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Blasen für den Schlachthof

Der ehemalige Bieler Schlachthof – ein Ort der Begegnung und der Kulturen. Die Vision: Menschen aus verschiedenen Bubbles eignen sich das Areal an, indem sie gemeinsam Neues gestalten. Der Schlachthofsommer 2023 hat gezeigt, wie schön das sein könnte – und wie schwierig es ist.

Es war im Herbst 2022, anlässlich des Jubiläumsfests «30 Jahre schlachtfrei», als Tämi erstmals mit ihren Seifenblasen das Schlachthofareal verzauberte. In zarten Regenborgenfarben schillernd schwebten die transparenten Kugeln aus dem mit Autos überstellten Hof über die historischen Dächer in den blauen Himmel. Und zerplatzten. 

Zu diesem Zeitpunkt hatte die IG Schlachthof Kulturzentrum längst die Fühler ausgestreckt, um Blasen nicht bloss entschweben und platzen zu lassen, sondern sie zusammenzubringen, damit Neues entsteht. Der Schlachthof soll von Menschen aus verschiedenen Sparten und Gruppen mit unterschiedlichen Hintergründen und Zielsetzungen gemeinsam genutzt und von ihnen zu einem Ort der Begegnung und Kulturen entwickelt werden – dies die Vision. Dabei stand und steht im Zentrum, die Grenzen von Bubbles und Blasen zu überwinden, und Begegnungen zwischen unterschiedlichen Welten zu befördern. Ohne zentrales Management. 

Bei der Suche nach Partnerinnen und Partnern für die Gestaltung der diesjährigen Sommerveranstaltungen richtete die IG deshalb den Blick auf mögliche Synergien und die Verknüpfung von verschiedenen Aktivitäten. Der Bedarf und das Potenzial an Kombinationen sind schier unerschöpflich – mit dem Sommerprogramm 2023 sollte ein erster kleiner Schritt, ein bescheidener Anfang gemacht werden. 

Das erste Highlight verzeichneten die Veranstalter:innen bereits im April: Im Raum 1 lancierte die neue Kuratorin der IG die Ausstellungsreihe «Perspektivenwechsel» – den Auftakt machten Tierfotos von Missi Superpeng und Klaus Petrus. Das Vernissagenpublikum – das Spektrum reichte von Fotofreaks bis zu Tierrechtsaktivist:innen – vermischte sich mit den Kundinnen und Kunden des gleichzeitig stattfindenden Food Save Markets, einer Initiative der Vereine Stadt ernähren und Robin Food. Natürlich gab es auch Musik und feine Crêpes von Daria. 

Angedacht waren eine ganze Reihe solch «gemischter Veranstaltungen». Die Hoffnung war gross, dass sich die verschiedenen Akteur:innen selbstständig untereinander verknüpfen und gemeinsam Bubble-übergreifende und Blasen-verschmelzende Anlässe auf die Beine stellen würden. Oder Freundinnen und Freunde aufs Areal holen, wie dies anlässlich des Frühlingsfestes wunderbar funktioniert hat: Ursprünglich als kleiner Anlass geplant, um Daria’s Tuktuk-Rolleteria einzuweihen, gestalteten die Bandmitglieder von Hermanos Perdidos gemeinsam mit der IG Voilà – lueg da! ein rauschendes Frühlingsfest. Bands verschiedener Musikrichtungen lockten ein buntes Publikum an, das sich auch am Schmuckstand verführen und von der Rolleteria und anderen kulinarischen Angeboten verköstigen liess. 

Weitere Veranstaltungen folgten. Die angestrebte selbstständige Sparten-verbindende Zusammenarbeit und das Knüpfen neuer Seilschaften kamen jedoch nie wirklich zum Fliegen. Dies ist sicher auch den immer noch schwierigen Rahmenbedingungen auf dem Schlachthof geschuldet: Trotz wiederholter Interventionen der IG Schlachthof Kulturzentrum bei der Stadt, herrscht auf dem Innenhof nach wie vor ein Chaos und das «Recht des Stärkeren», was das Engagement für die Inwertsetzung des mittlerweile denkmalgeschützten Areals enorm schwierig macht. 

Statt einer Solidarisierung unter den verschiedenen Akteur:innen, die sich gegenseitig hätten unterstützen können, warfen bald schon die ersten das Handtuch: 

Ein Beispiel dafür ist der Food Save Market, der einmal pro Monat hätte stattfinden sollen. Immer in Kombination mit weiteren Angeboten wie Kinderanimation, Musik, kulinarische Angebote, Diskussionsveranstaltungen… Nach nur vier Monaten haben die Verantwortlichen des Markts dann den Stecker gezogen – ohne Rücksprache oder gemeinsame Lösungssuche mit den anderen Akteur:innen und Akteuren, deren Angebote ohne den Markt plötzlich keinen Sinn mehr machten. 

Genauso ist auch die geplante Ausstellungsreihe «Perspektivenwechsel» im Raum 1 eines allzu schnellen Todes gestorben, weil die Kuratorin aus persönlichen Gründen aufgehört hat. Damit war ein weiterer wichtiger Pfeiler des Schlachthofsommers 2023 weg, der Kunstinteressierte mit anderen Akteurinnen und Akteuren auf dem Schlachthof hätte zusammenbringen können. Was dazu führte, dass etwa die Circus Donkey Productions mit ihren sechs geplanten Vorstellungen plötzlich quasi «nackt» und ohne das angestrebte Begleitprogramm dastanden. Immerhin haben sie es geschafft, einige ihrer Vorstellungen mit befreundeten Musiker:innen und Cateringanbieter:innen zu «garnieren». Allerdings hatte dies zur Folge, dass nur in beschränktem Mass Publikum ausserhalb der eigenen Blase erreicht werden konnte.

Noch klafft ein grosser Abgrund zwischen der Vision des Begegnungsorts Schlachthof und der Wirklichkeit. Entsprechend ernüchternd ist die Bilanz. Das Hauptproblem dabei: Letztendlich blieben alle Akteurinnen und Akteure in ihren eigenen Blasen gefangen. Die selbstständige Vernetzung untereinander blieb marginal – schliesslich schaute jede und jeder für sich und die Seinen. Nur wenige besuchten auch mal eine Veranstaltung, an denen sie nicht selber beteiligt waren. Oder halfen bei anderen aus.

Kaum jemand hatte Kraft, Zeit oder Interesse, sich für das übergeordnete Ziel zu engagieren. Noch ist der Schlachthof kein Ort, der rund um die Uhr mit seinem Charme die Menschen anzieht. Damit dies möglich wird, braucht es Menschen, die gemeinsam mit anderen über die eigene Bubble hinaus zusammenarbeiten. Und gemeinsam vielleicht eine neue Blase – die Schlachthofblase bilden.

Text und Foto:

Gabriela Neuhaus ist Gründungsmitglied des Vereins IG Schlachthof Kulturzentrum und engagiert sich nach dem Bodigen des Westasts für den Erhalt und die Transformation des Schlachthofareals. Sie legt hier ihre persönliche Analyse des Schlachthofsommers 2023 dar.

Foto:

Tämi mit ihren Seifenblasen am Jubiläumsfest „30 Jahre schlachtfrei».

 

Interesse? Die IG Schlachthof Kulturzentrum freut sich über Akteurinnen und Akteure, die sich auf das Abenteuer Schlachthof-Blase 2024 einlassen möchten…. Kontakt: office@schlachthof-kulturzentrum.ch

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