbesondere Insekten sind dabei zentral, weil auch vegetarisch lebende Arten für die Aufzucht der Jungen mehrheitlich tierische Kost brauchen.
Förder-Massnahmen für die Insektenvielfalt betreffen insbesondere die Grünflächen in der Stadt. Und damit kommen wir nun wieder zu den Gärten.
Biodiversität kann sich nur dort entwickeln, wo eine Lebensgrundlage vorhanden ist: lebendiger Boden. Dieser ist aber nicht nur für die Biodiversität wichtig: Er lässt Wasser versickern und kann es auch wieder verdunsten. Das sind zwei wichtige Faktoren im Kampf gegen Hochwasser und Hitzeperioden. Die Fläche der Stadt Biel ist zum grössten Teil versiegelt und der Anteil wächst weiter. (Damit die Autos auch auf dem Parkplatz keine dreckigen Reifen kriegen? )
Für die Biodiversität ist insbesondere der Bewuchs entscheidend. Wichtig sind einheimische Pflanzenarten. Diese dienen einer Vielzahl von Insektenarten als Nahrung, die ihrerseits wieder die Grundlage sind für die weiteren Nahrungsketten.
Für Vögel ist auch die Vielfalt in der dritten Dimension entscheidend. Wenig bis kein Bewuchs ist vorteilhaft für die Nahrungssuche, hohe Gräser und Kräuter bieten leckere Samen, während Sträucher und Bäume als Versteck oder Brutplatz wichtig sind. Die meisten Arten brauchen unterschiedliche Strukturen in unmittelbarer Nähe.
Das ist in jedem Garten möglich: dichte Hecken, wilde Ecken und viele Verstecke mit einheimischen Sträuchern, Ruderalflächen, extensiven Wiesen und diversen Kleinstrukturen, dafür ohne Dünger, ohne Gifte und ohne Katzen. Das Potential ist riesig – sowohl in den privaten Gärten als auch auf den Grünflächen der Stadt, genau so wie auf Industrie- und Firmenarealen, in Genossenschaften, auf Flachdächern, bei Neubauten und so weiter.
Ja, das ist alles Repetition, viele von uns hören und erzählen das seit Jahren. Ich bin ungeduldig. Es muss was gehen in den Köpfen der Gartenbesitzerinnen, Gartenbauer, Architekten, Stadtplanerinnen und Politiker.
Bereits das Betrachten von Bäumen und Grünflächen ist gut für unsere Gesundheit und unser psychisches Wohlbefinden. Zu Asphalt und Beton gibt es meines Wissens kaum ähnliches zu vermelden. Begrünen wir also wo wir können! Für konkrete Hilfestellungen rund um die Förderung der Biodiversität sind wir zahlreich und einfach zu finden. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit für eine noch lebensfreundlichere Stadt.
Text: Chrigi Wittker, Wahlbieler seit 2015, selbstständiger Umweltnaturwissenschafter mit dem Unternehmen Sackstarch, Exkursionsleiter, Gartenberater, Vater, angehender Primarlehrer. Im stetigen Einsatz für eine gesunde Zukunft bei der Natur Schule See Land, im Milan Vogelschutz, bei den Jardins Papillons, für die Permakultur- und die Transition-Bewegung.
Fotos: Nicolas Stettler, ist Nidauer, studiert Biologie und ist bereits semi-professioneller Fotograf und Exkursionsleiter in diversen Kursen über Vögel. www.nicolas-stettler.ch
Was kann ich tun? – konkrete Handlungsoptionen
– versiegelte Böden befreien
– begrünbare oder zumindest sickerfähige Beläge wählen
– Bäume pflanzen (einheimische, die gross und alt werden dürfen)
– Bäume erhalten
– Rasen wo immer möglich extensiv und abschnittweise pflegen
– einheimische Blumen in Rabatten pflanzen, wenn möglich Stauden
– das lokal anfallende organische Material vor Ort lagern und kompostieren, was wertvolle Kleinstrukturen (Laubhaufen, Asthaufen, Kompost) schafft
– Totholz erhalten, es lebt weiter!
– Gebäude, Mauern, Brücken sollen Nischen bieten
– Fassaden und Dächer begrünen
– invasive Neophyten reduzieren
– wenn Ihre Katze stirbt, besorgen Sie nicht eine neue, es gibt schon viel zu viele! Helfen Sie lieber mit bei der Betreuung der Nachbarskatze, damit ist allen geholfen.
Gemeinsam sparen wir so auch viel Geld und Arbeitszeit.