Aspekte des Home Office aus der Sicht einer Berufstätigen, deren Job per Definition in direktem Kontakt mit dem Menschen stattfinden sollte.
Bleiben Sie zu Hause! Was bis anhin undenkbar schien als Sozialarbeiterin auf einem Sozialdienst einer der grösseren Städte in der Schweiz, wurde Realität. Wir sollten nun sofort digital und distanziert von den Menschen arbeiten. Mit Akten unter dem Arm ging ich nach Hause und wusste nicht recht, was die nächsten Wochen bringen würden oder wie lange dieser Ausnahmezustand dauern würde.
Der Kern meiner Arbeit sind Gespräche und Begleitungen mit Klient*innen und die Regelung von Finanzen. Ein Menschenleben hat so viele Variablen an Schwierigkeiten oder Lebensübergängen, für die ich als gesetzliche Beiständin und Sozialarbeiterin eine Lösung wenn möglich im direkten Gespräch mit den Betroffenen und, wenn vorhanden, ihren Angehörigen finden muss. Es bleibt mir zu hoffen, dass es zu keinen Notfällen kommen würde. Krisen und Distanz sind ein schlechtes Paar.
Auch wenn ich verantwortlich bin für „meine“ Klient*innen brauche ich den Austausch mit meinen Teamkolleg*innen. Normalerweise würde ich ins nächste Büro schlendern um die nötige Unterstützung zu finden. Zu Hause sitze ich in meiner kleinen Wohnung in meinem unpassenden Stuhl an meinem ergonomisch unpassenden Tisch und fühle mich auf einmal ganz alleine mit meiner Verantwortung. Ich muss Wege finden, meine Isolation zu durchbrechen. Textnachrichten, individuelle Telefonate und persönliche Emails werden wichtige Instrumente. Teamsitzungen am Telefon sind eher anstrengend als hilfreich. Wir haben keine Etikette für digitales Miteinander. Wir fallen einander ins Wort, vergessen, dass alle hören können, wenn man zum Telefonieren die Blumen giesst, und die Kinder im Hintergrund singen im Chor.
Home Office in einer Altbauwohnung bringt Herausforderungen, wenn sämtliche Bewohner*innen sich ebenfalls in ihren Wohnungen aufhalten.
Rock ’n’Roll Musik in der Wohnung über mir ist ein schlechter Begleiter zum Krisengespräch mit der psychisch erkrankten Klientin. Mein bester und einziger Einkauf, sobald ich meine Arbeit in meine Wohnung dislozieren musste, war ein Kopfhörer, der Umgebungsgeräusche dämpft und gleichzeitig als Telefonhörer dient. Wahrlich eine tolle Erfindung.
Das Telefon ist mein einziges Arbeitsinstrument. Ich kann nur noch über den Äther versuchen zu Regeln, was möglich ist. Limitiert und kurzfristig. Regelmässige telefonische Gespräche scheinen zumindest den isolierten Klient*innen gut zu tun. Die Beziehung wird der wichtigste Bestandteil meiner Arbeit. Diese funktioniert auch über die Distanz, was eine gute Erfahrung ist. Und weil alle Menschen in demselben Ausnahmezustand leben müssen, wird unkomplizierte geholfen und Lösungen rasch gefunden werden.
Die verordnete Arbeit zu Hause neigt sich dem Ende zu. Ich habe ein weinendes und ein lachendes Auge. Mein Arbeitsweg ist lang. Dank Home Office erhielt ich Zeit geschenkt. Zeit, die ich im Garten verbringen konnte und nicht im Zug sitzen musste. Ein wahres Geschenk, das ich ausserordentlich genoss und vermissen werde.
Auf den direkten Kontakt mit meinen Klient*innen und meinen Arbeitskolleg*innen freue ich mich. Die persönliche Fürsorge ist ein zentrales Element meiner Arbeit. Das lässt sich mit dem Telefon nicht kompensieren. Ebenso wenig den Schwatz in der Kaffeepause.
Schmunzeln muss ich darüber, wie schnell die digitalen Zugänge ermöglicht werden mussten. Noch im Februar wurden Gesuche von Mitarbeiter*innen um einzelne Tage Home Office abgelehnt. Es wurde mit fehlender Systemkompatibilität und Datenschutz argumentiert, fehlendes Vertrauen in die Mitarbeiter*innen schwang mit. Dass es natürlich geht, haben wir gezeigt. Ich wünsche mir künftig mehr Flexibilität und Mitsprache und Vertrauen.
Melanie Hiltbrand: Sozialarbeiterin, Co-Präsidentin Verein MädchenHouse desFilles Biel-Bienne und noch allerhand mehr.