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Regio-Challenge: „Jetzt sind wir süchtig nach Öpfuringli“

Fiona Link hat einen inspirierenden Selbstversuch gewagt: Einen Monat lang nur mit Nahrungsmitteln aus einem Umkreis von 30 Kilometern leben. Im Interview erzählt sie von den Hürden und Freuden dieser Regio-Challenge – einer Vertiefungsarbeit am Berufsbildungszentrum Biel, die das Einkaufsverhalten von ihr und ihrem Partner grundlegend und nachhaltig verändert hat.

Einen Monat lang Regio-Challengeim letzten Herbst. Was ist dir in besonderer Erinnerung geblieben?  

Das grösste Aha-Erlebnis war die Feststellung, dass mein Lieblingszuckerbäcker in Bern meinen Lieblingskuchen aus rein regionalen Zutaten herstellt. Das hat mich sehr gefreut. Er propagiert es nicht gross, er macht es einfach. Ganz allgemein hat sich mir im Verlauf der Regio-Challenge in Gesprächen mit ProduzentInnen gezeigt: die Ausrichtung auf Produkte aus der Nähe ist vielerorts schon ganz normal

wird aber kaum hervorgehoben, wenn ich richtig verstehe. 

Ja, es müsste viel mehr betont werden. Dann würden noch andere Leute darauf aufmerksam werden. Aber man will halt, so scheint mir, nicht zu sehr auffallen, ja nicht als radikal angeschaut werden. Ich bin selbst mit meiner Konsequenz  bei einigen Leuten in meinem Umfeld auf starke Abneigung gestossen. Sie mussten sich ganz fest verteidigen, obwohl ich nie gesagt habe, alle müssten so einkaufen wie ich. 

Woher kommt das? 

Sie wissen wohl selbst, dass sie in ihrem Einkaufsverhalten etwas ändern müssten. Aber aus dem eigenen Alltagstrott auszubrechen, ist viel zu anstrengend. 

Und warum hast du es gemacht?

Mein Partner und ich haben uns schon länger mit Fragen rund um unseren Konsum auseinandergesetzt: Wo fliesst das Geld hin, das wir im Supermarkt lassen? Wie ehrlich ist das Ganze? Was tun, wenn wir nicht mehr all die Verpackungen wollen? Die selbst auferlegte Regio-Challenge für meine Vertiefungsarbeit am BBZ bot dann den Rahmen, es einfach mal auszuprobieren, die Lebensmittel für den täglichen Bedarf anders zu beschaffen. Wir gingen es wie ein Spiel an. Jetzt danach spüren wir die krasse Konsumenergie in den Supermärkten so stark, dass wir nicht mehr dahin zurück wollen. Es geht mir regelrecht an die Substanz, wenn ich mich mal wieder in einer Migros oder einem Coop wiederfinde. 

Offenbar lässt sich gar Geld sparen, wenn man die Grossverteiler nicht mehr betritt. Das zeigen die Grafiken in deiner Arbeit eindrücklich. 

Ja, gesamthaft haben meine Einkäufe während dem Monat im Selbstversuch Fr. 546.72 gekostet. Die gleichen Einkäufe im Coop-Supermarkt hätten mich Fr. 649.66 gekostet. Ich kaufte demnach rund 20 Prozent günstiger ein. Klar, ein 1:1 Vergleich der Produkte ist sehr schwierig, es gibt Schwankungen durch Aktionen und Ungenauigkeiten, aber meine These hat sich doch klar bestätigt: Nahrungsmittel aus der Region, direkt vom Produzenten, aus dem Hofladen oder auf dem lokalen Wochenmarkt bezogen, sind , bis auf wenige Ausnahmen bei den Käse- und Milchprodukten zum Beispiel, günstiger als qualitativ vergleichbare Produkte aus dem Supermarkt. Das ist eigentlich auch ganz logisch, der Zwischenhandel fällt ja weg.

Aber zeitlich ist es ein grösserer Aufwand, sich so die Lebensmittel zu beschaffen?

Sicher, aber wir waren dabei an der frischen Luft und haben etwas für unsere Fitness getan. Unser Hobby, das Rennvelofahren, hat sich von Gring abe und einisch ume Seehin zu Einkaufstouren verändert. Eine unserer regelmässigen Runde ging so zum Beispiel von Biel über Schwadernau nach Lyss und wieder zurück. Anderntags war Kappelen unser Ziel. Und wenn etwas im Kühlschrank fehlte, musste manchmal noch schnell eine Fahrt zum Hofladen in Pieterlen sein.

Warum eigentlich habt ihr nicht einfach einmal pro Woche auf dem Märit eingekauft und Vorräte angelegt? Dort gibt es auch viel Regionales. 

Wir wollten die Produzenten halt wirklich kennen lernen und die Wege, die sie machen müssen, wenn sie in die Stadt kommen, selber machen. Auch gibt es in den Hofläden eher weniger Zugekauftes, was wir schätzen. Im Trubel auf dem Wochenmarkt hätten wir mit unserer Fragerei, woher genau dies und das kommt, viel eher genervt, zumal an den Ständen oft auch Leute arbeiten, die gar nicht von den Höfen kommen.

Apropos nerven. Gab es negative Reaktionen auf eure Fragerei?

Ein paar Einzelfälle, ja, in einer Käserei zum Beispiel die patzige Antwort dr Chäs chunnt vom Liferantund hie und da Desinteresse, uns detailliert Auskunft zu geben. Aber viel häufiger waren die Reaktionen positiv. Viele hatten Freude an unseren Fragen und fragten selbst nach unserer Ideologie. Dieser Austausch hat uns beflügelt. Wir fanden immer mehr lokale Produzenten, die direkt verkaufen oder kleine Weiterverkäufer, die auf Regionalität setzen. Je länger die Challenge ging, desto einfacher und reichhaltiger wurde das Einkaufen. Noch jetzt danach entdecken wir immer wieder Neues, kürzlich zum Beispiel den wunderbaren Reis aus Schwadernau. 

Habt ihr auf Vieles verzichtet während der Challenge?

Unsere Gemüse- und Früchteauswahl wurde natürlich krass auf das Saisonale reduziert. Darauf haben wir uns voll und ganz eingelassen und das auch noch den ganzen Winter durch weitergezogen. Der erste Schnittsalat im Frühling war dann eine Geschmacksexplosion. Auch sonstige Umgewöhnungen waren nicht schwierig, das Bedürfnis nach Chips zum Beispiel verschwand schnell. Dafür sind wir jetzt süchtig nach Öpfuringli. Die gibts aus der Region. Und beim Essig sind wir halt von Aceto Balsamico auf Apfelessig aus der Region umgestiegen. Aber wir haben uns auch Joker erlaubt, Kaffee, Reis und Salz. Und weil wir uns glutenfrei ernähren, mussten wir bei den Teigwaren ebenfalls eine Ausnahme machen. Ganz generell hat sich unser Blick auf die importierten Produkten durch die Regiochallenge nochmal geschärft. Es ist ja nicht grundsätzlich schlecht, Produzenten von weiter weg zu unterstützen, aber der Anbau muss nachhaltig sein, der Handel fair, und die Verpackung ist auch ein Punkt, auf den wir stark achten. 

Und Bio?

Ja, nach Möglichkeiten schon. Im Vordergrund stand bei der Challenge allerdings klar die Regionalität. Wo es sich gut angefühlt hat, haben wir eingekauft, Label hin oder her. Manche kleinen Produzenten wirtschaften mit Herz und sehr naturnah, haben aber das Geld nicht für die Zertifizierung. Ich gehe da stark über das Gefühl. Trotzdem: In Hofläden, wo die 2xNein-Plakate zu den Agrarinitiativen aufgehängt wurden, gehe ich nicht mehr hin. 

Ist das, was ihr gemacht habt, etwas für alle? 

Ich bin der Meinung: ein grossflächiger Wandel in unserem Einkaufsverhalten ist möglich und nötig. Es müssen nicht Tonnen von Rüebli in der Biogasanlage landen. Wenn die Leute mehr zu den Produzenten einkaufen gehen würden, gäbe es bestimmt weniger Foodwaste. Die Lebensmittel direkt vom Hofladen bleiben viel länger gut als jene vom Migros. Da kann mir niemand was anderes erzählen. Die Ware im Supermarkt ist einfach nicht gleich frisch. 

Nicht alle müssen es so machen wie wir. Aber was ich den Leuten mitgeben will: kauft bewusst ein und sagt auch mal nein zu etwas. Oder fragt euch: warum habe ich jetzt gerade Lust auf Schokolade? Welches Bedürfnis steckt dahinter? Ich zum Beispiel habe entdeckt, dass es bei mir ein Zeichen dafür ist, dass ich etwas trinken sollte.

Klingt stimmig das Ganze. 

Für mich fühlt es sich wirklich gut und ehrlich an, so meine Lebensmittel zu beschaffen. Ich merke, ich kann etwas beitragen auf dem Weg in eine bessere nachhaltigere Zukunft. Und vielleicht eine der wichtigsten Erkenntnisse dabei: Ich fühle mich nicht eingeschränkt.

Text: Janosch Szabo, Journalist, Verkäufer und Konfimaa. Kauft gerne ganz bewusst ein, hier und da und dort in kleinen Läden und auf Märkten – möglichst bio, möglichst lokal und möglichst unverpackt.

Interviewte: Fiona Link, ist begeisterte Rennrad-Fahrerin, am liebsten abseits befahrener Strassen, Mutter zweier Kinder in Ausbildung und selbst nach den Sommerferien im 4. Lehrjahr der Ausbildung zur Mediamatikerin.

Wo kaufst du deine regionalen Lebensmittel ein? 
Schreib uns an info@vision2035.ch, wenn du uns einen netten Laden, einen vorbildlichen Produzenten oder sonst einen Geheimtipp mitteilen möchtest. Vielleicht wird dann ein Porträt draus.

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