Brennpunkte Urbanismus

Land an bester Lage am Bielersee für 45 Franken pro Quadratmeter?

Wer den Vertrag1)zwischen Biel/Nidau und Mobimo2)zum „Werte und Risikoausgleich“ liest und dabei noch weitere Dokumente und einen Taschenrechner benützt, kommt auf einen Nettoverkaufserlös von bestenfalls 45 Franken pro Quadratmeter Land für die beiden Städte. Wie ist das möglich?

Der sogenannte Werteausgleich

Mit Vertrag von April/Mai 2013 wird der „Werte- und Risikoausgleich zwischen den Grundeigentümern und die Modalitäten für die Bereitstellung des Baulandes“ zwischen den Städten Biel/Nidau und der Mobimo geregelt. Das knapp 9 Seiten umfassende Dokument stellt ein Lehrstück dar für die Verteilung von Aufwendungen und Ertrag zwischen der öffentlichen Hand und privaten „Investoren“.

Die Artikel 8 bis 11 regeln die Vorbereitung des Baulandes: Der von Mobimo zu bezahlende Verkaufspreis soll von den beiden Städten für alle Aufwendungen bezüglich Altlasten, Archäologie und Erschliessung des Baulands verwendet werden.

Gemäss den weiteren Artikeln der Vereinbarung soll dabei noch ein gewisser Überschuss bleiben. Von diesem werde die Stadt Biel vorab 7 Mio. Franken abzweigen für ihre Aufwendungen beim Kauf des Bodens etwa im Jahr 2000. Der Rest des Überschusses wird zwischen Biel und Nidau je hälftig geteilt.

Falls der Verkaufspreis nicht alle genannten Aufwendungen deckt, gehen die weiteren Kosten vollumfänglich zu Lasten der Stadt Nidau. Dabei ist genau genommen erst von einem Teil der Aufwendungen die Rede. Nur als Beispiel: Wenn am See rund 1200 Wohnungen entstehen, darf vermutet werden, dass mindestens 600 Kinder und Jugendliche dort wohnen werden, die irgendwo zur Schule gehen werden. Bei einer Klassengrösse von 25 Kindern bedeutet dies rund 24 neue Schulzimmer, die noch gebaut und bezahlt werden müssen.

Was geschieht mit den 110 Mio. Franken Verkaufserlös?

Gemäss der von Mobimo vorgelegten Kaufpreisofferte vom 23. Februar 2012 sollen auf den rund 35’500 Quadratmetern bebaubarem Land rund 120’000 m2Bruttogeschossfläche (BGF) entstehen, was bei einem Durchschnitt von 100 m2pro Wohnung 1’200 Wohneinheiten entspricht. Der Kaufpreis wurde mit 917 Franken pro m2BGF genannt, was ein Total von rund 110 Mio. Franken ergibt. Auf den ersten Blick gibt das den stolzen Verkaufspreis von fast 3’100 Franken pro Quadratmeter Bauland. Das klingt schon bald nach New Yorker Preisen. Und eine Ausnützungsziffer3)von 3.38 scheint immerhin den immer wieder genannten Anforderungen von „Verdichten“ zu entsprechen.

Sobald der Verkaufspreis mit dem gesamten von Nidau und Biel für das Projekt Agglolac am See zwingend ins Spiel gebrachten Land (Uferzone, Strassen, Hafen usw.), nämlich 153’850m2, verglichen wird, beträgt der Verkaufserlös nur noch 715 Franken pro Quadratmeter. 4).

An dieser Stelle kommen nun noch die Auslagen für Biel und Nidau in Abzug. Dazu gibt es im Mitwirkungsbericht des Projekts Zahlen, beruhend auf einer Berechnung der Wirtschaftlichkeit im Herbst 2015. Zunächst werden zusätzliche, nicht genauer umrissene, Einnahmen in der Höhe von 9 Mio. Franken ausgewiesen. Dem gegenüber stehen Aufwendungen von fast 108 Mio. Franken. Darin enthalten eine Reserve von 9,6 Mio. Franken (die genau genommen gegen Artikel 12 der Vereinbarung verstösst, der eine Reserve von 20% des Verkaufserlös vorschreibt) und die Rückerstattung des Kaufpreises an Biel im Betrag von 7 Mio. Franken. Somit verbleiben 91,4 Mio. effektive Aufwendungen. Darin sind inbegriffen:

  • Beispielsweise „Altlasten“ mit 5,6 Mio. Franken. Was, wenn hier ein unerwarteter Mehraufwand entsteht wie bei der Sanierung des Gaswerkareals, die mit 20 Mio. Franken mehr als doppelt so teuer wie geplant ausfiel?
  • Beispielsweise „öffentliche Infrastruktur“: Die öffentliche Erschliessung – das sind Strassen, elektrische Leitungen, Wasserleitungen und was sonst dazu gehört – sowie übrigens einzelne Erschliessungsstrassen innerhalb des bebauten Gebiets (ja, so steht es in den Verträgen!) sind ebenfalls vom Verkaufspreis zu bezahlen. Hier werden 50,7 Mio. Franken ausgewiesen. Wobei allenfalls vorhandene andere öffentliche Gelder aus den dafür vorgesehenen Spezialfonds beigezogen werden sollen.
  • Beispielsweise Archäologie: Der genannte Bericht weist 12,5 Mio. Franken Aufwand aus. Gemäss Bieler Tagblatt vom 10. Juni 2016 werden die archäologischen Aufwendungen auf 28 Mio. Franken geschätzt.Daran sollen der Bund und der Kanton etwas beisteuern . Also sollen auch in diesem Bereich  weitere öffentliche Gelder beigezogen werden, die bis heute noch gar nicht in der Rechnung erscheinen.

Auf Grund des heutigen Zeitplans ist ein Baubeginn frühestens im Jahr 2022 möglich. Es darf mit gutem Gewissen angenommen werden, dass es noch etwas länger dauern wird und somit die im Jahr 2015 geschätzten, oben mit 91,4 Mio. Franken bezifferten, Aufwendungen um gute 15% zunehmen werden und somit rund 105 Mio. Franken betragen werden. Damit wird die Rechnung bestenfalls wie folgt aussehen:

Dies ergibt für die von den beiden Städten gesamthaft eingesetzten Landfläche von 153’8500 Quadratmetern einen Nettoerlös von rund 45 Franken. Dabei sind die oben erwähnten sonstigen Mittel aus der öffentlichen Hand (Spezialfonds, Kantons- und Bundesbeträge) noch gar nicht mitgerechnet. Und was noch gravierender ist: Wenn am Schluss weniger Wohnfläche gebaut werden sollte, sinkt der Verkaufserlös rapide: Bei nur 10% weniger Bruttogeschossfläche gibt es nur noch 99 Mio. Franken und dann kippt die obige Rechnung in reine Subvention um.

1) Der besseren Lesbarkeit halber werden in diesem Text sowohl die Firma Mobimo Management AG als auch die Mobimo AG selber einfach als Mobimo bezeichnet. Der kleine juristische Unterschied ändert nichts Wesentliches an den Aussagen.

2)https://www.agglolac.ch/assets/download/130617-Vereinbarung-Werte-Risikoausgleich-mit-Unterschriften-Staedte.pdf

3) Die Ausnützungsziffer besagt, wie viele Quadratmeter Wohnfläche pro Quadratmeter Land gebaut werden dürfen. Je höher sie ist, umso höher werden auch die Gebäude.

4) Zum Vergleich: Als sich die Bieler Wohnbaugenossenschaften für die Bebauung des Gurzelenareals interessierten, wurden 812 Franken pro Quadratmeter als oberer Grenzwert für gemeinnützigen Wohnungsbau errechnet. Das war der Stadt Biel viel zu wenig. Und der Baurechtsvertrag am Fabrikgässli zwischen der Genossenschaft FAB-A und Biel legt 1’035 Franken pro Quadratmeter (!) als zu verzinsender Landwert fest. Wohlgemerkt: Land, das nach Ablauf des Vertrags wieder an die Stadt Biel zurückfällt (!!)

Claude Marbach, dipl. Architekt HTL, BSA, SIA

Uwe Zahnd, dipl.Ing. ETH

Das alles wirft Fragen auf

  • Es wird immer mit den zukünftigen Steuererträgen argumentiert: Wie hoch werden diese eingeschätzt? Werden an dieser Wohnlage Steuerzahler oder nur Steueroptimierer (oder gar Zweitwohnungsbesitzer wie gegenüber am See?) angezogen?
  • Wie sehen die entsprechenden jährlichen Unterhaltskosten der Infrastruktur und der Uferflächen im Vergleich zu den Steuereinnahmen aus?
  • Darf eigentlich die Stadt Biel mit ihrem Teil des Erlöses aus dem Verkauf Infrastrukturkosten auf Nidauer Boden bezahlen? Oder wird dies über ein Darlehen geschehen, womit alle Kosten in Wirklichkeit Nidau aufgebürdet würden?
  • Wie gedenkt Nidau den zu erwartenden Neubau von Schulraum zu finanzieren – oder bleibt am Schluss nur noch die Fusion mit der Stadt Biel übrig?
  • Rein theoretisch könnte Mobimo sehr viel weniger Wohnfläche bauen, sogar irgendwelche wenige Luxusbauten aufstellen – wie wird das verhindert?
  • Es wird immer wieder behauptet, es seien 15 % der Wohnflächen für Genossenschaften reserviert. Sind damit einfach Genossenschaften als Rechtsform oder sind damit gemeinnützige Wohnbauträger gemeint? Falls zweites: Sind weitere Aufwendungen der Städte für die entsprechende Unterstützung der entprechenden Bauträger [14]geplant, denn ohne diese ist gemeinnütziger Wohnungsbau bei einem Kaufpreis von 917 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche nicht möglich.?
  • Ist das ganze Projekt nicht letztlich als eine Art von Wirtschaftsförderung in Form von Neubauförderung, also eigentlich subventionierter Wohnungsbau, zu betrachten?
  • Kann davon ausgegangen werden, dass das finanzielle Risiko nur von den Städten Nidau und Biel getragen wird?
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