Gerade in der Corona-Krise wird gerne von gesellschaftlicher Resilienz gesprochen. Meistens wird damit eine möglichst rasche Rückkehr zur früheren Normalität gemeint. Aber wollen wir wirklich zur alten Ordnung zurück? Viele Menschen wünschen sich einen Wandel. Die Klimajugend fordert gar einen Systemwandel. Wovon sprechen wir überhaupt, wenn es um Wandel und Resilienz geht?
In der neueren Soziologie umschreibt der Begriff der Resilienz die Fähigkeit von Gesellschaften oder Individuen externe Störungen zu verkraften, ohne dass sich wesentliche Systemfunktionen verändern. Resilienz dient zunächst einmal dazu die bisher geltenden Normen und Gewohnheiten zu erhalten, sie stabilisiert folglich die bestehenden individuellen und gesellschaftlichen Strukturen. Als Folge verharrt man im Bestehenden oder versucht den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Doch wie soll man reagieren, wenn die Dynamik der bisherigen Strukturen die eigentliche Ursache für die Krise ist?
Der Klimawandel lässt sich ohne eine Transformation der bestehenden Gewohnheiten nicht bewältigen. Im Gegenteil, unser konsumorientierter, von fossilen Energieträgern abhängiger Lebensstil führt uns mit jedem Tag tiefer in die Krise. Der gegenwärtige gesellschaftliche Mainstream führt mit der Überschreitung der globalen ökologischen Systemgrenzen in keine wünschenswerte Zukunft mehr. Folglich muss eine neue Ordnung, eine neue Normalität hergestellt werden. Die Frage, die sich stellt, lautet also: Gibt es Formen der Resilienz, welche einen gesellschaftlichen Wandel zur Zukunftsfähigkeit unterstützen? Um diese Frage beantworten zu können ist zunächst zwischen einer individuellen psychischen und einer gesellschaftlichen Resilienz zu unterscheiden.
Resilienz als psychische Eigenschaft
Medizinisch gesehen – der Begriff stammt ursprünglich aus der Psychologie – umfasst Resilienz die Fähigkeit von Menschen, widrige Lebensumstände erfolgreich zu meistern oder auch sich psychisch rasch von Schicksalsschlägen zu erholen. Der ursprünglich lateinische Begriff heisst übersetzt „zurückspringen“ oder „abprallen“. Zunächst wurden zum Beispiel Kinder und Jugendliche, die trotz eines schwierigen sozialen Umfelds als Erwachsene zu einer erfolgreichen Lebensführung fanden, als resilient bezeichnet. Mit den ökonomischen und ökologischen Krisen des Millenniumwechsels trat dann die Untersuchung der Resilienz Erwachsener in den Vordergrund.
Wie und was kann die individuelle Resilienz beeinflussen? Unter anderem personale Faktoren z.B. die eigene Familiengeschichte, das soziale Umfeld, die persönlichen körperlichen und mentalen Voraussetzungen, gesunde (oder ungesunde) Gewohnheiten und etwa Rituale. Bei den personalen Faktoren stehen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit (empowerment), die Toleranz für Ungewissheit und eine positive Einstellung gegenüber Problemen im Vordergrund. Um einen Wandel zu erzeugen sind zwei Faktoren von grosser Wichtigkeit: fähig sein das Problem zu erkennen und eine angepasste Lösung dafür zu finden. In einem Wandelprozess ist das Vorhandensein von mindestens einer unterstützenden Bezugsperson im sozialen Umfeld entscheidend.
Dieser letzte Punkt mit seiner Verknüpfung zum sozialen Umfeld macht deutlich, dass der jeweilige gesellschaftliche Rahmen einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der individuellen Resilienz hat, was in der Konsequenz zu einer erweiterten Betrachtungsweise führt.
Gesellschaftliche Resilienz
Inzwischen ist der Begriff der Resilienz in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen, von der Werkstoffkunde bis zur Stadtplanung anzutreffen. Von der Soziologie wurde er auf ganze Gruppen und Gesellschaften ausgeweitet. Mitverantwortlich hierfür ist wohl auch die Kritik, dass die Resilienzforschung gesellschaftliche Risiken individualisiere. Resiliente Personen besässen zwar die Fähigkeit, Möglichkeiten dort zu ergreifen, wo sie sich bieten, aber zum Beispiel in wirtschaftlichen Dauerkrisen seien selbst resiliente Personen machtlos. Es macht daher Sinn, Gesellschaften insgesamt auf ihre Widerstandsfähigkeit hin zu untersuchen. Eine solche Untersuchung kann im wissenschaftlich-analytischen Sinn nur rückblickend stattfinden. Allgemein lässt sich anhand dieser Untersuchungen gesellschaftliche Resilienz an vier Faktoren festmachen: ist das System fähig, Belastungen standzuhalten (robustness)? Bestehen alternative Möglichkeiten zur Erfüllung lebenswichtiger Aufgaben des Systems (redundancy)? Hat das System Ressourcen, um mit kreativen Lösungen auf ein Schadenereignis zu reagieren (resourcefulnes)? Besitzt das System im Katastrophenfall eine schnelle Reaktions- und Regenerationsfähigkeit (rapidity)?
Die neue Norm
Bei genauem Hinsehen verbirgt sich hinter diesen Definitionen von Resilienz eine gesellschaftliche Norm. So ist zum Beispiel zu definieren, was als erfolgreiche Lebensführung gilt. Was für gesellschaftliche Funktionsweisen sind wünschenswert und somit anzustreben? So ist der Begriff der Resilienz eng mit der Wertediskussion verknüpft. Resilienz, die eine Transformation der Gesellschaft befördert, bedingt neue Vorstellungen eines „guten Lebens“ und den bewussten Einbezug einer globalen Gesamtsicht. Ohne diese Voraussetzungen besteht die Gefahr, dass sich die Befähigung zur Resilienz kontraproduktiv auswirkt. So kann es geschehen, das resilientes Verhalten den gesellschaftlichen Wandel verlangsamt oder sogar die Anpassung an die globalen ökologischen Rahmenbedingungen verhindert.
Die Postwachstumsbewegung setzt gleichzeitig bewusst auf pragmatische, regionale Transformationsansätze. Es brauche eine Rückbesinnung auf kleinräumige Austauschprozesse, einhergehend mit einer Senkung der Umweltbelastungen und des Ressourcenverbrauchs. Letztlich müssen auch die globalen Zielsetzungen im konkreten Kontext lokaler Rahmenbedingungen in die Praxis umgesetzt werden: think global, act local.
Wege zum Wandel
In stabilen Gesellschaften wie der unseren sind bestehende Gewohnheiten nur schwer zu durchbrechen. Die Schaffung sozialer Nischen und experimentelle Freiräume, in denen sich Alternativen zum bestehenden Mainstream entwickeln können, leisten hier einen wichtigen Beitrag. Diese Reallabore können Lösungen erproben und in einer aufkeimenden Krise dann bereits erprobte Lösungen anbieten, welche unter Umständen die Kraft haben, den herrschenden Mainstream abzulösen. Gleichzeitig sollte das Bestehende nicht gänzlich verworfen werden. Demokratische Rechte, die Gleichberechtigung der Geschlechter, Meinungsfreiheit und soziale Sicherheit sind beispielsweise wichtige kulturelle Errungenschaften. Was also soll erhalten, oder sogar wiedergewonnen werden? In welchen Lebensbereichen erscheinen uns Anpassungen ausreichend und wo sind grundlegende Veränderungen unserer Denk- und Verhaltensweisen notwendig?
Es braucht nach Harald Welzer die Bereitschaft, selbst zu denken. Es braucht die Neugier, die Lust und auch den Mut zum selbst verantworteten Aufbruch in unbekanntes Gelände. Den Willen, Experimente und Veränderungen zu wagen, welche die Grundzüge einer sozialeren, ökologischeren und global verträglichen Gesellschaft in sich tragen.
Resilienz als erfolgreicher Wandel
Resilienz im transformativen Sinn, regt Menschen dazu an, im Alltag Resilienz erhöhende Fähigkeiten zu erwerben. Dazu gehören zum Beispiel handwerkliche Kompetenzen oder der Anbau und die Verarbeitung von Lebensmitteln, aber auch die Entwicklung geistiger Fähigkeiten wie zum Beispiel vernetztes Denken und vorausschauendes Planen. Von der Gesellschaft kann dieser Prozess durch die Schaffung geeigneter Freiräume unterstützt werden, wodurch sich auch die gesellschaftliche Resilienz erhöht. Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche Grundbedingungen Menschen brauchen, um aus eigenem Antrieb ein „gutes Leben“ gestalten zu können. Zusammenfassend schlage ich vor, für einen erfolgreichen Wandel zur gesellschaftlichen Zukunftsfähigkeit die folgenden Kompetenzen zu fördern:
- Die Befähigung zu einer Sichtweise, die den Planeten als Ganzes erfasst und das Individuum als Teil dieses Ganzen sieht.
- Die Befähigung zu Fantasie und zu vorausschauendem Planen
- Die Befähigung zu kritischem, selbständigem Denken und Handeln
- Die Befähigung zur Kooperation und sich in einer Gruppe konstruktiv für das Gemeinwohl zu engagieren
- Die Befähigung einfühlend und gerecht, auch gegenüber zukünftigen Generationen, zu handeln
Um im transformativen Sinn resilient zu sein sind also weniger bewahrende, reproduktive Fähigkeiten gefragt, sondern viel eher neugierige, fantasievolle und innovative Handlungsweisen, welche den Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft innerhalb der globalen Grenzen vorantreiben.
Text:
Lukas Weiss ist Kulturschaffender, Umwelt-Erwachsenenbildner und Absolvent eines Masterstudiums für gesellschaftliche Transformation. Er ist Vorstandsmitglied der Vision 2035. Präsident der Grünen Seeland-Biel/Bienne, sowie Leiter der Zukunftswerkstatt und Mitglied des Gemeinderates von Täuffelen-Gerolfingen. lukasweiss.ch
Illustration:
Sara Wernz, Atelier für Illustration & Grafik, sararas.ch
«Bewusst habe ich den Menschen nicht abgebildet. Der Mensch, ich, Wir, ist hier der Betrachter und stellt sich in sei- ner Vorstellung in das Geschehen. Wir bauen die Treppe, die Türe, stellen den Wecker, pflanzen den Baum, zünden die Kerzen an, schreiten auf dem Weg voran, und wagen uns in Neuland.»