Unkategorisiert

Ausgegrenzt in eine unmenschliche Bubble

Eine neue, gross angelegte Umfrage gibt erstmals Einblick in das Leben jener, die aufgrund der Strahlung von Mobilfunk, WLAN und Co. gezwungen sind, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen. Die Schilderungen von Menschen mit Elektrohypersensitivität (EHS) lassen erahnen, wie schwierig, einsam und zermürbend ihr Leben in einer Welt voller Smartphones, Tablets und Antennen geworden ist. 

Mit dem Einzug der Digitalisierung in unseren Alltag verbreiten sich immer mehr Geräte, die ihre Daten mit Funkstrahlung wie WLAN, Mobilfunk oder Bluetooth übertragen. Funkstrahlung ist vereinfacht gesagt extrem schnell schwingender Strom, der sich über grosse Distanzen durch die Luft ausbreitet (siehe Infobox). Strahlung durchdringt Mauern genauso wie den menschlichen Körper. Und sie kann ähnlich wie bestimmte Lebensmittel oder Stoffe eine Unverträglichkeitsreaktion auslösen, Elektrohypersensitivität genannt (EHS). Über 10% der Bevölkerung sind gemäss einer repräsentativen Umfrage der ETH Zürich davon betroffen. Der Verein Schutz vor Strahlung wollte es genauer wissen und befragte betroffene Menschen zu den Auswirkungen von Strahlung auf ihren Körper und ihr Leben. Das Resultat ist besorgniserregend: Die 144 Befragten sind in vielen Lebensbereichen teils sehr stark eingeschränkt. Wo strahlende Geräten genutzt werden und Schnurlostelefon, WLAN-Sender und Mobilfunkanlagen installiert sind, können sich die meisten Betroffenen nur sehr kurz, nur unter Inkaufnahme von gesundheitlichen Problemen oder gar nicht aufhalten. Während für die einen die Digitalisierung einen grossen Gewinn an Freiheit brachte, bedeutet sie für andere soziale Isolation, Verlust von Arbeit, Freunden und ein unmenschliches Leben, eingesperrt in den eigenen vier Wänden. Solche Zustände sind in der Schweiz eigentlich unvorstellbar und doch mittlerweile für viele Menschen die tägliche Realität. 

Monika* ist eine von ihnen. Ihre Geschichte zeigt exemplarisch auf, wie Strahlung das Leben eines Menschen ruinieren kann. Während mehreren Jahrzehnten arbeitete die lebhafte IT-Entwicklerin bei Weltkonzernen und lebte in einer schönen Altstadtwohnung. Dann stellte sie eine unerklärbare, deutliche Verschlechterung ihrer Gesundheit fest. Sie litt unter andauernden Kopfschmerzen, plötzlich stark ansteigendem Blutdruck und konnte kaum mehr schlafen. Eine Umstellung auf gesunde Ernährung, Arztbesuche und alle erdenklichen Tipps gegen die Symptome halfen nichts. Sobald Monika jedoch ihre Wohnung verliess, verschwanden die Symptome nach spätestens zwei Tagen vollständig. Schliesslich blieb noch die Vermutung, dass die Mobilfunk-Antenne in ihrer Nachbarschaft – die ungefähr zu Beginn ihrer Symptome installiert wurde – für die gesundheitlichen Probleme verantwortlich sein könnte.

Die Wirkung von Strahlung

Mobilfunkstrahlung hat auf jeden Menschen Auswirkungen. Sie verändert Kommunikationswege der Zellen, indem sie gewissermassen dazwischenfunkt. Wissenschaftlich erwiesen ist unter anderem, dass Strahlung die Hirnströme beeinflusst. Bei gesunden Menschen halten hochkomplexe Reparaturmechanismen die Auswirkungen von Strahlung bis zu einem gewissen Grad in Schach. Bei Menschen mit Vorerkrankungen, solchen im Wachstum oder alten Menschen funktionieren diese Mechanismen gemäss der beratenden Expertengruppe des Bundes nur noch ungenügend. Dadurch entsteht oxidativer Stress, der beispielsweise zu chronischen Entzündungen, schneller Zellalterung, Schädigung der DNA oder zu Erschöpfungssymptomen aller Art führen kann. Andere Menschen wiederum zeigen trotz guter Gesundheit und während ihren besten Jahren starke körperliche Reaktionen auf Strahlung, ähnlich wie eine Allergie auf Strahlung. Sie berichten am häufigsten über Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Erschöpfung, Schwindel, Gedächtnisprobleme, Schmerzen und Tinnitus.

Gewissheit schaffen

Um zu wissen, ob die Strahlung ihre Symptome verursacht, zog Monika in ein anderes Haus. Auch dort stand eine Antenne ganz in der Nähe, strahlte aber schwächer als jene in der Stadt. Monikas Symptome verschwanden beinahe. Sie richtete sich ein Schlafzimmer im Keller ein und verbrachte einige ruhige Jahre. Bis 5G kam. Eines Morgens erhielt der Verein Schutz vor Strahlung eine verzweifelte E-Mail: Mitten in der Nacht, genauer gesagt um 23.20 Uhr habe etwas geändert, ihr Blutdruck sei so hoch gestiegen wie noch nie. Die Nachfrage bei der Mobilfunkbetreiberin ergab, dass die nahe Antenne mit 5G erweitert und um 23.18 Uhr in Betrieb genommen worden war. Jene Nacht stellte das Leben von Monika auf den Kopf. Die Strahlung lähmt sie seither dermassen, dass sie ihren Beruf aufgeben musste und kaum mehr ihre eigenen Angelegenheiten erledigen kann. Sie versuchte ihre Wohnung mit abschirmenden Massnahmen (metallhaltige Gewebe) zu schützen, was halbwegs Besserung brachte. Mittlerweile verträgt Monika auch die Strahlung von WLAN und Smartphones kaum mehr. Auf einen Schlag war sie aus ihrem Freundes- und Verwandtenkreis ausgeschlossen, da alle strahlende Geräte benutzen. Einkaufen, eine Fahrt mit dem Zug oder eine Behandlung im Spital vermeidet sie wann immer möglich.

Die Strahlung bildet für sie eine unsichtbare Wand. Ihr Blick auf den Himmel wird gefiltert von einem milchig-weissen Abschirmvorhang am Fenster. Im Kontakt mit anderen betroffenen Menschen stellt sich ihr immer wieder die Frage, warum die Nutzer von strahlenden Geräten so grausam sein können, durch ihr Verhalten andere Menschen vom gesamten Leben einfach auszuschliessen. Schliesslich sorgt jeder, der mit dem Handy telefoniert, sich einen Film ansieht oder im Internet surft dafür, dass eine Antenne irgendwo mit grosser Leistung Daten überträgt – und zugleich hunderte Menschen unfreiwillig mitbestrahlt. Die Nutzer von Smartphones wissen meist nicht welchen Schaden sie anrichten. Die grenzenlose digitale Gesellschaft bewegt sich in ihrer farbigen digitalen Bubble, ohne sich der damit ebenfalls geschaffenen, zweiten Bubble bewusst zu sein. Einer Bubble, wohin sie Menschen mit einer Unverträglichkeit gegenüber Strahlung ausgrenzen.  

Für die Gruppe der betroffenen Menschen, zu der täglich mehr stossen, kann es so nicht mehr weitergehen. In der Umfrage von Schutz vor Strahlung fordern sie vor allem strahlenfreie Wohn- und Erholungsgebiete. Dazu kann jede und jeder beitragen: Mit dem Deaktivieren von WLAN, Bluetooth und den mobilen Daten beim Smartphone reduziert sich die Strahlenbelastung beträchtlich. Zudem können diese Geräte auch mit dem Kabel mit dem Internet verbunden werden und so im Flugmodus surfen. Es gibt hierfür eine Vielzahl an Adaptern für Smartphone und Tablet.

*Name geändert

Rebekka Meier ist Präsidentin des Vereins Schutz vor Strahlung, Uhrmacherin und als Amateurfunkerin konzessioniert.

Der Verein Schutz vor Strahlung setzt sich auf nationaler Ebene für die Reduktion von Strahlung für Mensch und Natur ein. Er berät Nachbarn von Antennen und EHS-Betroffene.

www.schutz-vor-Strahlung.ch

Kurzbericht des Vereins Schutz vor Strahlung zur Umfrage hier als PDF zum downloaden:

„Gesundheitliche Reaktionen auf Funkstrahlung in der Schweiz“

Tipps, um die Strahlung des Smartphones zu reduzieren: 

• WLAN, Bluetooth sowie die „mobilen Daten“ bei Nichtgebrauch deaktivieren.

• Apps mit Lokalisierungsfunktion und Funktionen wie «Wo ist?» führen zu konstanter Strahlung und können ebenfalls deaktiviert werden.

Was ist Strahlung?

Die für den Menschen unsichtbaren elektromagnetischen Felder (EMF) werden umgangssprachlich „Strahlung“ genannt. Es gibt niederfrequente Strahlung in der Nähe von Stromkabeln, und hochfrequente Strahlung für die Kommunikation zwischen Mobiltelefon und Antenne oder WLAN-Router. Diese Geräte erzeugen hochfrequente Strahlung, indem sie Strom zu mehreren Millionen Schwingungen pro Sekunde bringen, bis der Strom die Antenne verlässt und sich über grosse Distanzen ausbreitet. Die Strahlung misst man in Volt pro Meter (V/m).

image_pdfPDFimage_printPrint
Teilen: