Ob absichtlich eingeführt oder versehentlich eingeschleppt: Rund 730 sogenannte Neophyten (neue Pflanzen) haben Menschen in den letzten Jahrhunderten in die Schweiz gebracht. Einige davon sind problematisch. Ab dem 1. September 2024 sind nun 50 dieser invasiven Neophyten verboten bzw. dürfen nicht mehr verkauft werden. Matthias Hauert, Inhaber der Gärtnerei Leonotis und Neophyten-Beauftragter von Grossaffoltern plädiert dafür, die Sache differenziert anzuschauen.
Matthias, jetzt ist gerade per 1.9.2024 die angepasste Freisetzungverordnung für invasive Neophyten in Kraft getreten. Rund 50 Pflanzen sind verboten, dürfen nicht mehr importiert, gezüchtet, verkauft oder verschenkt werden. Ist das ein Meilenstein in der Bekämpfung der invasiven Neophyten?
Es ist immer die Frage, was das bringt, ob es der richtige Ansatz ist, eine ganz bestimmte Anzahl Pflanzen einfach komplett zu verbieten. Es zeigt zwar, dass man etwas tun will gegen die besonders invasiven Pflanzen. Aber schürt ein solches Verbot nicht auch viel Angst bei den Menschen? Wichtiger scheint mir jedenfalls, zu überlegen, wie man mit diesen Pflanzen umgehen will.
Was wäre dein Ansatz als Fachmann?
Das Ganze differenzierter anzuschauen, das wäre mir wichtig. Da ist zum Beispiel die Zierlupine, eine alte Kulturpflanze, die in der Schweiz bereits seit zwei Jahrhunderten existiert. Nun darf sie auf einmal nicht mehr verkauft werden. Aus Mittelland-Sicht ist das wenig verständlich, denn das Problem besteht auf über 2000 Metern oben auf dem Furkapass und im Engadin, wo sich diese Lupinen stark ausbreiten. Doch die Verordnung besteht gesamtschweizerisch. Mich stresst das nicht für unsere Gärtnerei, und doch merke ich an diesem Beispiel, dass der Zierpflanzenbau benachteiligt wird. Ist ja nur eine Zierpflanze, so die Haltung. Dass aber eine ganze Gartenkultur dahinter steht, wird nicht beachtet. Andererseits gibt es natürlich schon Neophyten, bei denen man aufpassen muss.
Beispiele dafür?
Zum Beispiel der Japanknöterich (Japanischer Staudenknöterich). Der verdrängt heimische Arten und breitet sich, wenn nichts unternommen wird, wirklich ungehindert auf Feldern oder in ganzen Bachläufen aus. Und dann – in völliger Reinkultur – destabilisiert er Uferböschungen, weil keine Bäume mehr wurzeln können. Auch der Kirschlorbeer wird sich in Zukunft sehr in unseren Wäldern etablieren, da es wärmer geworden ist und er auch im Winter stark wachsen kann. Als immergrüne Pflanze unterdrückt er den Jungwuchs der Waldbäume und verdrängt Waldpflanzen. Die Vögel, die gern die Beeren des Kirschlorbeer fressen, kacken die Kerne halt irgendwo raus. So verbreitet er sich und gelangt in den Wald, wo er Schaden anrichtet.
Gibt es auch Pflanzen, wo ‚der Zug bereits abgefahren ist‘?
Ja klar, z. B. beim Berufskraut ist es an sich hoffnungslos. Eine einzige Pflanze davon produziert bis zu 40’000 Samen. Besonders auf sogenannten ‚irritierten Standorten‘ kann sich das Berufskraut sehr gut ausbreiten, zum Beispiel an Wegrändern, die bis zum Erdreich runtergemäht werden. Da entstehen offene Fläche, auf denen verschiedene Pionierpflanzen (Anm. d. Red. Pionierpflanzen sind die Erstbesiedler von vegetationsfreien Flächen) eine Chance hätten. Doch das Berufskraut konkurrenziert und unterdrückt diese. Auch Kiesgruben sind solche irritierten Standorte. Dort muss der Mensch, der ja in die Natur eingegriffen hat, konsequenterweise am Anfang gut hinschauen und regulieren, sonst entstehen schnell Reinkulturen von zum Beispiel Sommerflieder, einem anderen invasiven Neophyt. Aber sobald sich wieder eine Struktur gebildet hat, die dem etwas entgegensetzt, kann der Mensch die Natur auch wieder selber machen lassen.
Sind Neophyten wie auch das Berufskraut mit ihren Blüten nicht auch wertvoll für Insekten?
Als Nektarspender ist das Berufskraut tatsächlich super. Aber lässt man es einfach machen, wächst auf irritierten Flächen rasch nur noch das. Anders sieht es bei Buntbrachen aus, in denen das Berufskraut auch ab und zu vorkommt. An sich stört es dort nicht. Doch die aktuelle Haltung ist eher: Kaum hat es irgendwo Berufskraut drinnen, werden Strassenböschungen und Bahnborde gleich niedergemäht – alle anderen dort wachsenden Pflanzen, wie zum Beispiel der wertvolle Wiesensalbei, inklusive. Mit dieser radikalen Praxis habe ich Mühe, denn wir haben in den letzten 20 Jahren mehr als die Hälfte aller Fluginsekten verloren. Wir müssen mehr Flächen schaffen, wo es einfach wachsen darf. Wir Menschen haben stets Angst, die Natur nehme uns ein. Dabei sind es unsere Eingriffe in die Natur und die Monokulturen all überall, die dazu geführt haben, dass wir in diese Situation mit den Neophyten geschlittert sind.
Gehen wir nochmal zurück in die Gärten. Dort dürfte der schon erwähnte Kirschlorbeer eines der grössten Themen sein…
In der Tat. Er wird halt so oft gesetzt, weil er günstig ist und sehr schnell wächst. Aber er gibt nichts zurück ausser Sichtschutz – und vor allem viel Arbeit. Eineinhalb Meter Jahresaustrieb. Man muss ihn ständig zurückschneiden. Das ist doch Sisyphus.
Was kann ich tun, wenn ich nun die Kirschlorbeer-Hecke ersetzen möchte, nicht aber auf den Sichtschutz verzichten will?
Wer das möchte, kann die ‚Neophyten-Hecke‘ zum Beispiel sukzessive durch neue Pflanzen ersetzen. Warum immer gleich mit dem Bagger auffahren und alles eins zu eins ersetzen? Ich sträube mich gegen den aktuellen quick-hedge-Trend, diese fertigen Heckenelemente, die einfach in einen Graben geknallt werden und fertig ist die neue Hecke. Dem Wandel im Garten darf man gerne Zeit geben, vielleicht mal zwei drei Kirschlorbeer rauspickeln und so Platz für was anderes schaffen. Das ganze in Etappen angehen.
Was sind ganz konkret Alternativen zum Kirschlorbeer?
Immergrüne einheimische Pflanzen wie Eibe, Stechpalme, Liguster oder Buchs, der aber anfällig auf den Buchsbaumzünsler ist. Nicht mehr zu empfehlen sind Thuja-Hecken, denen es zu warm geworden ist. Dafür kann man zunehmend auf Mittelmeerpflanzen ausweichen, wie zum Beispiel die Ölweide. Auch eine mit Schling- und Kletterpflanzen bewachsene Holzwand kann eine Möglichkeit sein, wo es wirklich um Sicht- und Lärmschutz geht. Aber das ist es ja gerade; in den wenigsten Situationen muss die Hecke das ganze Jahr hindurch immergrün sein. Wenn ich mit den Leuten in ihren Garten stehe und eine Bedürfnisanalyse mache, werden oft noch ganz andere Wünsche geäussert: Blumen, Früchte in der Hecke und vor allem möglichst wenig Arbeit. Den meisten genügt es, wenn sie dann Sichtschutz haben, wenn sie im Sommer draussen sitzen. Und so reden wir bald einmal zum Beispiel über Spindelbäume – Birnen, Äpfel, Aprikosen, Pfirsich. Die brauchen nicht so viel Platz. Ich habe in all den Jahren noch nie einen Kirschlorbeer verkauft oder gepflanzt.
Wie ist es mit Einheimischem?
Die typische Frage. Über die Hälfte meiner Kundinnen und Kunden wollen explizit nur Einheimisches. Dabei sind Neophyten à priori nichts schlechtes. Es gibt in der Schweiz viele unproblematische Pflanzen, welche ursprünglich nicht einheimisch waren. Die meisten Nutzpflanzen, die wir in der Schweiz haben, stammen aus Südamerika oder von anderswo. Das müssen wir uns bewusst sein. Auch die teils grosse Skepsis gegenüber Züchtungen ist unbegründet. Wäre nicht gezüchtet worden, gäbe es noch heute nur Holzäpfelchen und Mini-Wildtomaten. Züchtungen und Selektion sind wichtig, gerade auch in der Gartenkultur und bei den Zierpflanzen. Wir wollen ja, dass etwas möglichst lange blüht oder nicht zu gross wird. Natürlich finde auch ich einheimische Pflanzen super und wichtig. Für manche spezifische Insektenarten sind sie gar überlebensnotwendig. Aber warum soll Gezüchtetes schlechter sein?
Was ist von den Neophytensäcken zu halten, die nun Biel und umliegende Gemeinden eingeführt haben und in denen ausgerissene Neophytenpflanzen kostenlos entsorgt werden können?
Es gibt Menschen, welche Neophyten am Strassenrand einfach ausreissen und dann am Boden liegen lassen. Das ist keine gute Idee. Der Wind kann so Pflanzenteile und Samen leicht verbreiten. Die Neophytensäcke sind klar die bessere Option. Es machen viele Leute mit, wie ich gehört habe. Das Bedürfnis, etwas zur Weltverbesserung beizutragen, scheint gross. Wenn ich aber sehe, wie manche undifferenziert alles „Fremde“ ausreissen oder im Dorf „Polizist“ spielen, habe ich auch Bedenken. Wir brauchen nicht überall eine „saubere Sache“, sondern vor allem Überlegungen dahingehend, was man anders machen könnte, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Als Neophytenbeauftragter von Grossaffoltern versuche ich im Rahmen von Aktionstagen den Interessierten diese differenzierte Sichtweise zu vermitteln. Ich hätte gerne auf dem Dorfplatz anstelle des ungenutzten Rasens einen alternativen Garten angelegt, aber das wurde vorerst vom Gemeinderat abgelehnt.
Kommentar:
Gesunder Menschenverstand im Umgang mit Neophyten
Ob nun ein Neophyt für eine bestimmte Region ‚wertvoll‘ ist, ist ein Abwägen – und was früher galt, muss heute nicht mehr gelten. Denn veränderte klimatische Bedingungen, welche einerseits naturgemäss stattfinden oder wenn der Mensch im grösseren Stil schändlich in die Natur eingreift wie z. B. durch grossflächige Waldrodungen, spielt dabei eine grosse Rolle.
Obschon es richtig ist, dass der Mensch reguliert, soll er sich aber nicht zu sehr in intakte Natur einmischen. Denn auch, wenn die Menschen meinen, sie wüssten alles, könnten alles erforschen und unter Kontrolle bringen, wissen sie de facto noch sehr wenig über die Zusammenhänge in der Natur. Es handelt sich um eine hochkomplexe Angelegenheit – ein Wechsel- und Zusammenspiel von unzähligen Faktoren und Einflüssen, wo das eine das andere mit sich zieht und ein Eingreifen durch den Menschen unter Umständen ungeahnte Auswirkungen haben kann.
Die Leute sind durch die mediale Aufmerksamkeit gleich gegenüber allen Neophyten skeptisch geworden. Und obschon die stark invasiven Neophyten – besonders in Reinkultur, welche die Artenvielfalt und die heimischen Pflanzen bedrohen, eine reelle Gefahr für die Biodiversität bedeuten, sind diese Pflanzen nicht a priori ’negativ‘ oder gar ein ‚böses Kraut‘. Einige Arten passen einfach aufgrund der starken Ausbreitung oder strukturell nicht in die heimische Gegend.
AutorInnen-Info.
Trice Wanner und Janosch Szabo sind Mitglied der Kernredaktion von Vision 2035 und haben beide schon als Kind von ihren Eltern Gärtnerwissen und die Wichtigkeit von Diversität mit auf den Weg bekommen.
Verbot jetzt in Kraft
Ab dem 1. September 2024 sind diverse Neophyten-Pflanzen in der Schweiz ‚verboten‘ bzw. dürfen nicht mehr verkauft werden.
Der Bundesrat hat entsprechend die angepasste Freisetzungsverordnung verabschiedet. Verboten ist die Abgabe bestimmter invasiver gebietsfremder Pflanzen an Dritte, was den Verkauf, das Verschenken sowie die Einfuhr beinhaltet. Die vom Verbot betroffenen Pflanzen, darunter auch der Schmetterlingsstrauch, der Kirschlorbeer oder der Blauglockenbaum sind in einem neuen Anhang der Freisetzungsverordnung aufgelistet. Wichtig: Pflanzen, die sich bereits in Gärten befinden, sind vom Verbot nicht betroffen.
Link zur Verordnung:
Neophytensack und Sträuchertausch
Die Stadt Biel fährt beim Thema Neophyten-Bkämpfung zweigleisig. Einerseits findet am 23. November 2024 zum dritten Mal eine kostenlose Sträuchertausch-Aktion statt. Bis am 1. September konnten Interessierte ihre gewünschten Ersatz-Sträucher bestellen, um zum Beispiel für einen ausgelochten Kirschlorbeer eine einheimische Kornelkirsche zu bekommen. Andererseits hat Biel zusammen mit 12 anderen Gemeinden letztes Jahr den Neophytensack lanciert, der kostenlos bezogen werden kann, um damit exotische Problempflanzen im Kehricht zu entsorgen. Die Stadt Biel ruft damit ihre Bevölkerung dazu auf, die invasiven Neophyten in ihren Gärten zu bekämpfen und korrekt zu entsorgen. Mehr dazu unter: www.biel-bienne.ch/de/neophytensack.html/3146