Das Debakel der Credit Suisse, die Hintergründe des internationalen Bankengeschäfts, und was heisst eigentlich „too big to fail“? Dieser Beitrag sucht Antworten auf aktuelle Fragen und taucht in eine Welt, in der es keine Grenzen zu geben scheint, von der einfachen Transaktion bis zum undurchsichtigen Wettgeschäft in Milliardenhöhe.
«Fortschritt besteht nicht in der Verbesserung dessen, was war, sondern in der Ausrichtung auf das, was sein wird.» Khalil Gibran
Eigentlich weiss man, was eine Bank ist und was sie tut. Sie nimmt Geld von Privaten und Unternehmen entgegen und vergütet dafür einen Zins. Dann vergibt die Bank Kredite wiederum an Private und Unternehmen und verlangt dafür einen Zins. Eine Bank garantiert die Sicherheit der Einlagen und organisiert den Zahlungsverkehr für ihre Kunden. Banken sind an den Börsen tätig: sie kaufen und verkaufen für ihre Kunden Wertpapiere. Sie verwalten die Vermögen ihrer Privatkunden, von Firmen oder auch die riesigen Vermögen von Pensionskassen. Wenn wir ins Ausland verreisen, so beschafft die Bank die gewünschte Fremdwährung. Weiter wissen wir vielleicht noch, dass die Banken auch grössere Anleihen auf dem Kapitalmarkt emittieren, in der Form von Obligationenanleihen z.B. für Städte und Kantone und als Aktienpakete für börsenkotierte Unternehmen. Die Differenz zwischen Aktiv- und Passivzinsen, die Gebühreneinnahmen für Zahlungsdienstleistungen, für Devisenbeschaffung, für die verschiedenen Emissionsdienstleistungen sollten die Ausgaben für Personal und Verwaltung der Bank decken und dann noch einen gewissen Gewinn abwerfen. Das ist in etwa das Bild, das wir gemeinhin von den Geschäftsbanken und ihren Tätigkeiten haben.
Nie genug
Dieses Modell der Geschäftsbanken mag für einzelne kleinere Sparkassen, Hypothekarbanken, Regionalbanken etc. durchaus zutreffend sein. Doch für die Grossbanken ist Geld nicht einfach Geld, sondern dieses ist längst zu Kapital geworden, mit dem sich Geld verdienen lässt, das wieder zu Kapital wird. Aus Geschäftsbanken sind Investmentbanken geworden. Diese Banken spekulieren auf eigene Rechnung z.B. an den internationalen Börsen mit Wertpapieren, auf den Devisenmärkten mit Fremdwährungen, auf den Rohstoffmärkten mit Gold, Erdöl, Kohle und anderen Waren, eigentlich mit allem, womit Spekulation auf fallende oder auf steigende Preise möglich ist. Dies geschieht notabene alles ohne volkswirtschaftlichen Mehrwert irgendwo in der Realwirtschaft. Auch von diesen Tätigkeiten der Investmentbanken haben wir im allgemeinen noch eine gewisse Ahnung, aber schon kaum mehr solides Wissen.
Aber dies ist dem Kapital, das immer nach renditeträchtigen Investitionsmöglichkeiten Ausschau hält, nicht mehr genug, wie Urs P. Gasche vom Infosperber diesen Frühling in einem zehnteiligen Text zum CS-Debakel aufzeigte1. Auf der ungefähren Grundlage der klassischen Wertpapiere werden sogenannte Renditeoptimierungsprodukte geschaffen, genannt Derivate, mit denen spekuliert und die den Anlegern als Produkte verkauft werden. Es handelt sich dabei fast immer um spekulative Termingeschäfte, um Wetten auf die Zukunft, sogenannte Swaps, wo Geschäfte zu einem bestimmten Preis mit Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart werden. Nochmals eine Stufe undurchsichtiger ist der Handel mit Versicherungen gegen Kreditrisiken oder Währungsverluste, sogenannte Credit Default Swaps, deren Kurs ausgerechnet dann steigt, wenn es den betreffenden Unternehmen schlechter geht. Dem wird im Fall von Schwächeanzeichen manipulativ mit Leerverkäufen nachgeholfen (Spezialität der Hedge Funds), indem der Kurs der Aktien eines ins Visier genommenen Unternehmens gedrückt wird und so eine gewinnbringende Übernahme vorbereitet wird (und der Wert der Versicherungspapiere paradoxerweise steigt).
Dies alles und noch vieles mehr, von dem die einfachen Bankkunden kaum oder gar nichts mehr verstehen, wird von den international tätigen Grossbanken über sogenannte Schattenbanken abgewickelt. Schattenbanken sind meist blosse Briefkastenfirmen in Steueroasen, wo sie für staatliche Regulierungsmassnahmen und Sicherheitsvorschriften praktisch unerreichbar und statistisch nicht erfasst tätig sind, wie etwa Spekulationsgeschäfte computergesteuert sekundenschnell tätigen. Dieser Bereich der Finanzwirtschaft im Dunkeln oder eben im Schatten gleicht mehr der Logik von Wettbüros als seriöser Bankentätigkeit und wird auch als Casino-Kapitalismus oder Casino-Finanzwelt bezeichnet.
Too big to fail…
Diese undurchsichtigen Wettgeschäfte in Milliardenhöhe auf den sogenannten Dark-Pool-Handelsplätzen sind systemrelevant. Denn sie können das reale Wirtschaftsgeschehen nicht nur einzelner Unternehmen wie Banken oder Firmen, sondern auch ganzer Branchen und Volkswirtschaften und schliesslich des eng vernetzten internationalen Wirtschaftsgeschehens durcheinanderbringen, stören und im Extremfall platzen lassen. Dies kann schwerste unkontrollierbare volkswirtschaftlichen Folgen haben. Genau deshalb sind die Grossbanken zu wichtig, als dass sie fallengelassen werden könnten. Sie haben grosse Teile der Wirtschaft gewissermassen als Geisel genommen und sich den staatlichen Notenbanken gleichzeitig entzogen, denn das elektronisch geschaffene Spekulationskapital ist nur noch zu einem minimen Teil durch Notenbankgeld gedeckt. Gerade wegen dieser Unkontrollierbarkeit und wegen des grossen Risikos müssen die grössten Akteure im Notfall von der öffentlichen Hand dann mit Unsummen Steuergeld ‘gerettet’ werden, weil sie als ‘too big to fail’ gelten, als zu wichtig um bankrottgehen zu können (Swissair 2001, UBS 2008, CS 2023).
… oder rigorose Massnahmen
Um derartigen Risiken von Grossbanken-Pleiten entgegenzuwirken, wären laut dem Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney (zusammengefasst von Urs P. Gasche)2 etwa folgende Massnahmen mit Nachdruck durchzusetzen :
- Schattenbanken müssen gänzlich verboten oder auf nationaler oder internationaler Ebene stark reguliert werden
- Eigenkapitalquoten müssen um rund das Zehnfache auf 20 bis 30 Prozent der Bilanzsummen erhöht werden (bis diese Quote erreicht ist, dürften keine Dividenden ausbezahlt werden; auch wäre der Rückkauf eigener Aktien zur Kursstützung untersagt)
- ein Trennbankensystem ist konsequent durchzusetzen, d.h. das hochspekulative Investmentbanking ist vom herkömmlichen Geschäftsbankengeschäft zu trennen
- eine Finanzproduktezertifizierung soll von den Finanzüberwachungsbehörden eingesetzt werden, um sog. toxische Produkte zu verhindern
- bei Kreditausfallversicherungen sollen die Käufe von Credit Default Swaps durch das Halten von zugehörigen Wertpapieren zwingend abgesichert sein
- der Handel von Derivaten ist zu kontrollieren und drastisch zu reduzieren, um die Systemrisiken für die Realwirtschaft zu senken
- im Eigenhandel getätigte Spekulationsgeschäfte der Banken, welche nicht im Auftrag ihrer Kunden erfolgen, sind massiv einzuschränken oder ganz zu verbieten
- eine Mikrosteuer auf allen elektronischen Zahlungen ist einzuführen (Reduktion des rein spekulativen Hochfrequenzhandels, und – positiv – enorme zusätzliche Steuereinnahmen)
- die treibenden Bonussysteme sind durch entsprechende Malussysteme zu ergänzen, um das Eingehen von Risiken durch das Management und Börsenpersonal der Banken zu verringern
- die grossen Revisionsgesellschaften (Rating-Agenturen) wie auch die Universitäten (insbesondere die Fakultäten der Volkswirtschaft und des Finanzwesens) müssten von den Banken unabhängig sein (keine Gefälligkeitsgutachten, kein Bankensponsoring, keine geldwerten Leistungen für das universitäre Lehrpersonal)
- die staatlichen Aufsichtsbehörden müssen unabhängig von den Banken sein und bei Fehlverhalten der Banken mit stärkeren Kompetenzen eingreifen können (z.B. Bussenverhängung, temporärer Lizenzentzug usw.)
- und schliesslich wäre bei Staatsgarantien von der nutzniessenden Bank dem Staat eine Entschädigung in Form einer Prämie zu bezahlen.
Die lange Liste der vorgeschlagenen Massnahmen macht die Komplexität des Themas, die weitläufigen Verstrickungen und die politische Brisanz sichtbar. Am einfachsten verständlich, darum populär und am meisten öffentlich diskutiert ist die Frage der masslosen Manager-Boni, welche zwar zu unschönen Verstärkungen der Krise führen, aber keineswegs deren Ursache sind. Diese liegen systemisch tiefer. Schon vor Jahren hat der Zürcher Finanzspezialist Marc Chesney vor den Gefahren eines Bankencrashs à la CS gewarnt und einige dieser Massnahmen vorgeschlagen. Realisiert davon ist in der Schweiz bis heute praktisch nichts.
Die Politik ist gefordert
Zu wünschen bleibt, dass nach dem neuesten CS-Debakel eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) das Geschehen schonungslos aufarbeitet. Eine vollständige Aufklärung der Ereignisse um das CS-Debakel ist notwendig: die Geschäfte und das Verhalten der CS, der verschiedenen Behörden wie der Finma, der Nationalbank, des Bundesrates, aber auch die geheimen Angebote und Abmachungen der UBS und die allenfalls vorhandenen Druckversuche aus dem Ausland. Noch mehr als nur Aufklärung ist allerdings zu wünschen, dass auf gesetzgeberischer Stufe griffige Massnahmen beschlossen werden, die effektiv verhindern können, dass mit dem neuen Klumpenrisiko UBS in Zukunft noch einmal Gleiches in noch grösserem Umfang geschieht!
KOMMENTAR
Da hat sich eine systemrelevante Branche mit den modernsten Mitteln auf der globalen Ebene durchsetzen und gleichzeitig aus der Verantwortung stehlen können (noch unüberschaubarer als die immerhin noch realwirtschaftlichen multinationalen Unternehmen). Dies in einem Mass, das nicht nur profitorientiert, egoistisch und skrupellos ist, sondern das durchaus mit mafiösen, halblegalen, ja kriminellen Machenschaften vergleichbar ist. Im Volksmund macht deshalb in Anlehnung an Gangster das Wort ‘Bankster’ die Runde. Irgendwie alles abgehoben, undurchschaubar, in unvorstellbaren Dimensionen – und existenzbedrohlich real!
Text und Fotos: Göpf Berweger, hat an der Hochschule St.Gallen Oekonomie studiert, ausserdem Soziologie und war beruflich für verschiedene NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Er ist Mitbegründer der Gesellschaft für bedrohte Völker (Schweiz) und lebt seit drei Jahren in Biel.
1 Urs P. Gasche in Infosperber 08.04.-05.05.2023: https://www.infosperber.ch/wirtschaft/kapitalmarkt/die-infosperber-dokumentation-zum-debakel-der-credit-suisse/
2 Marc Chesney, zusammengefasst von Urs P. Gasche in Infosperber: op.cit. S. 30 -34