Eine Stadt steht nie still, entwickelt sich immer weiter. Gebäude müssen erneuert, Freiräume neuen Bedürfnissen angepasst werden. Was einmal gestimmt hat, stimmt nicht unbedingt für Morgen, vor allem in Zeiten von fortschreitendem Klimawandel. Kaum jemand weiss das in Biel besser als Florence Schmoll, Leiterin Stadtplanung. Bevor sie ihren Posten im August verlässt, spricht sie im Interview mit Vision 2035 über prägende Projekte und Klimaresilienz, Genossenschaften und Quartierentwicklung, Naturgefahren und Partizipation.
Stadtentwicklung. Was ist das für Sie als Fachperson, als Leiterin der Bieler Stadtplanung?
Stadtentwicklung ist die Weiterentwicklung von Stadtraum mit seinen Wohn- und Gewerbebauten, mit seinen bebauten Flächen und seinen Freiräumen. Ökonomisch gesehen wird Stadtentwicklung auch oft in Zusammenhang mit Wirtschaftsförderung genannt. Unsere Aufgaben gehen aber darüber hinaus. Vor allem geht es darum, raumrelevante Bedürfnisse verschiedenster Akteure aufeinander abzustimmen. Wir als Stadtplanungsamt sind Teil der Stadtverwaltung. Wir arbeiten im Auftrag der Politik, bzw. der Gemeindeexekutive, für die Bevölkerung. Wir kümmern uns um die technischen Aspekte und sorgen dafür, dass der formelle, bzw. gesetzliche Rahmen eingehalten wird. Das Spannende im Bereich der Stadtplanung ist die Interdisziplinarität. Jedes Vorhaben ist ein Miteindander und wird von verschiedenen Akteuren mitgetragen, man ist nie alleine am Steuer. Das mag ich an meiner Arbeit besonders.
Sie verlassen nun bald nach 18 Jahren die Stadtplanung. Welches Projekt hat sie am meisten bewegt und herausgefordert?
Das ist klar das Projekt im Bereich Gurzelen mit der Schüssinsel, der Swatch, der Wohnüberbauung Jardin du Paradis bis hin zum aktuell bevorstehenden Baustart der Genossenschaftswohnungen auf dem Gurzelenplatz (Blumenstrasse Nord und Blumenstrasse Süd). Für mich hat das alles 2008 angefangen und ich durfte seither alle Teilprojekte begleiten und mitprägen. Es ist ein typisches Beispiel dafür, mit welchen Zeithorizonten wir bei der Stadtplanung arbeiten. Bei uns erstrecken sich Projekte oft über zehn Jahre oder mehr.
Sie haben Wohnbaugenossenschaften erwähnt. Bis 2035 will die Stadt Biel den Anteil gemeinnütziger Wohnungen auf 20 Prozent am gesamten Wohnungsbestand in Biel erhöhen. Welche Rolle nimmt da die Stadtplanung ein?
Wir haben die ganze Grundlagenarbeit mit den Wohnbaugenossenschaften gemacht. Das war ein spannender und wichtiger Prozess, der 2014 begann und zum Ziel hatte, im Rahmen eines sogenannten Modellvorhabens für Nachhaltige Raumentwicklung die genossenschaftlichen Siedlungen zu analysieren. Heute wissen wir daher sehr genau, wo erneuert werden muss und wo noch Potenzial für Verdichtung besteht. Weil parallel dazu auf politischer Ebene Initiativen zur Förderung gemeinnützigen Wohnungsbaus lanciert wurden, muss aber auch noch zusätzlicher Platz für Wohnbaugenossenschaften zur Verfügung gestellt werden, wie im Bereich Gurzelen.
Den erschwinglichen Genossenschaftswohnungen stehen Neubauten gegenüber mit Preisen, die Angst machen können. Zum Beispiel eine 2.5-Zimmer-Wohnung für 1500 Franken im neuen Bären-Tower in Mett. Was kommt da auf Biel zu in Sachen Gentrifizierung?
Zunächst einmal: Eine Stadt ist nie statisch. Und: Wohnungen in Neubauten oder komplett sanierte Wohnungen sind nun mal teurer als Altbauwohnungen. Das ist Marktlogik, bzw. hat mit den Baukosten zu tun. Biel unterliegt nicht denselben Wohnungsproblemen wie beispielsweise Zürich oder Lausanne. Die Mietzinse sind hier im Vergleich zu anderen Schweizer Städten moderat, was mit dem Markt aber auch mit dem relativ hohen Anteil an Altbausubstanz zu tun hat. Auf jeden Fall ist die Erhaltung eines guten Gleichgewichts ein zentrales Prinzip der Stadtplanung. Wir wollen in den Quartieren aber auch gesamtstädtisch eine gesunde Durchmischung – funktional wie auch sozial.
„Biel 2030: die Stadt der Möglichkeiten“ lautet der Titel der laufenden Strategie des Gemeinderates. Wo sehen Sie noch Möglichkeiten hinsichtlich Stadtentwicklung?
Die grossen Brachen, wie das Gaswerkareal und der Bereich Bahnhof Süd, die sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt haben, gibt es nun nicht mehr. Die Weiterentwicklung der Stadt wird sich deshalb künftig vor allem im Bestand vollziehen. Es geht also nicht mehr um so viele Quadratmeter auf einmal, sondern um kleinräumigere Erneuerungen in den Quartieren. Das ist eine komplexe Arbeit, weil schnell einmal verschiedene Grundeigentümer*innen betroffen sind.
Was sind die Perspektiven für Zwischennutzungen wie das Terrain Gurzelen oder auch das Schlachthof Areal?
In Biel ist noch nicht alles geplant und das ist auch gut so. Zwischennutzungen ermöglichen es, bestehende Räume zu einem bestimmten Zeitpunkt zu nutzen und zu beleben. Sie liefern auch Ideen für eine definitivere Nutzungen. Auf dem Terrain Gurzelen sollen eines Tages gemeinnützige Wohnungen entstehen. Die zukünftigen Projekte werden sich von der Zwischennutzung inspirieren lassen können, um sich in das Quartier und in das Leben der Bielerinnen und Bieler bestmöglich zu integrieren. Wie die Zukunft des Schlachthofs aussieht, weiss ich noch nicht.
Was sind die aktuell grössten Herausforderungen in der Stadtplanung von Biel?
Dazu gehört sicher in erster Linie die Klimafrage. Wie können wir den urbanen Raum, vor allem die öffentlichen Freiräume, klimaresilient gestalten und gleichzeitig so, dass sie zum Zusammenleben beitragen? Klar ist: es gilt Bäume zu pflanzen, Boden offen zu halten, nicht alles zu unterkellern, Gebäude zu kühlen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch das Konzept der 15-Minuten-Stadt, in der alle Wege des Alltags in weniger als 15 Minuten bestritten werden können, und das zu Fuss oder mit dem Velo. Die Quartierzentren sollen wieder an Bedeutung gewinnen, sei es zum Einkaufen oder auch als Arbeitsorte, damit wir uns nicht immer so weit bewegen müssen. Kurz: weniger Mobilität, weniger CO2. Das versuchen wir mitzudenken und mitzuplanen.
Betreffend Klimawandel. Gibt es seitens der Stadt Vorkehrungen betreffend der zunehmenden Extremwetter-Ereignisse?
Ja, das gehört auch zur Klimaresilienz und beschäftigt uns schon länger. Vor allem extreme Hitze im Sommer und Starkregen-Ereignisse. So gibt es beispielsweise in allen Bieler Quartieren eine Grünflächenziffer, die festlegt, wie viel Fläche einer Parzelle nicht bebaut und unterkellert werden darf. In den Aussenquartieren liegt diese in der Regel bei 40 Prozent. Das ist sehr wichtig. Denn: Boden, der offen ist, kann Regen absorbieren.
Die Stadt Biel hat zudem letztens zusammen mit dem Kanton eine Gefahrenkarte publiziert, die unter anderem zeigt, welche Bereiche bei starkemn Regen überschwemmt werden können. Grosse Massnahmen sind hier auf überkommunaler Ebene angedacht. Zum Beispiel gibt es Überlegungen in Richtung eines Entlastungsstollens von Frinvillier bis zum See für den Fall von Hochwasser, ähnlich wie in Lyss. Wir denken da mit, um das Potenzial einer solchen Massnahme in Bezug auf den Raum „Stadt“ aufzuzeigen. Die Infrastruktur selbst ist nicht unser Kerngeschäft, sondern das der Ingenieure.
Auffällig ist die Partizipation, die seit einiger Zeit bei Um- und Neugestaltungsprojekten sehr gross geschrieben wird. Warum eigentlich?
Betroffene wollen mitreden können. Das hat sich in den letzten neun Jahren verstärkt gezeigt und darauf gehen wir ein. Wir machen keine Alibiübungen. Ist alles schon entschieden, macht es keinen Sinn, die Bevölkerung noch miteinzubeziehen. Aber wenn es darum geht, tatsächlich Inputs für den Planungsprozess zu bekommen und vertieft die Bedürfnisse der letztlich Nutzenden des öffentlichen Raums abzuklären, kann Partizipation sehr wertvoll sein. Denn die Nutzerinnen und Nutzer eines bestimmten Ortes oder Platzes wissen, wie sie sich gerne dort aufhalten und was es dafür braucht. Deren Erfahrung und ihr lokales Wissen gilt es abzuholen und einzubauen. Jemand sagt uns zum Beispiel: „Hier hab ich Angst um meine Kinder“, oder „Hier hab ich als ältere Person ein Problem, weil ich mich nirgends hinsetzen kann.“ Das sind wertvolle Hinweise, die helfen, ein Projekt besser zu machen.
Hat die omnipräsente Partizipation auch etwas mit den vielen in der Vergangenheit von der Bevölkerung abgelehnten oder bekämpften Projekten zu tun – Stichwort Neumarktplatz, Bahnhofplatz, Altersheim Ried, Passerellenweg?
So direkt nicht. Es ist eher eine Reaktion auf die allgemeine Entwicklung der Art, wie sich die Bevölkerung beteiligen möchte – ausserhalb von Vereinen, Institutionen und Interessengruppen. Wichtig scheint mir dabei auch: Partizipation ersetzt nicht die demokratischen Verfahren; sie ergänzt sie und erlaubt auch Menschen ohne Stimmberechtigung (Kinder, Menschen ohne Schweizer Pass), Einfluss auf die Gestaltung ihres Umfeldes zu nehmen. Eine Garantie dafür, dass ein Projekt letztlich von der Stimmbevölkerung angenommen wird, ist sie nicht.
Die Liste der laufenden Entwicklungsprojekte ist lang. Wie sieht es da eigentlich in Sachen personelle Ressourcen aus? Reichen die aus, um das alles zu stemmen?
Kein Kommentar dazu. Nur so viel: Unsere Dienststelle „Planung und Stadtraum“ ist mit fünf Stellen ausgestattet. Im Verhältnis zu anderen Städten ist dies sehr wenig.
«Wichtig für die Klimaresilienz ist das Konzept der 15-Minuten-Stadt, in der alle Wege des Alltags in weniger als 15 Minuten bestritten werden können, und das zu Fuss oder mit dem Velo.»
Interviewer
Janosch Szabo ist Mitglied der Kernredaktion von Vision 2035. Er lebt und arbeitet mit kleinen Unterbrüchen seit nunmehr 26 Jahren in Biel.
Interviewte
Florence Schmoll hat an der ETH Lausanne Umweltingenieurin studiert und sich später an der ETH Zürich im Bereich Raumplanung und Raumentwicklung weitergebildet. Sie arbeitet seit 18 Jahren bei der Stadt Biel, verlässt nun aber Ende August die Stadtplanung.
Foto:
Ben Zurbriggen hat sein Atelier für Werbefotografie in Biel. ben-zurbriggen.ch
Links:
Die Naturgefahrenkarte ist auf dem WebGis (Geoportal) der Stadt Biel einsehbar. Hier der Direktlink.
Auf der Seite der Dienststelle Planung und Stadtraum der Stadt Biel sind alle aktuellen Projekte und Schwerpunkte, laufende Mitwirkungsverfahren und öffentlichen Auflagen zu finden: https://www.biel-bienne.ch/de/planung-und-stadtraum.html/777