Natur Urbanismus

Biodiversität in der Stadt, geht das?

Was geschieht in der Stadt Biel zu Biodiversität und was können deren Einwohnerinnen und Einwohner selbst beitragen? Unsere Autorin hat Fachleute befragt und ein aktuelles Projekt speziell unter die Lupe genommen, hinter dem Forscher*innen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften stehen.

Zwischen Parkplatz und Schulhaus Wildermethmatte entdeckt man beim Vorbeispazieren einen niederen Holzzaun. Dahinter ragt der hohe Samenstand einer Nachtkerze empor, eine Pflanze, die vor allem für Nachtfalter eine wichtige Nahrungsquelle ist. Sie entfaltet ihre essbaren Blüten in der Dämmerung, ein Schauspiel dass man sich nicht entgehen lassen sollte. Zwischen den hohen Stauden leuchten die rosaroten Blüten des Storchenschnabels.
Es handelt sich um eine von drei Mischpflanzungen in Biel, welche die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) angelegt hat; die anderen beim Friedhof Mett und an der Portstrasse/Erlacherweg. Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt soll die ZHAW damit mehr über die Biodiversität und ihre Förderung in städtischem Raum herausfinden. Insgesamt sind schweizweit 16 Gemeinden und Städte am Projekt beteiligt.

Um zu messen inwiefern die Versuchsflächen die Biodiversität verändern, haben die Forschenden sogenannte Bioindikatoren festgelegt. Das sind die Tiere, an denen sie den Erfolg des Projektes messen wollen. Für die oberirdische Biodiversität wurden Schmetterlinge und Schwebefliegen als Indikatoren ausgewählt, für die unterirdische Biodiversität, Springschwänze und Regenwürmer. Damit Letztere eine Chance haben zur Fläche zu stossen, kamen Verkehrsinseln für die Mischpflanzungen nicht in Frage. Weitere Kriterien waren: nährstoffreiche Böden, sonnig und für Menschen sichtbar. Die Pflanzen wiederum, die in Gesellschaften gepflanzt wurden, wie sie auch in der Natur vorkommen, sollten in der Region heimisch und bei Gärtnereien bestellbar sein. Es sei denkbar, dass Private nach den Studien solche Zusammenstellungen an Stauden für sich kaufen können, so Doris Tausendpfund, Leiterin des Projekts und der Forschungsgruppe Pflanzenverwendung an der ZHAW. „Das öffentliche Grün kann ein Vorbild sein, um aufzuzeigen, was es braucht, um etwas für die Biodiversität zu machen“, sagt sie. Ein Schlussfazit könne zwar erst 2023 nach Ablauf der drei Jahre Versuchszeit gezogen werden. Dass die Flächen in sich funktionieren und von Insekten gefunden werden, sei aber bereits jetzt gut sichtbar. Die Forschenden konnten auch feststellen, dass der Boden, der durch die Wurzeln gelockert wurde, besser Wasser speichert. Dies hat auch Markus Brentano gemerkt, Leiter der Stadtgärtnerei Biel, der sich mit seinen Leuten um die Pflege der Flächen kümmert: „Im zweiten Jahr mussten die Mischpflanzungen weniger gegossen werden als Saisonflor-Rabatten“, sagt er.  

Die Stadtgärtnerei nimmt die Biodiversität auch von sich aus in den Fokus und möchte in Zukunft mehr Stauden in Rabatten setzen. Beispiele dafür sind der Kreisel bei der Omega und die Blumenwiese im Stadtpark, die auf der Idee eines Mitarbeitenden basiert. Seit diesem Jahr wachsen auch auf dem Strandboden zwischen der Stier-Statue und der Zufahrt zur Pedalovermietung einjährige Nektarpflanzen für Bienen. Aktuell bewegen sich dort noch die Blüten der Cosmeen im Wind. Hinsichtlich Pflegeaufwand sei diese Art der Bepflanzung eigentlich die Beste, so Brentano. Die Blumenwiesen werden im Frühling gesät und im Herbst gemäht. In den langfristigen Staudenbepflanzungen hingegen seien die sich ausbreitenden Neophyten ein Problem, da sie Einheimisches verdrängen und einen grossen manuellen Arbeitsaufwand fordern, um sie zu entfernen. Unter dem Strich sei dieser etwa gleich hoch wie beim Saisonflor, den die Stadtgärtner*innen drei Mal jährlich komplett wechseln.

Und was können Private auf Balkonen und in Gärten setzen, um etwas für die Biodiversität zu tun? Und bringt das überhaupt etwas?

Hierbei sind sich alle Befragten einig: Alles, was man tut, ist hilfreich, auch wenn im ganz kleinen Rahmen. Aus Sicht von Gartenberater und Bioterra-Kursleiter Rolf Scheidegger ist der Biodiversitätsverlust auch eine Gefahr für die Menschheit. Er nennt als krasses und bekanntes Beispiel China, wo die Biodiversität so stark geschädigt worden sei, dass die Obstbäume von Hand bestäuben werden mussten. „Die Biodiversität liefert uns sehr viele Dienstleistungen, die wenigsten sind uns bewusst und ganz viele kennt man noch gar nicht. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt etwas tun. Die Natur ist in der Lage, sich schnell zu erholen.“ Scheidegger rät Privatperson, die etwas für die Biodiversität machen möchten, vor allem eines: Einheimisches wie zum Beispiel Astern oder Margeriten. „Wird nicht Einheimisches gepflanzt, sollte man darauf achten, dass die Blüten nicht gefüllt sind und so den Insekten Zugang zu Pollen und Nektar bieten.“ Für die Fassadenbegrünung, welche das Haus vor der Hitze schützt, Kiwi, Feigen oder Efeu. Gerade letzterer ist, weil erst im Spätsommer/Herbst blühend und dann über den Winter bis in den Frühling Früchte tragend, für Insekten und Vögel eine wichtige Nahrungsquelle. Und für den Garten eine Wildhecke anstelle von Thuja oder Kirschlorbeer. „Sie ist im Winter Lichtdurchlässig und bietet im Sommer Schatten, sowie Abwechslung durch Blüten und Beeren.“ 

Es ist auch möglich sich als Privatperson bei der Gestaltung der öffentlichen Grünflächen einzubringen. Im Bahnhofsquartier beispielsweise und auf dem Brunnenplatz geschieht dies bereits. Brentano erzählt von Menschen, die ihre Rabatten und Baumscheiben selber bepflanzen wollten. Dies sei grundsätzlich gern gesehen. Damit die Strassen-Sicherheit gewährleistet bleibt, solle man sich aber bitte vorab bei der Stadtgärtnerei melden und sein Vorhaben erklären.

So jemand, die aus Eigeninitiative an der öffentlichen Begrünung herumtüftelt, ist Monika Brändli. Sie hat auf zwei mal drei Quadratmetern an der Dufourstrasse Blumensamen ausgesät, die sie von hitzerestistenten Wildpflanzen gewonnen hat. Ihre Idee ist es, dass sich die Blumen in den Folgejahren selber aussäen und sich so autark funktionierende Flächen bilden. In ersten Jahr nun konnte sie feststellen, dass der Boden besser gegen Verdunstung geschützt wurde. Sie bekam positive Rückmeldungen von Anwohnern und Passanten. Um die Flächen weiter zu optimieren studiert Monika Brändli das Blühverhalten und das optische Bild der Flächen. Dafür ist sie auch in engem Kontakt mit Fachpersonen der Gärtnerei der Equipe Volo, die auch einen Teil der Testflächen der ZAHW beliefert hatten.

Die wichtige Meinung des Volkes:

Zu guter Letzt ist die Meinung der Bevölkerung zu den eingangs beschriebenen biodiversen Flächen gefragt. Die ZAHW möchte gerne erfahren, wie die Staudenbepflanzungen bei den Menschen ankommen. Dafür gibt es auf ihrer Webseite (siehe Fussnote) die Möglichkeit, Rückmeldungen zu geben. Diese werden dann bei den Argumenten für oder gegen diese Art der Bepflanzung einfliessen.
Auch bei der Stadtgärtnerei sind die Meinungen der Einwohner wichtig. Markus Brentano erzählt, wie er und sein Team, als sie vor dreissig Jahren erste Rabatten mit Stauden bepflanzten, kritisiert wurden, faul zu sein. Englischer Rasen war damals Mode. Heute hingegen bekämen sie viele positive Rückmeldungen zu den biodiversen Bepflanzungen und Blumenwiesen. „Es werden dort sogar Hochzeitsfotos gemacht.“
Trotzdem bleibt Brentano etwas zurückhaltend: Bei Rabatten und Kreiseln im Stadtzentrum, an denen viele Menschen vorbeikommen, ist es ihm wichtig, nach der düsteren grauen Wintersaison mit einem „farbigen Tupf“ das Publikum zu erfreuen, z.B. mit knallfarbigen Wildtulpen und Narzissen im Frühling, Salbei, Basilikum und weiteren dauerblühenden sowie bienenfreundlichen Zierpflanzen im Sommer.
Flächen mit einheimischen Bepflanzungen findet man bisher eher in Aussenquartieren. Wie sie aber auch im Zentrum Platz finden könnten, zeigten diesen Sommer die auf dem Robert Walser Platz, Zentralplatz und in der Nidaugasse aufgestellten Mulden. Rolf Scheidegger durfte für fünf von sieben die Bepflanzung auswählen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und über unsere einheimische Pflanzenwelt, diverse Kulturpflanzen und mehr Biodiversität im urbanen Raum zu informieren. So zeigt eine Stauden, die sich für Schattenstandorte eignen. Eine ein Beispiel eines Blühstreifens, der der Nützlings-Förderung dient. Und in wieder einer anderen sind Hopfen, Waldrebe und einheimische Stauden und Sträucher zu sehen. Auf dem Walserplatz wurden einheimische Pionierpflanzen in ungewaschenen Wandkies gesetzt. Auch befindet sich dort der Container „Essbare Stadt“ mit speziellen Kräutern, mehrjährigem und einjährigem Gemüse sowie Beeren. Ein paar Gemüse sind einheimische Pflanzen wie zum Beispiel die Glockenblumen. Ja, richtig gelesen: „Glockenblumen insbesondere die Büschelglockenblume kann man, wenn sie jung sind, essen“, erklärt Rolf Scheidegger: “Sie schmecken ähnlich wie Nüssler.“ Wichtig dabei ist allerdings, dass sie nicht in der Wildbahn gegessen werden, da Glockenblumen selten geworden sind.

Text: Aline Burren ist in ihrer Erstausbildung Zierpflanzengärtnerin, nun aber im Nebenberuf Wildpflanzenköchin unter dem Namen Waldmeisterin. Daher schlägt ihr Herz stark für die einheimische Flora und die Biodiversität. Sie kocht zwei Mal in der Woche auf dem Holzfeuer einen Eintopf. Bevor dann in Gesellschaft von Fremden gegessen wird, stellt sie noch die verwendete Wildpflanze vor.

Link zu einem Biofotoquiz

Wieviele Tier- und Pflanzenarten kennen wir überhaupt noch? Das kostenlos online verfügbare Biofotoquiz steht unter dem Patronat der Stiftung Naturama Aargau. Pflanzen und Tiere auf spielerische Art kennenlernen; auch für Fortgeschrittene.

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