In einer Welt, die oft von Vorurteilen und Ausgrenzung geprägt ist, stellt sich die Frage: Was geschieht in unseren Köpfen, wenn wir auf andere treffen? Die Antwort offenbart ein komplexes Geflecht aus Abwehrmechanismen, die meist auf Angst basieren. Doch es gibt Hoffnung auf Veränderung. Indem wir uns bewusst werden und den Mut finden, unsere eigenen Mauern des „Othering“ niederzureissen, können wir nicht nur zu einem tieferen Verständnis anderer gelangen, sondern auch zu innerem Frieden.
Wie schauen wir «andere» an? Wie schauen wir den Mann an der Kasse oder unsere Nachbarin an, die Person, die uns gerade entgegenkommt, im Zug vis-à-vis sitzt? Die etwas anders macht, etwas anders sagt, vielleicht auch in einem anderen Ton…?
Geben wir dem Gegenüber in solchen Situationen überhaupt eine Chance, zeigen zu können, wer er oder sie ist? Oder haben wir das bereits selber abgeklärt, entschieden, abgestempelt und bestätigt, ohne dass wir mit diesem Gegenüber in Kontakt kommen mussten? Es ist so schnell passiert.
Das Phänomen des „Othering“ – das Ausschliessen, Be- und Verurteilen von Personen, die als fremd oder anders wahrgenommen werden – ist tief in unseren Köpfen verwurzelt. Oft geschieht dies aufgrund von alten Erfahrungen, Wunden und Überlebensstrategien. Reflektieren wir unser Verhalten in Begegnungen mit anderen, drängt sich auch die Frage auf, welche Rolle Angst dabei spielt. Warum empfinden wir plötzlich Ablehnung oder Schock gegenüber jemandem, den wir als andersartig betrachten? Liegt es daran, dass diese Person uns unsere eigenen Ängste spiegelt? Auf jeden Fall handeln wir oft unbewusst und nicht in böser Absicht.
Es gilt also zunächst einmal hinzuschauen, was da genau passiert.
Mit allem was wir tun, auch wenn wir selbst verurteilen, auch wenn wir uns abgrenzen, erfüllen wir uns wichtige Bedürfnisse, so der US-amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg, Begründer der Gewaltfreien Kommunikation: Bedürfnisse, die nur gesehen und anerkannt werden wollen. Sie brauchen nicht erfüllt zu werden. Rein das Bewusstwerden hilft.
Wenn ich mich also nicht auf jemanden einlassen will und ihm nicht zuhöre, wenn ich seine z.B. rechte politische Haltung nicht akzeptieren will, sondern zu einem Rechtfertigungs- und Verteidigungszug aushole, dann kann ich forschen, welches Bedürfnis in mir lebendig ist und gesehen werden will. Geht es mir um Frieden? Um Achtsamkeit mit allen Menschen? Oder um andere Bedürfnisse? Und ich kann forschen, wieso mein Gegenüber diese so andere Meinung hat. Wieso sagt er z.B. «Ausländer raus!»? Was erfüllt er sich damit? Welches Bedürfnis will dort gesehen werden? Vielleicht Zugehörigkeit? Oder Sicherheit?
Es bedarf Mut, das Bewusstsein für unsere Vorurteile zu schärfen und uns zu erlauben, dem Anderen in Offenheit zu begegnen – ohne allerdings die eigenen Werte aufzugeben oder mit jedem befreundet sein zu müssen. Nelson Mandela, ein Symbol des Friedens und der Versöhnung, erinnert uns daran, dass wahre Stärke darin liegt, „das Leuchten in jedem Menschen zu sehen“. Trotz 27 Jahren Haft und Unterdrückung bewahrte er seine Würde und sah in jedem Menschen das Potenzial zur Veränderung. Seine Geschichte zeigt uns, dass Frieden möglich ist, wenn wir bereit sind, unsere Mauern des „Othering“ liebevoll abzubauen.
Was also, wenn wir auch in denen, die wir so gar nicht mögen, und von denen wir denken, wie können die nur so denken und handeln, probieren das Leuchten zu erkennen? Kann ich in einem z.B. politisch rechts denkenden Menschen oder sogar extrem rechts denkenden Menschen, den Mensch erkennen? Was in ihm leuchtet? Oder ist es für mich klar: mit dem rede ich nicht, Grenzen sind zu? Kann es dann einen Weltfrieden geben? Oder geht es darum, miteinander in Kontakt zu kommen und miteinander zu sprechen? Oder würde es vielleicht sogar schon reichen, einander nur zuzuhören? William Ury schlägt in seinem „The Power of Listening“ TEDx Talk vor, Friedenszuhören anstelle von Friedensgesprächen zu praktizieren. Denn durch das Bewusstwerden unserer Vorurteile und das Zuhören können wir einen Schritt in Richtung inneren und äusseren Frieden machen.
Frieden beginnt in uns selbst. Indem wir uns erlauben, unsere eigenen Mauern des „Othering“ abzubauen und dem Anderen mit Empathie zu begegnen, tragen wir dazu bei, Verbindungen zu schaffen und Frieden zu stiften – sowohl in unserer eigenen Welt als auch in der Welt um uns herum. Es bedarf nur eines Moments der Offenheit. Peace Listens (Friedenszuhören) – uns selbst und unserem Gegenüber zuhören.
Text:
Onorina Magri, wohnhaft in Biel, mediiert in Streit verwickelte Kinder und Jugendliche in Schulen und erfüllt sich damit das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit. Gewaltfreies Zuhören ermöglicht ihr, selbst die Veränderung zu sein, die sie sich in ihrer Welt wünscht. Still nach hinten lehnen, sich in das Gegenüber einfühlen und dem Gespräch in uns selbst lauschen, dort beginnt Frieden.
Illustration:
Sofia Wild