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Eine runde süsse Hoffnung

Kate Raworth traut dem vorherrschenden Glauben an das stetige wirtschaftliche Wachstum als Garant für bessere Lebensqualität für alle nicht mehr. Sie erklärt in ihrem Buch die Gründe für ihre Skepsis und formuliert Ansätze für ein Wirtschaftssystem, das sozial gerecht und regenerativ ist.

Das Buch „Die Donut-Ökonomie“ hat Seltenheitswert: Es liest sich zügig trotz seiner Wissenschaftlichkeit. So erwähnt die Autorin immer mal wieder ihre Erfahrungen während der Studien- und Berufszeit und bekräftigt damit ihr grosses persönliches Engagement für ihr Thema. Sie lockert mehrmals die normalerweise ermüdende Wirtschaftsgeschichte mit unerwarteten Vergleichen auf: Zum Beispiel mit einem Shakespeare-Stück im Kapitel 2 oder mittels Metaphern wie „Das BIP ist der Kuckuck im Nest der Ökonomie“. Und sie integriert in jedem Kapitel Beschreibungen vorbildlicher Initiativen oder Projekte und haucht auf diese Weise der vermeintlich trockenen Theorie Leben ein: Zum Beispiel in Kapitel 5 mit der Schilderung wie William Kamkwamba mit 14 Jahren für seine Familie ein Windrad baute, welches sie von da an mit Strom versorgte – und zwar aus alten Schrottteilen und ohne Anleitung. Das alles macht die Lektüre angenehm, ja sogar spannend.
Trotzdem enthält das Buch alles was seriöse Fachliteratur ausmacht: Einen übersichtlichen Aufbau, geschichtliche Einbettung, überzeugende Argumentation und den üblichen wissenschaftlichen Apparat: Quellenverzeichnis, Bibliografie und ein Personen- und Stichwortregister.

Was ist die Donut-Ökonomie? 

In den Worten der Autorin: „Der Donut der sozialen und der planetaren Grenzen ist eine schlichte Visualisierung der beiden Grundbedingungen […], die das Fundament des allgemeinen menschlichen Wohlbefindens bilden. Das soziale Fundament markiert die innere Grenze des Donuts und bildet die Grundlagen des Lebens, die niemandem vorenthalten werden sollten. Die ökologische Decke stellt die äussere Grenze des Donuts dar, die durch den Druck des Menschen auf die lebensspendende Erde in gefährlicher Weise überschritten wird. Zwischen diesen beiden Begrenzungen liegt der ökologisch sichere und sozial gerechte Bereich, in dem die Menschheit prosperieren kann.“ (S. 357)

Der Untertitel der englischsprachigen Ausgabe des Buchs lautet: „Sieben Wege wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken“, welche die Hauptartikel bilden:
1 Das Ziel verändern: Vom BIP zum Donut.

2 Das Gesamtbild erfassen: Vom eigenständigen Markt zur eingebetteten Ökonomie.

3 Die menschliche Natur pflegen und fördern: Vom rationalen ökonomischen Menschen zum sozial anpassungsfähigen Menschen.

4 Systemisches Denken lernen: Vom mechanischen Gleichgewicht zur dynamischen Komplexität.

5 Auf Verteilungsgerechtigkeit zielen: Vom Wachstum, das „für Ausgleich sorgen wird“, zu einer von vornherein distributiven Ausrichtung.

6 Auf Regeneration zielen: Vom Wachstum, das „die Umweltverschmutzung beseitigen wird“, zu einer von vornherein regenerativen Ausrichtung.

7 Eine agnostische Haltung zum Wachstum einnehmen: Von Wachstumsabhängigkeit zu einer agnostischen Einstellung zum Wachstum.

Die Quintessenz ist eine fundierte Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte. Der Donut veranschaulicht die gegenseitigen Abhängigkeiten und bezeichnet die wichtigsten Handlungsfelder und Ziele für eine lebensfähige Basis unseres Planeten.

Wer sich schon oft gefragt hat, warum in der weltweiten Politik – und damit auch in den Medien – immer die Bruttoinlandprodukte der Länder diskutiert werden und warum die entsprechenden Zahlen stets wachsen müssen, der findet fundierte Antworten in diesem Buch. Wer überzeugt ist, dass unkontrolliertes Wirtschaftswachstum um jeden Preis für den ökologischen Zustand der Erde schädlich ist, findet Anregungen zu einer Veränderung, seien sie Politikerinnen, Stadtplaner, Architektinnen, Landwirte – kurz: einfach alle. Auch ein Stöbern auf der Website (siehe Fussnote) lohnt sich!

Die GFS-Gruppe Biel

«GFS» steht für «Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung». Die GFS-Gruppe besteht seit Ende der 1980er Jahre und ist Teil des Arbeitskreises für Zeitfragen der reformierten Kirchgemeinde Biel.
Auf der Suche nach zukunftsfähigen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen liest und diskutiert die Gruppe vorwiegend Veröffentlichungen zu den Themen Wirtschaftswachstum und Décroissance.

Neue Interessent:innen sind jederzeit willkommen.
Info: Nelly Braunschweiger, 032 365 95 22, nelly.b@bluewin.ch

 
Geschichten des Gelingens
Angeregt durch Vorlagen im «Zukunftsalmanach» der Stiftung FUTURZWEI (Hrsg. u.a. von Harald Welzer) hat die GFS-Gruppe ab 2016 im Lokalteil der Monatszeitung «reformiert.» die Rubrik «Geschichten des Gelingens» eingeführt. Seither erscheinen Kurzberichte über beispielhafte Projekte aus Bereichen wie Ernährung, Energie,  Mobilität, Natur, Soziales, etc. Vision 2035 hat in den letzten Jahren auch immer wieder ausgewählte Geschichten des Gelingens der GFS-Gruppe publiziert.

Text:
Nelly Braunschweiger ist seit zehn Jahren aktives Mitglied der GFS-Gruppe und schreibt hie und da eine Geschichte des Gelingens.

Kate Raworth. – Die Donut-Ökonomie:
Endlich ein WIrtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. – Aktualisierte Studienausgabe. – München, Hanser, 2023
www.doughnuteconomics.org

Grafik:
Der Donut: ein Kompass für das 21. Jahrhundert. Zwischen dem gesellschaftlichen Fundament des Wohlergehens und der ökologischen Decke des planetaren Drucks liegt der sichere und gerechte Raum für die Menschheit.

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<< La 2ème vieille ville, un projet utopique ?<< Rien ne se perd, tout se transforme !reUsine: Neues Leben in alten Fabriken >>
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