8 155 241 331 Menschen bevölkern diese Welt. Sieben davon sind in Biel zusammengekommen und teilen bei einem von unserer Autorin organisierten Generationentreffen ihre Erfahrungen, Ansichten und Wünsche zum Thema Frieden.
Ein leerer Raum, ein vorbereiteter Stuhlkreis, gleich kommen sie. Einen Moment ist es still, dann klingelt es. Die 48-jährige Jolanda Giardiello tritt ein und hält der jüngeren Nusa Schneider die Tür auf. Das sei selbstverständlich, keine grosse Tat, sagt sie darauf angesprochen, viel eher ein Versuch, kleine, positive Handlungen in den Alltag zu integrieren. Petra Schmitz steht dicht hinter den beiden Frauen und bemerkt umgehend: „Die Grösse der Tat spielt keine Rolle, jede Handlung im Willen für Gutes hat Wert.“
Ursprung
Zum Einstieg die Frage, wo sich für die hier Versammelten im Alltag Unfrieden bemerkbar mache. „Im Druck der sozialen Netzwerke“, sagt die zwanzigjährige Nusa gerade heraus: „Genauso sein und aussehen zu müssen, wie die Ideale im Netz, ist schwierig und löst ein Gefühl der Schwere aus“, erklärt die Verkäuferin in Ausbildung. Jolanda kann das gut nachvollziehen. „Früher verglich man sich auch mit anderen, nur war die Reichweite der Medien geringer. „Heute werden die jungen Menschen permanent mit Idealen konfrontiert.“
Die 64-jährige Petra versteht das Argument der jüngeren Generation. Für die transpersonale Wegbegleiterin für Frauen hat jedoch der „Fokus“ einen entscheidenden Einfluss auf den Unfrieden. „Negatives erlangt oft mehr Aufmerksamkeit als Positives.“ Das wirke sich auf den inneren Frieden aus und mache sich folgend negativ gegen aussen bemerkbar. Negativer Fokus, Druck und konstantes Vergleichen sorgen also für Unfrieden?
Was meinen die Männer dazu? Für den Sozialpädagogen Malik Nünlist liegt das Gefühl der Ohnmacht im Bereich der Informationen: „Heutzutage gibt es weit mehr Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen als früher, gleichzeitig sind sie noch nie so intransparent und verfälscht gewesen”, begründet der 30-Jährige. So sei es schwierig, sich eine Meinung zu bilden und einzuschätzen, was der Wahrheit entspreche und was nicht.
Der 85-jährige Ivan Christ nickt zustimmend. Es gibt für ihn aber noch einen anderen Punkt: Ungerechtigkeit. Seinerzeit, als er bei der Gemeinde Biel angestellt war, gab es seiner Meinung nach viele unfaire Fälle: «Manch Unwilliger profitierte von der Unterstützung der Arbeitsvermittlung, während andere dringend finanzielle Unterstützung gebraucht hätten, sie aber nicht erhielten“, erzählt er. Heute fühle er sich hilflos, wenn er nicht wisse, wo sein Steuer-Geld hinfliesse.
Sind die genannten Ursachen des Unfriedens auch Gründe für Streit und Krieg?
«Streit und Krieg haben mit Knappheit zu tun», sagt die 80-jährige Ursi Christ. „Essen auf dem Tisch zu haben, ist nicht selbstverständlich, denn während wir im Überfluss leben, leiden andere Hunger. Würde alles so aufgeteilt werden, dass jeder so viel erhält wie er braucht, gäbe es weniger Angst, Wut, Not und folgend auch weniger Kriminalität.»
Malik stimmt der ehemaligen Sportverkäuferin zu: «Die Welt funktioniert mit Gier.» Es gäbe genug von allem für alle, aber weil Menschen nicht genügsam sind und meinen mehr von diesem und jenem zu brauchen, um glücklicher zu sein, entstehe andernorts ein Mangel und folgend ein Konflikt oder sogar Krieg: „Knappe oder gar fehlende Rohstoffe sind ein gutes Beispiel dafür,“ sagt Malik: „Sie können einen Wirtschaftskrieg auslösen.“
Bewusstseinsbooster für die Menschheit
Bedeutet das also, wir müssten bei uns selbst anfangen, Änderungen vorzunehmen? „Ja“, sagt Jolanda bestimmt. Die Musikerin, Künstlerin und Energetikerin wünscht sich mehr Bewusstsein für die Menschen. «Jeder sollte bei seinem eigenen Frieden beginnen, ihn dann in den Kontext der Familie übertragen und schliesslich darüber hinaus.»
Nusa sieht das ebenso: «Jeder Mensch soll sich selbst ein Stück mehr lieb haben.“ Wer mit sich selbst im Reinen sei, zeige mehr Verständnis gegenüber anderen. Auch Petra schliesst sich an: „Immer wieder in die eigene Mitte kommen und sein inneres Gold entdecken, stärkt die Fähigkeit, auch in turbulenten Situationen bei sich zu bleiben.“
Der eigene Frieden als Grundlage? Was müssten wir dann in unserem Umfeld und auf der Welt ändern? «Negatives sollte dosiert konsumiert werden,“ fährt Petra fort. Über das Weltgeschehen im Bild zu sein, sei wichtig, könne aber auch zu viel werden und dann schaden. Ihr Motto: «Anstelle von Gedanken des Krieges, Gedanken des Friedens.»
Darauf meldet sich Malik zu Wort. Der Fokus an sich sei das eine, «Negatives» damit aber noch nicht aus der Welt geschafft. Es bräuchte eine allgemeine Entschleunigung. «Auf die Wirtschaft bezogen: Mehr mitdenken, sich dem eigenen Konsumverhalten bewusst werden, und einen Weg finden, aus dem Teufelskreis der Überproduktion auszubrechen.»
Handeln
Für die 25-jährige Zoé Maradan ist eigenes aktiv werden eine Voraussetzung. Die Ergotherapeutin hat bereits bei einem Flüchtlingsprojekt mitgeholfen und versucht das, was sie sich von anderen wünscht, vorzuleben: „Tolerant sein, Menschen mit Respekt begegnen, jeweils beiden Parteien Platz geben und – ganz wichtig – in den Dialog gehen,“ fasst sie zusammen.
Ursi folgt Zoés Aussage aufmerksam. Für sie ist «anpacken» und «ins Tun kommen» ebenfalls von Bedeutung. „Nicht nur reden, sondern gewünschte, positive Veränderungen angehen und Ideen in die Tat umsetzen.“
Handeln als Grundlage der Veränderung? Was rät die ältere Generation abschliessend, was demnach für eine friedvollere Zukunft besonders wichtig wäre?
«Lebt bescheidener und dankbarer“, sagt Ursi aufrichtig. Sie wünsche sich, dass die Menschen weniger Gier und Neid verspüren, mehr Rücksicht aufeinander nehmen, mitdenken und zusammenarbeiten.
Und Ivan? «Seid fair, stark und gebt euch nicht auf.“ Arbeiten und fleissig sein, auch in schwierigen Zeiten, sei essenziell. «Jeder muss mithelfen, wir sind ein grosses Team.»
Ein Moment der Stille breitet sich aus. Alle Anwesenden blicken in die Runde. Dabei bietet sich ein bemerkenswertes Bild: Unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Lebensläufen und individuellen Vorstellungen für denselben Planeten, sitzen sich noch eine Weile gegenüber. Alle werden den Raum anders verlassen, als sie ihn betreten haben.
Text:
Lara Mina Christ ist in Biel geboren und startet mit 25 Jahren neu in den Beruf des Journalismus. Eine erste Buchveröffentlichung motivierte sie dazu, mehr Erfahrungen zu sammeln und den kreativen, persönlichen und wertvollen Geschichten der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Biel mehr Aufmerksamkeit zu schenken und diese schreibend mit anderen zu teilen.
Fotos, von links:
Malik Nünlist, Ursi & Ivan Christ, Nusa Schneider, Jolanda Ghiardello, Petra Schmitz, Zoé Maradan