Abrissaktionen, wie jene auf dem Bieler Mikron-Areal an der Alleestrasse, vernichten Ressourcen und graue Energie. Unnötig, findet das Komitee reUsine und setzt sich für ein Umdenken ein. Neue und zeitgemässe Nutzungen sollen in alten Fabrikarealen möglich werden und auf diese Art das einmalige historische Erbe von Biel erhalten. Warum das nachhaltig ist, wie sich die Stadt dazu positioniert und welche Schritte bereits erfolgt sind, darum geht es in diesem Bericht.
Die ehemaligen Produktionsstätten der Bulova-Uhrenfabrik, des Bieler Schlachthofs und der Von-Roll-Kesselhalle sind längst verstummt. Nur die verbleibenden Gebäudehüllen sind Zeugen davon, dass sie einst pulsierende Herzstücke der aufstrebenden industriellen Ära waren. Doch die einstigen Industriestandorte erlebten und erleben einen bemerkenswerten Wandel. Die Uhrenfabrik wurde zu modernen Lofts umgestaltet, während der Schlachthof eine Zukunft als Kulturzentrum anstrebt. Und die Von-Roll-Kesselhalle ist heute weitaus bekannter als sogenanntes «Dispo», welches heute als eine der schönsten Schweizer Eventlocations gilt. Diese Transformationen verdeutlichen, wie ehemalige Industriestandorte nicht nur zu Zentren der Kreativität und Kultur, sondern auch zu Wohn- oder auch Geschäftsbereichen mit neuer Bedeutung erwachsen können, ohne dass damit ihre Geschichte und ihr Charakter verloren gehen.
Ein anderes, weitaus tragischeres Schicksal hingegen ereilte vor Kurzem das ehemalige Mikron-Areal. Obwohl in den gut erhaltenen Räumlichkeiten bis Ende 2022 eine Fülle an verschiedenen KMUs tätig war und es eigentlich keinen Grund gegeben hätte, das Areal dem Erdboden gleichzumachen, wird dieses einem Neubauprojekt weichen müssen. Zwar verlief dieser Prozess rechtmässig und es fand sogar eine Abstimmung der Bevölkerung statt. Dennoch verdeutlicht das Beispiel Mikron, dass die Stadt Biel nach wie vor zu wenig Feingefühl im Umgang mit ihrem wertvollen industriellen Erbe zeigt.
Wenig Spielraum wegen Gesetzgebung
Gerade der Abriss des ehemaligen Mikron-Areals trat jedoch eine hitzige Debatte los, die insbesondere zur Gründung von reUsine führte. Dieses engagierte Komitee, welches unterdessen rund 1’500 Unterstützende zählt, setzt sich mit Leidenschaft für den Erhalt und eine sinnvolle Umnutzung von Industriebauten ein. Zurecht: Denn die Bewahrung dieses industriellen Erbes unterstützt nicht nur die historische Wertschätzung, sondern auch die städtische Klimastrategie, indem lokale Ressourcen genutzt und durch Wiederverwendung die Umweltauswirkungen von Bauprojekten minimiert werden. Verschiedenartige Nutzungen wie Büros, Werkstätten und Wohnräume fördern den einzigartigen Charakter der Quartiere und tragen dazu bei, die Attraktivität und Lebendigkeit der gesamten Stadt zu steigern.
Nach einem Treffen zwischen reUsine und der Stadtplanung teilte die Stadt Biel zwar mit, dass sie grundsätzlich den Standpunkt des Komitees unterstützt, um aber gleichzeitig zu entgegnen, dass die bestehende Gesetzgebung auf kantonaler wie auch nationaler Ebene nur wenig Spielraum für den Erhalt von Industriearealen zulässt und sich der grösste Teil der relevanten Areale sowieso im Besitz von Privaten befindet. Dies ist zwar sicherlich eine valable Erklärung, führt aber auch schnell dazu, dass man sich auf städtischer Seite recht einfach aus der Verantwortung stehlen kann.
Vorstoss mit Wirkung
Damit der notwendige Druck auf die städtischen Verantwortlichen aufrecht erhalten bleibt, haben die Grünen in Zusammenarbeit mit Vertretern der Grünliberalen und der FDP im Juni 2023 einen mit dem Komitee abgestimmten Vorstoss im Bieler Stadtrat eingereicht. Mit dem Vorstoss wird der Gemeinderat beauftragt, aufzuzeigen, wie der Erhalt des Industrieerbes in die Stadtplanung integriert wird und welche gesetzlichen Anpassungen auf übergeordneter Ebene notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen.
Gleichzeitig soll eine Charta erarbeitet werden, welche Richtlinien, Kriterien und Massnahmen beschreibt, die bei der Renovierung, Nutzung und dem Erhalt von Industriegebäuden und -arealen anzuwenden sind. Zwar wird die Anerkennung dieser Charta freiwillig sein, doch bildet sie eine wichtige Grundlage, um Behörden, Eigentümer:innen, Investor:innen und Planer:innen zu sensibilisieren und später auch nötige Schritte auf kantonaler Ebene (z.B. im Grossen Rat) einleiten zu können. Der Vorstoss zeigte bereits erste Wirkung: Im Juli 2023 äusserte sich die Stadt Biel weitaus klarer zum Erhalt des industriellen Bau-Erbes und scheint das Anliegen zumindest vordergründig ernst zu nehmen. Trotzdem droht auch den Drahtwerken in Mett der baldige Abriss, obwohl die schützenswerte Halle teilweise sogar der Stadt selbst gehört. Und so bleibt das Engagement von reUsine immens wichtig.
Wo neue Ideen auf alte Strukturen treffen
Dieses Engagement ist weit mehr als ein Appell für den Erhalt vergangener Monumente. Es verkörpert einen Ruf nach Neuerfindung, einen Brückenschlag zwischen Geschichte und Zukunft, ein Überdenken der städtebaulichen Ausrichtung und Entwicklung. reUsine kämpft nicht allein für das schlichte Überdauern, sondern für die Wiedergeburt dieser Gebäude und Areale – nicht als verstaubte Museen, sondern als lebendige Zentren, in denen neue Ideen auf alte Strukturen treffen. Angesichts dieser Herausforderung ermutigt reUsine uns alle, die Bedeutung dieser Orte zu erkennen und uns aktiv für ihren Fortbestand einzusetzen.
Weitere Informationen zum Komitee finden sich unter www.reusine.ch
Der eingereichte Vorstoss ist abrufbar unter https://gruene-biel.ch/blog/news/reusine
Manuel Schüpbach, 37, wohnt in Biel und engagiert sich im Vorstand der Grünen Biel. Er ist selbständiger Unternehmensberater und ab 2024 nebenamtlicher Dozent im Bereich Wirtschaftsinformatik. Zu seinen besonderen Interessen gehören die nachhaltige Digitalisierung und die Kreislaufwirtschaft. Er war massgeblich an der Erarbeitung des reUsine-Postulats beteiligt.
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Dirk Weiss