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Frühsommergefühle im Stadtzentrum

Eine Ode an die Statussymbole der Neuzeit und ihren täglichen Auftritt auf dem Laufsteg in der City.

Ein Mai-Morgen wie aus dem Bilderbuch. Autos in allen Farben und Formen rauschen an der Mühlebrücke. Biel erwacht, ein erster Sommertag kündigt sich an. Es ist etwas los an diesem Samstagmorgen. Vor allem schwarze und weisse, aber auch blaue, rote und ab und zu gar grüne Automobile bringen Leben ins Zentrum. Wie ein endloser Tatzelwurm schlängeln sie sich vom See Richtung Bözingen und umgekehrt und verpassen der Szenerie mit ihrem monoton-eindringlichen Rauschen eine meditative Note. Die ersten Sonnenstrahlen lassen die Metallgehäuse der Gefährte aufblitzen. Darunter so manches Prachtexemplar. Porsches der neuesten Generation, blitzblanke Teslas und hochrädrige SUVs, die sich mit ihren kühn geschwungenen Kühlerhauben vor nichts und niemandem fürchten müssen. Man kommt nicht mehr aus dem Staunen, ob all der Modelle, von denen viele richtig etwas hergeben, aufgeplusterten Hummeln gleich, und dabei normale Kleinwagen von vorgestern wie dünnflüglige Eintagsfliegen erscheinen lassen. An den Zebrastreifen bei der Mühlebrücke und am Neumarkt lässt sich das Getümmel auf der Kanalgasse, deren Namen dem Treiben keinesfalls gerecht wird, besonders gut und in aller Ruhe betrachten. Die Ampeln sind so eingestellt, dass die Fussgänger zum Innehalten und tiefen Durchatmen eingeladen werden und genügend Zeit haben, ihre volle Aufmerksamkeit für einen langen Moment den vielfältigen Düften und unterschiedlichen Brummtönen der Motorisierten zu widmen. Ein Privileg, das bald nur noch Bielerinnen und Bieler haben. Wo sonst werden Neu- und Altstadt so elegant entzweit, und wo sonst dem Verkehr so kompromisslos der ihm zustehende Raum und Vortritt eingeräumt. Dass Tourismus Biel Seeland dieses Phänomen zu vermarkten beginnt und damit Gäste aus der ganzen Schweiz anlockt, ist bloss eine Frage der Zeit. Andere Städte ignorieren teils rigoros die Qualitäten der mannigfaltigen Emissionen der Personenkraftwagen und verbannen immer mehr die Autos aus ihren Zentren. Anders Biel. Hier können wir die Statussymbole unserer heutigen Zivilisation als Ausdruck des Fortschritts noch tagtäglich mit allen Sinnen erleben. Nur schade, dass die Insassen der Karossen in ihren Kabinen von dem ganzen Treiben, zu dem sie so engagiert und zuverlässig beitragen, kaum etwas mitbekommen. Dass noch niemand drauf gekommen ist, aussen an den Wagen Mikrofone anzubringen, die das Geschehen live und in Surround-Sound-Qualität ins Innere übertragen, ist kaum zu glauben. 

Und dann springt die Ampel für die Fussgänger doch kurz auf Grün. Der Tatzelwurm gerät für ein paar Sekunden ins Stocken. Vom Park der Villa Lindenegg her ist leise das Pfeifen von Vögeln zu hören. Dezent nur. Gerade so kurz, dass keine Langeweile aufkommt und die vierrädrige Idylle nicht gross gestört wird. So klingt Frühsommer in Biel.  

Text:

Janosch Szabo, Redaktionsmitglied hat in seinem Wagenpark nur Drahtesel. Mit ihnen liefert er Konfi aus seiner Manufaktur, die neusten Ausgaben der Vision 2035, transportiert im Anhänger sämtliche Einkäufe und hin und wieder eine ganze Pfannkuchenbar.

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