Im Forumtheater gibt es keine Zuschauer, die konsumieren, und Darsteller, die die Wahrheit wissen und auf der Bühne darstellen. Alle sind beteiligt. Wie Theatermensch David Diamond damit arbeitet, was das mit Gemeinschaft zu tun hat, und wie durch sein „Theater for living“ die Teilnehmenden ihr Verhalten und ihre Sicht auf die Welt verändern können, beleuchtet dieser Beitrag.
«Es ist mein sechsjähriges inneres Kind, das noch immer die Welt zum Besseren verändern möchte, das mich in meiner Arbeit antreibt», sagte der 70-jährige, voller Energie sprühende David Diamond kürzlich in Biel. Der Theatermann aus Kanada war auf Einladung des Forumtheaters KonflikTüren gekommen, um in einem sechstägigen Workshop vom 3. – 8. August im Calvin Haus, Einblick in seine Methode „Theatre for Living“ (TfL) zu geben. Diese hat sich aus der Forumtheatermethode „Theater der Unterdrückten“ von Augusto Boal entwickelt und vom Modell „Unterdrücker/Unterdrückte“ entfernt. Sie ist vor allem bestimmt für Menschen aus (sozial-)pädagogischen Berufsfeldern, NGOs, Aktivist*innen und Theatermenschen; Menschen, die sich Sorgen um unsere Gegenwart und Zukunft machen und nach neuen Wegen suchen, um Gespräche über das, was am Wichtigsten ist, zu generieren. Theatererfahrung für diese Arbeit ist nicht nötig, lediglich eine Bereitschaft, sich ehrlich und authentisch seinen Gefühlen und Erfahrungen zu öffnen.
David Diamond arbeitete als Artistic Director der Theater-Kompanie Theater for living von 1981 bis 2018 mit Menschen, welche von einem spezifischen Problem betroffen waren und den Wunsch hatten, etwas in sich und ihrer Gemeinschaft zu ändern. Mit diesen Menschen erarbeitete er nach einem sorgfältigen Casting ein professionelles Stück, mit welchem er auf Tournee ging. ‘Theatre for Living’ geht von einer systemischen Perspektive aus, welche eine Gemeinschaft als einen komplexen, lebendigen Organismus anschaut. David‘s Ansatz ist, dass echte Veränderungen nur möglich sind, wenn wir es schaffen, ehrliche und authentische Brücken des gegenseitigen Verständnisses zum Anderen aufzubauen. „Schliesslich sind wir alle Menschen mit gleichen Grundbedürfnissen, Wünschen und Ängsten“, so Diamond. Seit 2018 bietet er hauptsächlich Workshops und kürzere Projekte an.
Aus Gefühlen werden Skulpturen, Bilder, Szenen
Im Level 1 Training in Biel lernten wir, wie er aus den persönlichen Geschichten der Teilnehmenden eine theatralische Szene erarbeitet, anhand welcher man danach mit der Methode Forumtheater die menschlichen Hintergründe und Motive erforschen kann. Dazu brauchten wir ein gemeinsames Thema, welches uns alle verbindet: ‘In welchen Situationen waren für dich persönlich deine ‚Menschenrechte‘ verletzt worden?‘
In den 6 Tagen entwickelten wir dank vielen Spielen und Übungen und Davids ungemein feinem Gespür und seiner unermüdlichen Neugier für die essentiellen Fragen des Lebens mit einfachen theatralen Mitteln (wie u.a. Standbilder, Sätze zu Gefühlszuständen, Sehnsüchten und Ängsten) Figuren und Konfliktszenen.
Zum Beispiel mussten wir mit unserem Körper eine Skulptur stellen, welche das stärkste Gefühl von einem Moment repräsentiert, in welchem wir uns als Mensch überhaupt nicht respektiert fühlten. Diejenigen, welche sich durch diese Skulptur respektive das Gefühl, welches sie ausstrahlt, angesprochen fühlten, bildeten eine Gruppe und ergänzten sie mit ihren persönlichen Gefühls-Strukturen, so dass dann ein Bild entstand. Dabei war es nicht nötig, seine persönliche Geschichte zu erzählen.
Aus zwei so entstandenen Bildern inszenierte David am fünften Tag je eine Forumtheaterszene, welche dann zu einer kollektiven Szene wurden, losgelöst von den ausgehenden Skulpturen und ihren Geschichten, jedoch zum Thema der verletzten Menschenrechte gehörte.
Wenn die Zuschauer*innen intervenieren
Dann am letzten Tag erforschte David mit der Methode vom Forumtheater die Szenen mit den Zuschauenden. Beim Forumtheater wird das Publikum vom ‚Joker‘ eingeladen, die Figuren zu ersetzen und anhand persönlicher Erfahrungen die schwierigen Situationen in eine bessere Richtung weiterzuentwickeln. Natürlich mit der gefühlsvollen Führung des ‚Jokers‘.
Eine Szene handelte davon, dass eine ältere Frau, welche langsam dement wird, von ihrem Sohn und den zwei Geschwistern dazu gedrängt wird, in ein Altersheim umzuziehen. Jedoch wussten sie und ihr zweiter Sohn, welcher noch bei ihr wohnt und zu ihr schaut, nichts von diesem Vorhaben.
Anhand der Interventionen von Zuschauenden konnten verschiedene Hintergründe, Motivationen, Ängste, Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Personen sichtbar und erlebbar werden.
Im Forumtheater sind alle Beteiligen am Prozess einer Neugestaltung der Szene hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit beteiligt. Es gibt keine Zuschauer, die konsumieren, und Darsteller, die die Wahrheit wissen und auf der Bühne darstellen. Alles wird zu einem gemeinsamen Ganzen. Die subjektiven, persönlichen Geschichten der Teilnehmenden werden so zu einem neuen Bild geformt. Und dieses Bild wird durch alle transformiert und zu einer neuen Realität. Ganz praktisch, pragmatisch aber auch intuitiv.
Mögen wir alle die Realitäten an welchen wir leiden mit Mut und Hingabe in kleinen, praktischen Schritten zu einer besseren Welt verändern. Ein jeder in seinem Umfeld, so dass unser sechsjähriges inneres Kind immer glücklicher und zufriedener wird.
Text:
Ann Kleeman aus Bern, Rolf Brügger aus Biel, Regula Friedli aus Büren zum Hof und Beat Michel aus Brügg sind seit vielen Jahren als Schauspieler*innen unterwegs und bilden zusammen das Forumtheater KonflikTüren.
konfliktueren.ch
Foto:
David Diamond in Aktion an einem ‘power play’-Abend.
zvg
theatreforliving.com