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Mein Zauberböxchen

Wie kam es zum persönlichen Sündenfall? Unser Autor erzählt.

Lange Jahre hatte ich mich erfolgreich dagegen gewehrt, jederzeit überall erreichbar zu sein und gebeugten Hauptes mit auf Display fixiertem Tunnelblick durch die Welt zu gehen. Ich bin doch nicht wie all die vielen Zombies und Handyjunkies! 

Doch: Ein Grafiker ohne Handy, so begriff ich nach wiederholter Kritik an mir, ist in etwa so glaubhaft, wie Harry Potter ohne Zauberstöckchen. 

Und weil meine Umwelt mit mir digitalem Immigranten zunehmend Erbarmen hatte, wurde mir tatsächlich irgendwann ein Handy (iPhone 4-irgendwas, made in irgendwo) geschenkt. Es kam über dubiose Wege aus Asien zu mir und ich konnte damit nicht viel mehr als simsen, telefonieren und ein paar dümmliche Spiele spielen: Melonen in der Luft entzweischneiden, Zombies jagen und mit schnellen Scrollbewegungen jungen, hübschen Asiatinnen die Röckchen hochheben, zwecks Feststellung der Farbe ihrer Unterwäsche. Es lebe die digitale Revolution!

Aber immerhin: nun hatte ich mein erstes Zauberstöckchen, resp. Zauberböxchen, eins für Anfänger, und war damit angefixt. Denn, nach einigen Seitenblicken auf die Handys in meinem Umfeld, verspürte ich plötzlich auch Appetit auf all die tollen digitalen Spielereien, die unser aller Leben soviel besser und glücklicher machen. Wäre doch irgendwie schön, nicht nur Zauberlehrling zu sein!

Nach etwa zwei Jahren Angewöhnungszeit, war es dann soweit: In einem Moment der Schwäche und Verführbarkeit (und weil der Akku immer weniger taugte) kaufte ich ein neues Handy. Als langjähriger Macianer sollte es wieder ein systemkompatibles iPhone sein. Kein Bock auf Systemkrieg, und die Alternative «Fairphone» schien, gemäss einjährigem Test eines SPIEGEL-Reporters, sehr reparaturanfällig zu sein; wer will schon sein Handy alle paar Monate zwecks Reparatur einsenden?

Ich kaufte mir also das billigste iPhone, das gerade in einer Aktion beworben wurde. Bestimmt, so redete ich mir ein, wollten sie einfach die alten Modelle loswerden, da diese sonst eingestampft würden. Ich werde nie verstehen, wozu man das allerneuste Handy benötigt oder sogar noch die ganze Nacht vor dem Laden campiert, um erste BesitzerInnen des neuen Modells zu sein.

Anyway: nun war ich Neujunkie, der Besitzer eines echten, richtig funktionierenden iPhone 5S! Und erntete, nebenbei gesagt, sehr kritische Blicke meiner Partnerin.

Ich dachte gar nicht daran, dass wir für den Spass immer mehrfach bezahlen: wir müssen Arbeitszeit einsetzen, um das Geld für Handy und Abokosten zu verdienen. Einmal im Besitz des Handys, bezahlen wir schon wieder, diesmal mit unserer Zeit, die dann für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung steht. 

Und nun war ich – aber das habe ich beim Kauf erfolgreich verdrängt – auch noch mitverantwortlich an allem, was Apple in der Welt anrichtet. 

Mea culpa.

Apple ist, wenn man sich die Sache etwas genauer anschaut, doch eine der digitalen «Achsen des Bösen»: die ArbeiterInnen in Zuliefererfirmen am Ende der Welt, welche ein Leben als moderne Arbeitssklaven fristen, die rücksichtslose Plünderung der Erde für Rohstoffe, die Kriege um die «seltenen Erden», Apple’s Rekordgewinne und skrupellose Steuervermeidungstaktiken, Handys mit nicht-austauschbaren Akkus, künstlich heruntergesetzten Übertragungsraten… das alles passt auf keine Kuhhaut. Der Teufel verkauft Zauberböxchen und alle wähnen sich glücklich. Big Brother Apple lässt uns blechen, damit wir unsere Daten für seine Big Data-Sammlung auch noch freiwillig und in aller Ausführlichkeit abliefern? Wie konnte ich bloss? 

Und jetzt? Jetzt heisst es, updaten, reparieren (etwa bei apfeldoc) und gebrauchen, bis das Handy aus dem letzten Loch pfeift, bis der letzte Schaltkreis durchgeglüht ist. Bis dann sind hoffentlich die Fairphones besser geworden. 

P.S. Wer sein Gewissen jetzt schon beruhigen möchte (wenigstens das!) kann sich immerhin um eine nachhaltige Energiebilanz bemühen. Ich kaufte mir eine Solarvignette bei «Solafrica» (siehe Infobox). Und wer seine Daten schützen möchte, sollte unbedingt die Broschüre zur digitalen Selbstverteidigung lesen.

Andreas Bachmann Mitherausgeber der Vision2035

Solafrica bietet Kompensationen auf Flüge an sowie die Solarvignette, um diverse Geräte (Handy, Laptop, E-Velo, E-Auto) mit Solarstrom zu versorgen. 

Mit dem Gewinn unterstützt Solafrica Projekte zur Förderung der Solarenergie in wirtschaftlich benachteiligten Regionen Afrikas.

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