Biel – Schweizer Stadt des Wandels! Unsere beiden Autoren haben erkannt, dass wir das Potential besitzen, Vorbild für neue, zukunftsgerichtete Gesellschafts-Entwürfe zu werden. Unzählige Ideen und Projekte erzählen bereits von dieser wandlungsfähigen Gesellschaft, die noch ganzheitlicher, kreativer und nachhaltiger wirkt. Und Tom und Martin fragen sich: Was wäre, wenn wir dieser Stadt im Wandel eine lokale Währung als Identifikationsmittel schenken würden? Sie nennen sie spontan «ICI – unsere Kreislauf-Währung für das Hier und Jetzt».
Jaël, 21, Studentin
Ich lebe in einer WG und besuche die Kunstgewerbeschule. Zusammen mit einem ETH-Studenten und zwei jungen Berufsmenschen bewohnen wir eine 5-Zimmer-Wohnung im Zentrum. Geld hat von uns niemand und wir sind immerzu auf dem letzten Drücker.
Seit «ICI» lanciert wurde, haben wir als WG eine Einnahmequelle, die uns allen zugutekommt. Mit der Nachbarschaftshilfe und Abfallrecycling-Sache – wir wohnen in einem grossen Wohnblock mit einigen alten Menschen – füllt sich unser Konto jeden Monat ein kleines Bisschen (siehe Infobox in der Grafik). Alle zwei Monate können wir davon einen Gruppeneinkauf machen. Diesen bestreiten wir zusammen und gönnen uns übers Wochenende feines Essen und grossartige Getränke aus der Region. Wenn wir den Einkauf einmal nicht schaffen, benützen wir den «ICI» für die Stromrechnung. Das kommt so auch allen zugute. In meiner schulfreien Zeit habe ich auch gleich einen Nebenjob – Abfall sortieren bei der regionalen Sammelstelle.
Eine lokale Währung muss auf den vier Stützen Gesundheit, Beziehung, Ressourcen und Infrastruktur aufbauen, um ganzheitlich zu wirken.
Erste Stütze: Ich = Gesundheit
Ich kenne mich, weiss was ich benötige, bewege und ernähre mich nach meinem Wohlbefinden. Eine in die Natur eingebettete Stadt gibt mir das Gefühl von Identität und fördert mein Bewusstsein für ein gesundes Leben.
Zweite Stütze: Wir = Beziehung
Da wo ich wohne, fühle ich mich wohl. Ich kenne Familien, Kinder, Singles und Betagte in meinem Wohnblock, meiner Nachbarschaft. Ich helfe selbstbestimmt und freiwillig, wenn jemand etwas benötigt. In einer Stadt, in der ich gesehen werde, engagiere ich mich gerne für meine Mit-Menschen.
Dritte Stütze: Gemeinschaft = Ressourcen
Gemeinsam fordern und fördern wir ein Bewusstsein für die Ressourcen der Stadt (kulturell und ökonomisch) – alles ist vor Ort verfügbar! Wir teilen gemeinsam Wissen und Werkzeuge, gewinnen Sekundär-Rohstoffe (Recycle und Cradle-to-Cradle) und unterstützen umwelterträgliche Energiereformen. In einer Stadt, in der ich mitreden darf, fühle ich mich eingebunden und mündig.
Vierte Stütze: Stadt = Infrastruktur
Familie, Arbeit, Freizeit – alles was zu einem erfüllten Leben dazu gehört, ist idealerweise auf Stadtboden möglich. Zugang zu Wohn- und Arbeitsraum für alle Lebensentwürfe, zweckgerechte Fuss- und Fahrradwege, sinnvoller öffentlicher und privater Verkehr. Viel Grünfläche für Erholung und Austausch. Eine Stadt, die ganzheitliche Infrastruktur ermöglicht, fördert eine langfristige und lebenswerte Entwicklung.
Beat, 44, Familienvater, Selbstständig
Was mich lähmt sind Abstimmungen. Die Abstimmungsresultate geben mir das Gefühl, dass ich allein nichts bewirken kann. Das hat sich geändert seit dem Bieler-Franken.
In meiner Arbeit werde ich stark beansprucht. Das lässt mir keinen Raum, mich in Gruppen oder einer Partei einzubringen. Mit dem «ICI» habe ich jetzt die Möglichkeit, mich sozial zu engagieren. Tägliche Einkäufe, die wir sowieso erledigen müssen, besorgen wir jetzt für drei ältere Menschen in der Nachbarschaft. Das gibt nicht mehr zu tun und der regelmässige Austausch mit diesen Menschen ist eine Freude und unsere Jungs überbringen voller Stolz die Einkaufstaschen.
Was das mit Abstimmungen zu tun hat? Mir geht es nicht darum Bieler-Franken zu verdienen. Das ist ein angenehmer Nebeneffekt und erweitert meinen Horizont zu den an den Bieler Franken gebundenen regionalen Produkten. Wichtiger sind mir Begegnungen, die dank dem Franken entstehen. Zum Beispiel das spontan entstandene Waldpicknick mit den Einkäufe-Lieferanten und Altersbetreuern. In dieser Runde diskutierten wir rege und ich bemerkte, dass ich nicht alleine bin. Das gibt mir Kraft und Mut, weiterhin meine Vorstellungen in die Urne zu legen.
Jeremy Rifkin (Grossvater vom «The Green New Deal») und über 50 Jahre Aktivist für eine nachhaltigere Ökonomie, schlägt seit Jahren als Ideal drei Währungen vor: Eine globale, nationale und regionale Währung. Die regionalen Währungen sind als reine Kreislaufwährungen für die täglichen Grundbedürfnisse gedacht. Was wichtig ist: die regionale Währung ist spekulationsbefreit! …und hat ausserhalb der Stadt oder Region nix, null und keinen Wert mehr.
Kritische Stimmen fragen immer wieder: Wie bitte schön kommt eine regionale Währung zu Stande? Wir schöpfen Geld aus dem Nichts! So wie alle Geldsysteme dieser Welt aus dem Nichts geschöpft werden. Damit die Währung gelingt, muss sie breit abgestützt sein. Idealerweise kann ich mein tägliches Brot, die Stromrechnung und die Benützung des ÖV mit der Bieler Währung «ICI» bezahlen. Die Stadt Bristol (Bristol Pound) ist seit 2012 eine Regional-Währungs-Erfolgsgeschichte und in der Genfersee-Region hat der Léman während der Pandemie um 800% zugelegt. Geht doch, oder?
Antoniella, 37, Serviceangestellte
Meine Arbeit im Service erfüllt mich und ich möchte nichts anderes tun. Der Kontakt zu den Menschen, ihnen Tag für Tag ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, ist das Grösste für mich. Ich mag es, Gäste zu unterhalten und ihnen schöne Momente zu bieten. Es ist eine physisch anstrengende Arbeit. Die vielen Kilometer, welche ich Tag für Tag in meinem Job laufen muss, gehen in die Beine. Das hält mich fit, was mir den Weg ins Fitnesscenter erspart. Hier kommt mir «ICI» entgegen. Ich lasse meine App während meiner Arbeit laufen und kann somit profitieren. Nicht nur, dass ich Ende Monat 200 – 300 «ICI’s» zusätzlich verdiene. Sondern, dass ich meine Arbeit als wertgeschätzter empfinde. Ich werde dafür zusätzlich von der Gesellschaft belohnt, dass ich diese Arbeit tue, mich aktiv bewege. Das gefällt mir sehr und schenkt mir eine erweiterte und anerkennende Perspektive auf mein Tun.
Walter, 75, Pensionär
Wenn ich mich mit meinen gleichaltrigen Freunden unterhalte, drehen sich unsere Gespräche um Altersbeschwerden, schlimme Krankheiten und Schicksalsschläge. Ich will diese nicht abtun, auch ich habe körperliche Altersbeschwerden, die mich beeinträchtigen. Aber: es ist eine Negativspirale, die sich um unsere Pension schlängelt. Dagegen tue ich etwas und der «ICI» unterstützt mich dabei.
Was mir besonders gefällt ist, dass meine alltäglichen 1 bis 2-stündigen Spaziergänge hier ebenso wirken. Es ist immer wieder amüsant, wenn ich andere Pensionäre beim Spazierengehen antreffe und wir uns ansprechen können: «Na, wie läuft es sich mit ICI?». Im Austausch mit Gleichgesinnten habe ich schon mitbekommen, dass es seit dem Bieler-Franken viel mehr ältere Menschen gibt, die das Spazierengehen für sich entdeckt haben. Das geht sogar so weit, dass manche sagen, dass ihre Gesundheit sich verbessert hat und sie weniger Medikamente benötigen. Unglaublich, wie wenig es braucht, damit man das tut, was einem wirklich guttut. Und dann hat man noch Spass daran, weil sich der eine oder andere auch im hohen Alter etwas Zusätzliches aus der Region gönnen kann.
Gemeinsam etwas zum Wandel beitragen – als mündige Bürger übernehmen wir die Kontrolle über die Kreisläufe unserer Region, lösen Abhängigkeiten auf und steigern unsere Resilienz… mit anderen Worten: Wir stärken lokale Strukturen, reduzieren unseren «Fussabdruck» und sind ready für das, was immer kommen mag… eine lokale Währung würde diesen Wandel beträchtlich anfeuern…
Das Grundlegende an «ICI»: Die vier Stützen Gesundheit, Beziehung, Ressourcen und Infrastruktur werden bewusst gefördert. Wer sich oder anderen Gutes tut, wird umgehend in «ICI» wertgeschätzt und belohnt. Trenne ich meinen Abfall – Lohn! Engagiere ich mich in meiner Nachbarschaft – Lohn! Geh ich zu Fuss, statt mit dem Auto – Lohn!
Jeder Bieler und jede Bielerin erhält zum Start 1000 ICI’s auf eine Smartphone-App (1 ICI = 1 Schweizer Franken) …ja, jedes Geld dieser Welt wird aus dem Nichts geschöpft! Ab jetzt kann gesammelt/eingekauft werden. Alle dürfen am «ICI» partizipieren, wenn sie die ökologischen, sozialen und regionalen Aspekte berücksichtigen und fördern.
Die lokale Währung ist eine Kreislaufwährung und somit spekulationsbefreit. Die lokale Währung funktioniert dann, wenn sie eine grosse Akzeptanz hat – sprich: wenn ich meine Grundbedürfnisse mit dem «ICI» bezahlen kann.
Text:
Tom Zbinden führt seit 20 Jahren in Biel sein eigenes Grafikatelier und begleitet Firmen und Organisationen in Fragen der Kommunikation, Werbegrafik und Ausstellungsgestaltung. Er ist eidg. dipl. Gestalter HF Kommunikationsdesign, aktiv in verschiedenen Gruppen für Zukunftsfragen und leitet im Rahmen von «in-between.me» anstossende Gespräche.
Martin Albisetti führt seit 2017 die Schule re:format mit der Absicht, Menschen ihr einzigartiges Talent aufzuzeigen und gemeinsam mit ihnen einen erfüllenden Lebensentwurf zu formulieren und umzusetzen.
Illustration:
Martin Albisetti
Wer durch diesen Beitrag inspiriert ist und den Bieler Franken ICI gerne weiterdenken und mitentwickeln möchte, schreibt bitte an info@vision2035.ch. Vision 2035 koordiniert dann ein Treffen mit den Autoren des Beitrags.