Brennpunkte

Mitten unter uns

Am Ende des Gesprächs reiche ich Robert die Hand. Ich bedanke mich für das Gespräch. Er blickt mich ungläubig an.

(version en français)

Als Letztes fragte ich ihn, ob er manchmal Angst verspüre. Ja, antwortete er. Manchmal komme es ihm vor, als sei er allein in einem Zimmer. Es sei dunkel. Seine Eltern und seine zwei kleinen Schwestern seien irgendwo weit weg. Und plötzlich höre er, wie jemand in sein Zimmer komme. Und er wisse, das bedeute nichts Gutes.

Robert ist bald sieben Jahre alt. Er geht in die erste Klasse. Ich kenne Robert seit drei Jahren. Seit er mit meiner Tochter im Kindergarten war. Wie viele andere Kinder geht er mit grossen Augen durch die Welt. Doch seine Welt ist brüchiger als die seiner meisten Mitschüler.

Robert ist das älteste Kind der Familie Safaryan-Mikayelyan, der die Ausschaffung und – als Folge davon – die Trennung droht. Robert und seine Schwester Charlotta (5) sollen mit ihrem Vater nach Kasachstan ausreisen, die Mutter mit der jüngsten Tochter Inessa (2) nach Armenien. Oder: Alle drei Kinder werden mit dem Vater nach Kasachstan ausgeschafft und die Mutter allein nach Armenien. Die Familie lebt seit acht Jahren in der Schweiz. Die Kinder wurden alle hier geboren.

Kurz vor Weihnachten habe ich vom Schicksal der Familie Safaryan-Mikayelyan erfahren. Ich war und bin noch immer tief bestürzt. Seither setze ich mich ein – mit vielen anderen – für diese Familie, die sich vorbildlich integriert und sich ebenso vorbildlich für das Wohl der Gemeinschaft engagiert. Diese Familie soll zusammenbleiben und ihr Leben ihren Wünschen entsprechend gestalten dürfen. Hier. Mitten unter uns. Alles andere wäre unmenschlich. Unverantwortbar. Ein menschenverachtender Skandal, den ich den Behörden von Biel nie verzeihen würde.

Heute habe ich Robert und seine Familie besucht. Ich habe eine Zeichnung mitgenommen, die er in der Schule gemacht hat. Nach einem Ausflug in die Tissot Arena. Schlittschuhlaufen.

Zunächst gab sich Robert zurückhaltend, unerwartet scheu. Doch dann öffnete er sich und wir sprachen 35 Minuten miteinander. Am Küchentisch. Während seine Eltern und Geschwister im Nebenzimmer den Kombi-Slalom von Wengen schauten.

Ich habe unser Gespräch aufgenommen. Robert sagte Sätze wie:

– Die Schlittschuhläufer haben ein Herz, weil sie ohne Herz nicht leben können.

– Ich habe fast alle meine Mitschüler gern, nur zwei regen mich auf, weil sie immer meine Pantoffeln verstecken.

– Wenn ich einmal gross bin, dann will ich mit Holz arbeiten. So wie hier. Einen Tannenbaum aus Holz machen. Ich will auch Polizist sein. Und den Leuten helfen. Oder ein Clown. Und die Leute zum Lachen bringen.

– Ich fahre gerne mit meinem Papa Velo. So kann ich viel sehen. Und dann gehe ich glücklich heim.

– Mutter kocht gern. Ich esse gern. Vor allem Spaghetti Bolognese.

– Wenn ich gehen müsste, würde mir alles fehlen. Ganz Biel würde mir fehlen.

Es gibt noch viele andere Sätze, die Robert gesagt hat. Und ich hoffe, dass Robert und seine Liebsten noch viele andere Sätzen sagen werden. Hier. Mitten unter uns.

Rolf Hermann geboren m Wallis, lebt als freier Schriftsteller in Biel. Sein Werk wurde verschiedentlich ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kulturpreis der Stadt Biel (2017) und dem Literaturpreis des Kantons Bern (2019) www.rolfhermann.ch

 

Fragen an den Gemeinderat

Und jetzt?

1. Kann Robert weiterhin in seine Schule gehen, in seinem Quartier wohnen?

2. Kann seine ganze Familie endgültig und in Sicherheit in der Schweiz leben und arbeiten? 

3. Kommt der Gemeinderat  gegenüber der Famile Safaryan seinen Pflichten nach?

Dazu werden im Bieler Gemeinderat nächstens Entscheide gefällt, danach auch beim SEM (Staatssekretariat für Migration). Wir halten Sie auf dem Laufenden: www.alle-menschen.ch/biel sowie www.tous-les-etres-humains.ch – und natürlich bei www.vision2035.ch

Ein Bericht über den Stand der Dinge am 9. Februar 2020 erzählt die ganze Geschichte chronologisch und erklärt, was tun kann, wer sich für die Famliie einsetzen will.

Der Fall der Bieler Familie mit drei hier geborenen Kindern, die getrennt in zwei verschiedene Länder ausgeschafft werden soll, beschäftigt derzeit viele Bielerinnen und Bieler.


Bereits über 1700 Personen haben online einen von «Alle Menschen» mitgetragenen offenen Brief unterschrieben, der vom Gemeinderat fordert: «Bitte erteilen sie den beiden Eltern die nötigen Ausweise, damit die Familie in Biel bleiben, ihre Wohnung behalten, hier arbeiten bzw. ihre Kinder zur Schule gehen dürfen.» Das überwältigende Echo der Kampagne hat der Familie aber noch nicht wirklich helfen können.


Weitere Unterschriften sind erwünscht:
https://stayherech.herokuapp.com/petition
Ein Bericht über den Stand der Dinge am 9. Februar 2020 erzählt die ganze Geschichte chronologisch und erklärt, was tun kann, wer sich für die Familie einsetzen will:
https://stayherech.herokuapp.com/update
www.alle-menschen.ch/eine-bieler-familie

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