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Col-Art – Kunstvielfalt mit Bieler Wurzeln

Eine Schweizer Stadt verkörpert mehr wie andere Vielfalt an Menschen, Sprachen, Kulturen, Einstellungen…Unser Biel-Bienne!  Und was die meisten hier nicht wissen: Eine internationale Kunstbewegung, die mit ihren 54 Jahren immer noch in den Kinderschuhen steckt, hat ihre Wurzeln wesentlich hier. Der Begründer erzählt gleich selbst.

Col-Art ist die Kurzbenennung für „koordinierte Kollektivkunst“. Eine Kunstrichtung, in der mehrere Kunstschaffende frei in ihrem Stil Teile des Gemeinschaftswerkes gestalten, sei dies zeitgleich an einem Bild arbeitend oder nacheinander Elemente davon erschaffend. Spielarten gibt es viele, Regeln kaum. Manchmal gibt jemand vor, wer in welchem Bereich malt, manchmal entstehen das Bild und dessen Aufteilung aus dem Moment heraus.

Ich – ein waschechter Bieler, der mit seiner Mutter Französisch sprach und mit meinem Vater Bieldütsch – begründete Col-Art 1968 in Zürich, Basel, Bern und Biel-Bienne, gemeinsam natürlich mit befreundeten Malerinnen und Malern… Das erste Bieler Col-Art-Gemälde – entstanden im Dezember 1968 und Januar 1969 in der Galerie Socrate – ist überzeugender Ausdruck von „Vielfalt in der Einheit“, mit farbfrohen Bildteilen von Lis Kocher und Sylvie Neuhaus in der Mitte, sowie diskreten Bildteilen drumherum von Heinz-Peter Kohler, Rolf Spinnler und mir (siehe Bild).

Bereits in seinen ersten fünf Jahren bis 1972 konnte Col-Art bedeutende Erfolge erzielen, war etwa 1969 auf der Titelseite der Kunstnachrichten, hatte ein starkes Event vor dem Helmhaus in Zürich, repräsentierte die Schweiz an der „Biennale des Jeunes“ im Pariser Musée des Beaux-Arts, und konnte 1970 in München – unterstützt durch Pro Helvetia – gleich an vier Orten Präsenz markieren. Nicht zuletzt machte der weltberühmte Joseph Beuys 1972 an der Dokumenta in Kassel bei Col-Art mit und sagte unserer Bewegung „eine grosse Zukunft“ voraus.
Das Problem blieb freilich, dass Sammler und Museen für Ankäufe zurückhaltend blieben, da stark fixiert auf das Fördern weniger Einzelkünstler.                                                                                                                                                                                    

Um zu überleben, begann ich deshalb ab 1972 mit Kursen und Seminaren in den Bereichen Freizeit, Weiterbildung. Hauptthema: Kreative Kommunikation in der Gruppe. Col wurde so auch pädagogisch für alle Interessierten wirksam, und es entstanden eine Reihe von Büchern, etwa mit dem Verlag Ravensburger („Col: Aktionsbuch für Freizeit, Fortbildung, Therapie und Alltag“, sowie: „Spiele ohne Sieger“, welches elf Auflagen erreichte).

Diese faszinierende Arbeit ging unentwegt weiter, bis ich 2005 das AHV-Alter erreichte… Ende 2006 reiste ich einmal mehr nach Mexiko, wo seit 1964 mein jüngerer Bruder Toni lebt und dort zu einer bekannten Persönlichkeit des mexikanischen Films geworden war. Ich wollte unter anderem herausfinden, ob Col-Art ein „alter Hut der Sechziger-Jahre“ geworden war, oder doch mehr? Eine vielversprechende Kunst war verblieben.
Ich kontaktierte vor allem junge Kunstschaffende. Ihre Reaktion: Begeisterung! Bereits im Januar 2007 gab es die erste Ausstellung in Tepoztlan, und als ich – zurück in Europa – ähnliche Kontakte suchte, in Paris, Berlin, Zweibrücken, Mainz und Basel war die Reaktion dieselbe: Viele machten voller Freude mit, die „Renaissance von Col-Art in der internationalen Kunstszene“ hatte begonnen! Das Potential dieser immer noch jungen Bewegung ist weltweit enorm, und ich wäre nicht erstaunt, dass in 20, 30 Jahren Col-Art in tausend Varianten in zahlreichen Ländern praktiziert werden wird.                                                                                                                    

Inzwischen haben rund 500 professionelle Künstlerinnen und Künstler und etwa 4000 Laien aus über 40 Ländern sich bei Col-Art beteiligt, und wir hatten in den vergangenen zehn Jahren grosse Ausstellungen und Col-Events in sieben Museen sowie 15 Galerien und Kulturzentren in Mexiko, Spanien, Deutschland und der Schweiz.

Auf dem Bieler Bahnhofplatz entstanden im Rahmen des Hirschhorn-Events drei grosse Col-Leinwände, beidseitig bemalt, an denen genau hundert Menschen – junge und alte, Profis und Malliebhaber – mitwirkten. Und am Parcours Culturel in den imposanten Dispo-Hallen (am Tor von Nidau zu Biel) waren es 2021 fünfzig Teilnehmer*innen, die sich in reicher Vielfalt im grossen Col-Bild „verewigten“. Die nächste Col-Präsentation findet Ende September in der Basler Galerie Numas Igra statt, 53 Jahre nach der allerersten Col-Art-Ausstellung 1968 in der Basler Galerie Katakombe.   

Ein bedeutender Schweizer Künstler, der in den Anfängen mitwirkte und dies auch in den vergangenen Jahren mit Bravour getan hat, ist Bieler: Es ist Heinz-Peter Kohler und ich bin ihm dafür sehr dankbar! Er ist mit seinen 86 Jahren der Einzige weltweit, der von Anfang an dabei war und es immer noch ist, nach über einem halben Jahrhundert!

In Mexico, wo bisher das Interesse für Col-Art am grössten ist, entstand kürzlich ein Video mit englischen Untertiteln, welches sehr gut ankommt: Col-Art en 12 preguntas. Zu sehen auf: Youtube.                                      

Was bisher immer noch auf sich warten lässt, ist eine grosse historische Ausstellung im Bieler Pasqu’Art, im Rahmen derer auch – 54 Jahre nach dem ersten Bieler Col-Art-Bild – ein neues, noch grösseres entstehen könnte, sollte, müsste! Z.B. mit der Teilnahme aller, die Lust hätten, mit dabei zu sein. Künstlerische Qualität garantiert. Sicher ist: Das Publikumsinteresse wäre gross, so wie es jedes Mal der Fall war in den Museen Mexikos oder auch im TEA von St. Cruz, dem grössten Museum der kanarischen Inseln.

Unsere neueste Publikation Col-Art betreffend ist in vier Sprachen verfasst: „The fascinating story of Col-Art.“ Die Pariser Schriftstellerin Christelle Daniel schreibt darin: „…Col-Art ist eine Vielfalt an Emotionen, die eine dynamische Harmonie entstehen lässt, im Werk selbst und zwischen den Teilnehmern. Col-Art ist ein Moment gemeinsam erlebten Glückes.“

Es lebe die Vielfalt des Lebens und es lebe die Vielfalt in der Kunst!

Text: Marc Kuhn, geboren am 2. Oktober 1940 in Biel, lebt gemeinsam mit Gattin Rossana Duran, einer renommierten mexikanischen Kunstmalerin, in Biel und Travers.

Dieser Bieler Col-Städtesiebdruck entstand 1971 mit 90 Teilnehmern in Cafés, Läden und auf Plätzen der Bieler Innenstadt. Marc Kuhn zeichnete die Porträts, die Porträtierten wiederum steuerten selbst eine Zeichnung bei und signierten. Weitere solche Städtedrucke entstanden danach u.a. in Köln, Hannover, Salzburg, Bielefeld, Mexico City und New York.
Eine der Spielarten von Col-Art: Im Rahmen einer grossen Col-Art-Ausstellung in einem Museum von Mexico entsteht in gemeinsamer Arbeit von Profis und Laien ein neues Gemeinschaftswerk.
Marc Kuhn mit dem ersten Bieler Col-Art-Bild, entstanden im Dezember 1968 und Januar 1969. Es gehört damit zu den Pionierbildern dieser Kunstrichtung.
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