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Menschen prägen Räume, Räume prägen Menschen

«Kreative Stadtplanung heisst, die Probleme zu verstehen, bevor man Lösungen dafür sucht», sagt Angelus Eisinger, Schweizer Städtebau- und Planungshistoriker. Mit dem nachhaltigen Bauen werden diesbezüglich neue Massstäbe gesetzt. Es kann nötig sein, Tabus zu durchbrechen. So haben wir eine Chance, Städte zu entwickeln, die zur Klimasanierung beitragen und für uns Menschen Lebensraum sind.



Nachhaltiges Bauen beginnt mit dem Entscheid, ob überhaupt gebaut werden soll und der Frage wozu. Stadt ist Lebensraum. Das Wohlbefinden der Bewohnerschaft ist einer der Grundsätze im nachhaltigen Bauen.
Am Beispiel von Biel kann gezeigt werden, wie veränderungsfreudig eine Stadt sein kann und muss, um mit den Ansprüchen von Wirtschaft und Gesellschaft mitzuhalten und im Vergleich zu anderen Städten konkurrenzfähig zu bleiben. Die Geschichte einer Stadt gepaart mit den aktuellen Entwicklungen macht ihre Identität aus. Die Uhrenindustrie hat Biel ab Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt und Spuren hinterlassen – in Form von Produktionsstätten und Wohnraum. Die zunehmende soziale Verantwortung seitens Arbeitgeber und Politik machten es möglich, dass in den 1930er-Jahren lebenswerte Wohnungen mit Tageslicht für die Arbeiterschaft entstanden. Die Bauhaus-Architektur von damals ist in der Umgebung der Bahnhofstrasse mit durchgehenden Linien und lichtdurchfluteten Treppenhäusern sichtbar.
Die Stadt wächst seither stetig und muss sich immer wieder neu erfinden. Attraktivität durch Arbeitsplätze und Wohnraum ist auch heute noch das Thema. Aktuell wird mit der Berner Fachhochschule und dem Switzerland Innovation Park auf die Zukunft und die Erneuerung gesetzt. Ein Parkierungskonzept (siehe Fussnote) für motorisierte Fahrzeuge soll die vielfältigen Bedürfnisse nach Fortbewegung, Begegnung, Entspannung, Spiel und Aktivitäten unter einen Hut bringen. Durch die Konzentration von Parkiermöglichkeiten wird Platz für andere Nutzungen geschaffen und der Zugang bleibt gewährleistet. Der Mensch steht im Zentrum, damals wie heute.

Baukultur und nachhaltiges Bauen – Hand in Hand

Baukultur sucht die Verbindung zwischen Erhalten von gewachsenem Bestand und Erfüllen von neuen Ansprüchen. Um eine Stadt lebendig zu halten, braucht es den Menschen. Die Stadt ist gestalteter Lebensraum. Sowohl kleine Details wie Türgriffe als auch grossmassstäbliche Infrastrukturen wie Häuserzeilen mit einheitlicher Fassadenstruktur machen die Identität einer Stadt aus. Nebst der Bausubstanz spielt das Dazwischen – die Freiräume – eine ebenso wesentliche Rolle. Dieser Gedanke, den gesamten gestalteten Lebensraum als eine Einheit zu verstehen, deckt sich mit dem Selbstverständnis des nachhaltigen Bauens. Baukultur und nachhaltiges Bauen betrachten den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks von der Planung über den Bau und Betrieb bis hin zum Abbau oder der Wiederverwendung des gesamten Gebäudes, oder Teilen davon. Um Ressourcen wie den Boden zu schonen, wird darauf verzichtet, noch freie Flächen zu bebauen. Bevor ein Neubau geplant wird, werden Sanierung oder der Umbau von bestehenden Gebäuden geprüft und damit graue Energie gespart. Die Frage des Wozu bzw. des Zwecks eines Gebäudes ist zentral. Welche Funktion soll der Ort erfüllen und besteht zukünftig die Möglichkeit, denselben Ort anders zu nutzen? Denn: Bei Gebäuden geht man von einer Lebensdauer von 50-100 Jahren aus. Nachhaltiges Bauen bedeutet, dass Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft gleichberechtigt berücksichtigt werden und ist mehr als nur eine Frage der Materialwahl und der Energiequelle. 

Zum Beispiel: Werk11

Das Werk11 zwischen Esplanade und Bieler Stadtzentrum wurde von Bart & Buchhofer Architekten als Wohn- und Gewerbehaus geplant. Heute ist es ein Kreativraum für verschiedene auch kleinste Unternehmen. Um den Raumbedarf anzupassen, können Wände eingebaut oder wieder herausgenommen werden. Durch die Verwendung von Holz als Baumaterial und viel Tageslicht wird eine wohnliche Atmosphäre geschaffen. In der Umgebungsgestaltung wurden zur Förderung der Biodiversität einheimische Pflanzen eingesetzt. Der Garten trägt ebenfalls zum Wohlbefinden der Menschen bei, gerade im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung des Stadtklimas. Auf dem Dach wurde eine Solaranlage installiert, die den Energiebedarf für den Betrieb des gesamten Gebäudes abdeckt. Auf Auto-Parkplätze wird weitestgehend verzichtet.

Partizipation – vieles geht, es müssen nur mehr probieren

Was so einleuchtend klingt, erfordert, dass verschiedenste Systeme, Denkweisen und Akteure verknüpft werden. Und es braucht Offenheit und die Bereitschaft, wenn nötig, Tabus zu brechen. So wird ein Brachenspielplatz mit lediglich Erdhügeln, Pfützen, Kies und Unkraut als „Spielgeräte“ möglich. Privatgärten werden nicht durch Zäune abgetrennt, das Altersheim beherbergt einen Kindergarten, die Fassade ist mit Solarpanels bestückt und der Fussbodenbelag kommt aus der Bauteilbörse.
Ein partizipativer Prozess ist mehr als die Information der Bevölkerung, wie dies oft fälschlicherweise umgesetzt wird. Planende holen im partizipativen Prozess die Wünsche der meist nicht fachkundigen Bevölkerung ab. Im ersten Schritt geht es darum, das Problem zu erfassen. Geht es um eine Nutzungsänderung und betriebliche Anpassung eines Bauwerks oder sind bauliche Massnahmen für die Instandhaltung notwendig? Daraus können Bedürfnisse abgeleitet und im Anschluss kreative Lösungen gefunden werden. In der Projektentwicklung und -realisierung geht es auch darum, Fachleute verschiedenster Disziplinen einzubeziehen und den Raum gemeinsam zu gestalten.

Biel lebt Partizipation. Bei besonders relevanten Stadtraum-Projekten wird die Meinung der Nutzenden und Beteiligten am Anfang des Projekts abgeholt, z. B. zum Spiel- und Begegnungsort im Zentrum von Mett (Arthur-Villard-Promenade). Der neu geschaffene Freiraum soll multifunktional sein und verschiedene Bevölkerungsgruppen zu Bewegung und Begegnung einladen. Damit sich die Menschen den Raum aneignen können, sollten sie nicht nur bei dessen Planung, sondern auch in der Bau- und Betriebsphase einbezogen werden.
Mit der wachsenden Bevölkerung, der Klima- und der Biodiversitätskrise stehen wir vor enormen Herausforderungen. Das nachhaltige Bauen legt den Fokus neu: 

  • Effizienz – Kreislaufdenken statt projektbezogener Optik,
  • Konsistenz – natürliche Baustoffe, Energien und modulare Bauweise statt Einmaligkeit,
  • Suffizienz – Ressourcenschonung statt kurzfristiger Rentabilitätssteigerung.

Text:
Christine Gubser (48) arbeitet bei sanu ag in Biel, im Bereich des nachhaltigen Bauens.
Sie ist Biologin und Ausbilderin. Ihr Fokus liegt auf der Kommunikation.

Foto:
Claudia Vogt, sanu ag. Kinder malen ihren Traumspielplatz in Biel-Mett.

Anlaufstellen:
• Kontakt für Nachhaltiges Bauen/ Architektur: Daniel
Mathys, PäC AG, Biel
• Kontakt für Partizipation: Claudia Vogt, sanu ag, Biel

Weiterbildungen zum Thema Partizipation, Baubiologie, Freiraumgestaltung und vieles mehr unter: sanu.ch/bildung

Mehr zum Parkierungskonzept www.biel-bienne.ch/de/news.html/1181/news/4401

Lesetipp: Zukunftsfähige Lebensräume – Grundlagen für urbane Transformation, Robert Braissant, Birkhäuser Verlag

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