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Auf den Baustellen arbeiten auch Handwerkerinnen

Die Gewerkschaft Unia hat 300 Frauen in Bauberufen zu ihren Erlebnissen im Arbeitsalltag befragt. Zwei von ihnen hat Vision 2035 nun zum Interview getroffen, um von ihnen aus erster Hand zu hören, wie das so ist das Frau sein auf der Baustelle, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen, was sie beschäftigt. Stefanie, 45, und Yelines, 31, machen als Malerinnen in unterschiedlichem Kontext verschiedene Erfahrungen.

Wie kamen Sie zu dem Entschluss, eine Ausbildung in einem Bauberuf zu machen? Wie haben ihre Familie, ihre Freunde reagiert? 

Stefanie: Ich habe die Lehre in 1994 angefangen, das war eine andere Zeit als heute und bei mir war irgendwie einfach klar, was ich machen wollte. Die Eltern damals haben da nicht so viel geschaut, ich habe mich frei gefühlt. Fast alle in meiner Familie haben etwas mit Zähnen gearbeitet, aber das hat mich nicht so interessiert. Ich habe schon immer sehr gern gemalt, kreativ mit Händen gearbeitet und habe mir das Malerin-sein auch romantisiert verklärt. So habe ich die Malerlehre gemacht.

Yelines: Ich bin im Kinderheim aufgewachsen, wo wir viel selber gemalt und uns in verschiedenen Tagesstrukturen kreativ betätigt hatten. So habe ich das Richtige für mich gefunden. Und ich bin schnuppern gegangen. Die Schnupperwoche war zwar katastrophal. Und eigentlich wollte ich Graphikerin werden, einfach unbedingt etwas mit den Händen und etwas Kreatives lernen. Grafikerin war jedoch zu teuer und jetzt ich bin sehr gerne Malerin und froh, dass es so gekommen ist. 

Wie war die Ausbildung? Vor welcher Herausforderung standen Sie als Frau?

Yelines: Bei mir war sie halb-halb. Ich hatte Schwierigkeiten eine Lehrstelle zu finden.  In der vorherigen Generation haben plötzlich viele Frauen diese Lehre gemacht. Doch der schweizerische Maler- und Gipsverband hat dann gemerkt, dass Frauen schwanger werden, Teilzeit arbeiten wollen und dass sie als Arbeitskräfte öfters verloren gehen. Und so haben sie einen Stopp gemacht, Frauen auszubilden.

Stefanie: Bei mir war es umgekehrt. Wir hatten vielleicht 13 Frauen und nur 3 Männer in der Berufsschule. Das war ganz extrem und darum habe ich mich von Anfang gar nicht komisch gefühlt, weil viele Frauen um mich herum waren, war das so normal. Meiner Erfahrung nach gab es, was Malerinnen betrifft, immer sehr viele Frauen. Bei den anderen Bauberufen treffe ich jedoch leider nur wenige. In meiner Zeit gab es das Vorurteil, Frauen arbeiteten viel besser und sauberer. Und dieses Vorurteil hat auch geholfen, eine Lehrstelle zu finden.

Hatten Sie Schwierigkeiten, nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz zu finden? Haben Sie bereits bei der Einstellung Diskriminierungen festgestellt (Lohn, usw.)? 

Yelines: schwierig, sehr schwierig. Ich habe eine Arbeit gefunden, temporär findet man schnell eine Arbeit und man kann sie auch behalten, wenn man gut arbeitet. Aber es gibt sehr viele schlechte Arbeitgeber, die, egal ob Frau oder Mann, die Leute ausnutzen. Die verlangen zum Minimallohn, noch schneller, noch mehr zu leisten, oder bezahlen nicht, was sie müssen. Das macht mir immer Schwierigkeiten. Ich sehe Kollegen, die 20 Jahre in einem Betrieb arbeiten und psychisch fertig sind. 

Ich war schon bei mehreren, auch grossen, Firmen. Malerinnenlehrlingen gibt es viele, aber sie bleiben nicht. Dann bist du trotzdem immer wieder die einzige Frau auf der Baustelle. Von einigen Jahren sind die Frauen nicht lange im Beruf geblieben, weil der Umgangston rau war.  Bei mir hiess es, die Frauen seien nicht so stark und man müsse sie schonen. 

Stefanie: Ich machte ganz andere Erfahrungen, weil ich nicht in solchen grossen Firmen gearbeitet habe. Ich habe ein paar Jahren bei einem Dekorationsmaler gearbeitet, wo wir zu dritt waren, oder auch beim Vater einer Freundin. Ich musste keine Bewerbungen schreiben. Ich habe die Erfahrungen von Yelines einfach nicht gemacht. Aber ich weiss, dass es solche Situationen gibt. Ich habe mich eigentlich, ausser mit dem Mindestlohn, nie damit auseinandergesetzt. Es war mir in dieser Zeit nicht so wichtig, viel zu verdienen. Ich habe mich wohl und aufgehoben gefühlt, eine Zeit lang war ich auch temporär angestellt und es hat mir Spass gemacht. Nur einmal war der Lohn ein Thema, doch da habe ich gesagt, «nein! Sie müssen mich richtig bezahlen und sonst Tschüss». 

Haben Sie den Eindruck, dass die Zeiten anders sind und die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt ist?

Stefanie: ich glaube schon

Yelines: Vorher gab es mehr Qualität, mehr Zeit, heute machen sie mehr Zeitdruck und es muss immer noch schneller gehen…

Stefanie:  Ich habe einen Ein-Frau-Betrieb und bin in einem Netzwerk von Selbstständigen. Wenn ich einen grossen Auftrag habe, dann rufe ich die anderen an und frage, ob jemand kommen kann; wir unterstützen uns gegenseitig. Für mich ist das so absolut gut, denn ich bin sehr frei und muss nicht Arbeit für zehn Angestellte haben. Das wäre gar nichts für mich, und so kann man auch mal etwas Grösseres annehmen, dann halt wieder einen Monat lang nichts… 

Wie erleben sie die Beziehungen zu ihren männlichen Kollegen und mit den anderen Frauen auf den Baustellen? 

Yelines: Ich habe es sehr gut. Schon der Lehrmeister hatte gesagt, ich sei keine Dekoration auf der Baustelle. Wenn gegen 300 Männer da sind, musst du schon zeigen, dass du arbeiten kannst, dann haben sie auch Respekt. Aber ich hatte öfters Kolleginnen, die weinten, weil sie schlecht zu ihr waren. Da musst du schon eine dicke Haut haben. 

Stefanie: Ich habe nie auf grossen Baustellen gearbeitet. Und auch nicht das Gefühl gehabt, anders behandelt zu werden als Frau. Aber ich habe auch eine dicke Haut, und wenn jemand mal einen blöden Spruch macht, ist es mir egal, es macht mir nichts aus. Aber ich achte auch darauf, wie ich mit den Leuten umgehe. Wenn ich kommuniziere, versuche ich immer höflich und respektvoll zu sein. Ich habe erfahren, dass man so behandelt wird, wie man selber die Leute behandelt. 

Yelines: Wenn so viele Leute zusammen arbeiten, gibt es schon auch blöde Witze. Man muss sagen, dass es eben auch Frauen gibt, die voll geschminkt auf eine Baustelle gehen und sagen, «oh es gibt keine Lampe, ich mache den Männern schöne Augen, dann bekomme ich eine Lampe». Aber da spüren sie schnell die Konsequenzen. Die Männer, checken das  und verlieren den Respekt. Du musst als Frau halt auch darauf achten, wie du dich verhältst auf der Baustelle, damit man dich ernst nimmt. 

Stefanie: Ich habe schon in einem Büro gearbeitet und auch dort gibt es eine Kleiderordnung, aber wir haben das schon in der Hand. Wir sehen uns nicht ohnmächtig. Ich fühle mich nicht als Opfer, obschon es manchmal Situationen gab, wo ich mich unwohl oder unsicher fühlte. 

Yelines: Es hat schon Situationen gegeben, in denen man mich nicht ernst nahm, aber das ist selten und geschieht meistens mit älteren Kunden, wenn wir bei ihnen zu Hause arbeiten. Die sprechen dann immer bei meinen Kumpels an, obwohl ich die Bauleiterin bin. Bei den Kollegen und Kunden der älteren Generation merkt man, dass sie es dir nicht zutrauen. 

Welche konkreten Forderungen haben Sie als Frau? Wie werden frauenspezifische Forderungen von den männlichen Kollegen wahrgenommen?

Yelines: bessere Möglichkeit zur Teilzeitarbeit! Wir haben schon die Möglichkeit, aber die Unternehmen sind nicht wirklich darauf vorbereitet.

Stefanie: Ich möchte, dass Frau und Mann gleich viel verdienen und alle Handwerker:innen besser bezahlt werden. Und Teilzeitarbeit soll für Männer und Frauen möglich sein. Die Zeiten haben sich geändert und niemand möchte sich mehr zu Tode arbeiten. Zudem ist es auf der Baustelle schwer. 

Yelines: Wir Maler und Gipser möchten zudem mehr Ferien. Wir haben nur 22 Tage, während in vielen anderen Berufen 5 Wochen oder mehr normal ist.

Stefanie: Es ist mehr mein Wunsch, als eine eigentliche Forderung, dass Frauen sich mehr vernetzen sollten. Frauen machen es nicht wie Männer, die sich zum Beispiel im Klub treffen. Die Frauen sollten sich auch vernetzen. Ich überlege mir schon lange, wie man das machen könnte, dass Frauen Seilschaften bilden, sich gegenseitig Aufträge zuschieben etc. Da müssen wir uns bei unsere eigene Nase nehmen. Ich habe den Eindruck, Frauen funktionieren ganz anders als Männer. 

Habt ihr auch Forderungen, was sexuelle Belästigung betrifft?

Beide: Niemand will sexuelle Belästigungen, klar. Es ist traurig, dass es solche Forderungen überhaupt geben muss. 

Yelines: Ich will das gar nicht fordern, denn das sollte einfach selbstverständlich sein. Und wegen der Sauberkeit und Hygiene auf der Baustelle: ich bin schon happy, wenn es eine Toilette gibt, es war immer sehr schwierig, aber nicht nur für Frauen. Es ist für Frauen einfach Doppel schwieriger wegen der Menstruation. Das ist ein grosses Problem. Und eine Toilette kostet nicht viel, ist für 40.- in der Woche schnell installiert, wenn man eine Baustelle hat. 

Stefanie: Das hat auch mit der Wertschätzung der Handwerker und Handwerkerinnen zu tun. Auch von der Seite der Kunden. Es hat weniger mit dem Geschlecht zu tun, vielmehr mit der Wertschätzung von Handwerkern, und da müssen wir Frauen und Männer zusammen lösen. 

Yelines: Ja, das finde ich auch. Aber ich möchte gerne etwas wegkommen von dieser Frauen- Männerkiste. Wir müssen die Probleme alle zusammen anpacken und Lösungen gemeinsam finden. 

Interview und Foto: Claire Magnin, Redaktion

Redaktionelle Mitarbeit: Christine Walser

Frauen auf dem Bau

Stefanie und Yelines waren an der Entwicklung der UNIA-Umfrage zu Frauen auf Baustellen beteiligt, bei der Antworten von rund 300 Arbeiterinnen gesammelt wurden. Weitere Informationen: https://www.unia.ch/de/kampagnen/frau-auf-dem-bau

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