Gesellschaft Klimawandel

Sportkomplex Bözingen: Darf man zum Sport „nein“ sagen?

Mit dem Rücken zur Wand, angesichts einer sich abzeichnenden dauerhaften Energiekrise, einer damit verbundenen Inflation, die historische Höchststände erreicht, und einer globalen Umwelt- und Gesundheitskrise – ist es wirklich notwendig, dass Biel auch die „Stadt des Sports“ wird, wie die Behörden behaupten und dies mit Kosten von CHF 18 Millionen für die Stadt?

Am 30. Juni dieses Jahres stimmte eine überwältigende Mehrheit des Bieler Stadtrats einem Verpflichtungskredit von insgesamt CHF 26,6 Millionen zu. Dieses Geld sollte für den Bau eines Sportkomplexes („Sportfabrik“) im Bözingenfeld verwendet werden. Für die Mehrheit des Stadtrats gibt es viele gute Gründe, das Projekt zu unterstützen.

  1. Verschiedene Partnerschaften ermöglichen ein verlockendes Finanzierungspaket, das den Beitrag der Stadt auf „nur“ CHF 18 Millionen reduziert.
  2. Der Schweizer Alpen-Club (SAC), der Turnverein Turnzentrum Bern (TZB) und die Bieler Inlinehockey-Vereine gehören zu den Partnern und werden über spezielle Infrastrukturen verfügen. Das nationale Leistungszentrum für Sportklettern wird eine Halle für das Wettkampfklettern erhalten, um die Elite der Schweizer Kletterer*innen zu trainieren. Der TZB wird unter anderem „Die Turnwelt von Giulia Steingruber“ mit Entdeckungsaktivitäten für Kinder anbieten. Diese Partnerschaft mit der Sportlerin mit der besten Erfolgsbilanz in der Geschichte des helvetischen Kunstturnens (16 Medaillen in der Erwachsenenwertung, davon sechs Goldmedaillen bei Europameisterschaften) lässt Träume wahr werden. Schliesslich werden die Bieler Inlinehockeyvereine endlich über überdachte Spielfelder verfügen, was die Stadt Biel (in der dieser Sport entstanden sein soll) bisher noch nicht anbieten konnte. Dieses Projekt verspricht also, die Position von Biel als Sportzentrum von nationaler Bedeutung zu stärken.
  3. Das Sportzentrum wird zudem drei Turnhallen im Stadtzentrum für die Schulen und die lokalen Sportvereine freimachen. An diesen Räumen herrscht heute ein akuter Mangel und eine entsprechende (Neu-)Einrichtung in der Stadt würde viel mehr kosten.
  4. Die Infrastruktur wird nach den neuesten Kriterien der Nachhaltigkeit gebaut: Schweizer Holz und Energieeffizienz werden versprochen.

Folglich haben sich nur fünf Ratsmitglieder gegen das Projekt ausgesprochen, zwei davon waren Grüne, darunter auch diejenige, die Ihnen schreibt.

Es erforderte Mut, dieses „Nein“ vor einem geschlossenen Plenarsaal zu verteidigen, der ausnahmsweise einmal seine begeisterte Unterstützung von einer Tribüne voller Bieler Inline-Fans aus bekundete. Es sei gesagt: Sport ist gesund! Wie kann man anständigerweise gegen ein grundlegendes Element unseres individuellen und kollektiven Wohlbefindens vorgehen?

Natürlich fördert der Sport die sozialen Beziehungen und kann ein Träger schöner Werte sein. Braucht man jedoch ein weiteres Sportzentrum, um diese Schönheit des Sports zu verwirklichen? Wenn es sich um Freizeitsport handelt, lautet die Antwort: Nein! An den Jura-Felsen gibt es zahlreiche Kletterwände, einige davon direkt vor den Toren der Stadt, an denen sich angehende Kletterer*innen erfreuen können. Die tägliche Gymnastik kann entlang der Vita-Parcours ausgeübt werden. Inline-Hockey-Felder gibt es in Biel bereits, einfach ohne Überdachung. Wäre es nicht denkbar, dass bald überdachte Eishallen frei werden, weil man kein Eis mehr produzieren kann/will (Energie zu teuer oder knapp)?

Es ist also der Leistungssport, der eine grosse Infrastruktur benötigt. Und dieser Sport ist zum Ort des Exzesses geworden. Wie unser Wirtschaftsmodell ist auch er in eine Sackgasse geraten. Während wissenschaftliche Arbeiten aus aller Welt heute zehn planetare Grenzen definieren, von denen sechs bereits überschritten sind und die Bewohnbarkeit unseres Planeten bedrohen, fordert der Sport uns auf, keine Grenzen zu akzeptieren. Die Überwindung von allem und insbesondere die Selbstüberwindung ist sein Wesen, auch auf die Gefahr hin, die eigene Gesundheit zu gefährden. Die grossen Sponsoren der Sportwelt sind die Giganten der Finanz-, Energie-, Junkfood- oder Luxusbranche. Kurz gesagt, das, was wir ändern und verlassen sollten, wenn wir unseren Kindern einen bewohnbaren Planeten hinterlassen wollen.

Hinzu kommt, dass es um die Finanzen der Stadt nicht zum Besten steht. Der Sanierungsplan „Substance 2030“ mit seinen zahlreichen Budgetkürzungen in der Welt der Kultur und des Sozialwesens sollte uns daran erinnern. Am 2. März veröffentlichte die Schweizerische Bankiervereinigung in einem Bericht, dass sich die für den Übergang in den nächsten 30 Jahren notwendigen Investitionen auf CHF 12,9 Milliarden pro Jahr belaufen müssten (2% unseres BIP). Umgerechnet auf die Einwohnerzahl von Biel entspricht dies rund CHF 80 Millionen, die jedes Jahr investiert werden müssten, um unsere Infrastrukturen an den Klimawandel und die neuen Energiebedingungen anzupassen. Gehört vor diesem Hintergrund ein weiterer Sportkomplex zu den Prioritäten?

In diesem Sinne konnten zwei Gegenargumente in die Botschaft an die Bieler Stimmberechtigten eingeschoben werden:

  • „Die finanziellen Prioritäten der Stadt müssen für die Sanierung und den Einsatz von Infrastrukturen mit hohem sozialem Mehrwert (Schulen, Umbau unserer Energieinfrastrukturen und Anpassung der Stadt an den Klimawandel) ausgerichtet werden.
  • Der hohe Bedarf an Rohstoffen und Energie, der für den Bau grosser Gebäude erforderlich ist, bewirkt starke Umwelt-Schädigungen und wirft daher das Problem der Vereinbarkeit mit den Klimaschutzverpflichtungen der Schweiz für 2050 auf.“

Welche Gesellschaft wünschen wir uns? Antwort am 25. September 2022, bitte gehen Sie falls möglich abstimmen.

Text: Naomi Vouillamoz. Geologin mit einem Doktorat in Umweltgeophysik, spezialisiert auf die Aspekte der mineralischen Ressourcen, die für die Energiewende notwendig sind. Seit Januar 2021 Mitglied des Stadtrats für die Grünen Biel-Bienne.

Link zu den Sparmassnahmen der Stadt "Substance 2030"

Die "Substance 2030" Massnahmen bewirken unter anderem einen Abbau bei den Schulen (z.B. den Freifächern, die für die Kinder angeboten werden) und beim Bilinguismus sowie in vielen weiteren Bereichen.

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