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Vegane Landwirtschaft und Lebenshöfe

In der Schweizer Landwirtschaft gibt es nebst den bekannten Problemen – industrielle Tierhaltung, Pestizideinsatz, Bodenerosion usw. -, auch vielversprechende Alternativen. Eine davon ist die biologische Landwirtschaft mit guten Wachstumszahlen. Eine weitere Lösung, die punkto Tierhaltung noch konsequenter ist, heisst vegane oder pflanzliche Landwirtschaft. Darüber wollen wir hier berichten, und lassen erfahrene Vertreter*innen dieser Landwirtschaftsausrichtung gleich selber zu Wort kommen.

Man versteht, dass die Bauern und Bäuerinnen sich heute gestresst fühlen. Sie erleben keine breite Wertschätzung mehr. Ihre Produkte werden nicht mehr existenzsichernd bezahlt. Nur wegen der staatlichen Subventionspolitik halten sie etwas länger durch. In diesem Spannungsfeld gibt es herkömmlich zwei Auswege: ‘Wachsen oder Weichen’. Entweder man schliesst sich zu grösseren Betrieben zusammen. Oder man gibt ganz auf – in den letzten 50 Jahren hat sich die Zahl der Bauernbetriebe in der Schweiz mehr als halbiert! (siehe Artikel von Alain Bopp in Vision 2035 Nr. 44)

Erst wenige der verbleibenden Betriebe sind innovativ und risikofreudig genug, echte Alternativen zu wagen. Bekannt sind etwa die Umstellungen auf biologischen oder biologisch-dynamischen Betrieb. Noch einen Schritt weiter gehen jene Höfe, die eine rein pflanzliche Landwirtschaft anstreben, auch vegane Landwirtschaft genannt, und auf Nutztierhaltung ganz verzichten, aber durchaus tierfreundlich sind. Mit diesem Ansatz der pflanzlichen oder veganen Landwirtschaft wird in erster Linie auf die problematische Tierhaltung reagiert. 

Wie kommt ein Landwirtschaftsbetrieb vom heutigen Modell weg ohne aufzugeben?  Wir haben Vertreter zweier Betriebe in der Region befragt: Urs Marti vom Biohof Hübeli in Kallnach, seit sechs Jahren umgestellt, und Christine Burren vom Hof der Familie Burren in Liebewil bei Bern, seit einem Jahr in Umstellung.

Was waren eure wichtigsten Beweggründe für die Umstellung auf veganen Betrieb?

Christine Burren: Uns wurde immer mehr bewusst, dass ein Tier ein fühlendes Lebewesen ist, das leben will. Daraus folgte, dass es für uns nicht mehr stimmt, Tiere zu züchten um sie schliesslich zu töten und daraus Profit zu machen.
Urs Marti: Wir wollten, dass keine Tiere auf unserem Hof leiden müssen, und wir wollten auf unseren Äckern ausschliesslich Kulturen für die menschliche Ernährung anbauen.

Was sind eure Produktionsalternativen zur Tierhaltung?

UM: Wir stellten den Hof auf Bio um und ersetzten die bestehenden Kulturen zur Produktion tierischer Nahrung wie folgt: Polentamais statt Futtermais, Linsen statt Fleisch, Speisehafer statt Futtergerste, Hafermilch statt Kuhmilch. Ausserdem bauen wir seit kurzem Gemüse an, welches wir in Form eines Abos an die Kundschaft liefern.
CB: Wir produzieren nebst Gemüse und Beeren jetzt auch vermehrt andere Spezialkulturen wie Süsslupinen, Linsen, Hafer, Hirse und Polentamais. Und natürlich werden wir daraus weitere verarbeitete Produkte herstellen. Das Angebot im Hofladen soll möglichst vielseitig sein – auch ohne tierische Produkte.

Wie reagieren die Hofkunden, die Nachbarn, das weitere Umfeld?

CB: Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Wir können sie etwa in drei Kategorien einteilen: Die einen verstehen es gar nicht, die anderen verstehen es, werden aber weiterhin tierische Produkte konsumieren, und die dritten gehen in unsere Richtung.
UM: Die Reaktionen des Umfeldes sind positiv. Man freut sich, dass auf dem Hübeli weiterhin und mit viel Elan Landwirtschaft betrieben wird. Auch aus dem Dorf und von Berufskollegen wurden noch nie negative Reaktionen an uns persönlich herangetragen. Unsere Kunden schätzen an unseren Produkten, dass ihnen eine idealistische und biologische, also auch ökologische Produktion zu Grunde liegt.

Was geschieht mit den Tieren auf dem Hof?

UM: Die Tiere auf dem Biohof Hübeli dürfen einfach leben – hier in Kallnach also alt und fett und glücklich werden, ohne einen Nutzen für uns Menschen haben zu müssen. Unsere geschätzten Paten und Patinnen ermöglichen dies den Tieren mit ihren monatlichen Patenschaftszahlungen. Der Mistkompost unserer Tiere schliesst den Nährstoffkreislauf des Hofes.
CB: Der jetzige Bestand an Tieren bleibt bei uns (205 Legehennen, 3 Güggel, 13 Kühe, 3 Ochsen, 3 Kaninchen, 6 Ziegen). Schliesslich haben wir die Infrastruktur dazu. Für die Tiere suchen wir Patinnen und Paten, die den Unterhalt der Tiere mitfinanzieren. Wir legen hohen Wert auf die Kreislaufwirtschaft. Der Mist, der entsteht, wird zusammen mit Beerenschnittmaterial und weiterem Grünzeug kompostiert. Der so entstandene wertvolle Nährhumus wird über die Kulturen verteilt und so wieder in den Kreislauf rückgeführt. Dafür brauchen wir unsere Tiere noch. Da uns die Kreislaufwirtschaft wichtig ist, möchten wir unsere Tiere mit möglichst selber produziertem Futter ernähren.

Ob es sich bei den beiden mutig-innovativen Beispielen um exotische Einzelfälle handelt oder ob dies schon als ein Trendhinweis beurteilt werden kann, wollten wir von Florian Sisolefski erfahren. Er lebt und arbeitet auf dem Lebenshof Narr bei Egg/ZH, der schon vor neun Jahren die Produktion vor allem auf Gemüse umgestellt hat, die Tiere dank Patenschaften gerettet hat und stark auf Bildung von SchülerInnen setzt. Unter dem Namen TransFARMation macht Hof Narr schweizweit Beratungen bei solchen Produktionsumstellungen.

Wieviele Höfe gibt es ungefähr in der Schweiz, die die Umstellung auf vegane Landwirtschaft schon vollzogen haben oder in Erwägung ziehen?

Florian Sisolefski: In den vergangenen sechs Jahren haben ca. 140 landwirtschaftliche Betriebe in Zusammenarbeit mit uns ihren Betrieb auf vegane Landwirtschaft umgestellt. In der Realität wird die Zahl der tatsächlichen Umstellungen grösser sein, schliesslich werden nicht alle Umstellungen mit uns realisiert. Zu Beginn waren es naturgemäss weniger Anfragen, doch mittlerweile erreichen uns solche fast täglich. Aufgrund dieser beobachtbaren Entwicklung bei den Landwirt*innen selbst, aber auch aus einer nachhaltigen, ethischen und ökologischen Notwendigkeit heraus, sprechen wir nicht mehr nur von einem Trend, sondern von einem Wandel. Eine Trendumkehr können und werden wir uns nicht mehr erlauben können, und auch nicht wollen, wenn wir erst einmal erlebt, verstanden und gefühlt haben, welches Potenzial, welche Stärken und Geschenke mit dieser Transformation der Landwirtschaft verbunden sind.

Wie schätzt ihr die zukünftige Entwicklung ein?

FS: Wie diese Entwicklung vonstattengehen wird, ist schwierig prognostizierbar. Sie hängt stark davon ab, wie schnell wir es schaffen, wirkliche Transparenz in das gesamte Lebensmittelsystem zu bringen, die wahren (monetären und nicht monetären) Kosten der Lebensmittel aufzuzeigen und einen vorwurfsfreien und wertschätzenden Diskurs mit beteiligten Akteur*innen auf Augenhöhe zu führen. Wir erleben es immer wieder, dass in vielen Diskussionen genau diejenigen vergessen werden, die ganz entscheidend am Beginn der Lebensmittelproduktion stehen, nämlich die Landwirt*innen.
Die Vorstellung, dass umgestellte Betriebe ausschliesslich Nischen bedienen und nur mit kleinen Hofläden ihre Produkte vertreiben, wäre falsch. Viele Betriebe sind innovativ und progressiv, entwickeln verschiedenste Absatzmodelle, gehen Kooperationen ein und liefern Vorprodukte für andere Unternehmen der veganen Lebensmittelproduktion.
Darüber hinaus wird auf diesen Betrieben immer wieder theoretisch und praktisch erforscht, wie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen kann.

Was sind eure konkreten Empfehlungen?

FS: Eine Liste an Wünschen und Empfehlungen ist so lang wie divers und reicht von einer Umstrukturierung der Direktzahlungen, über die Berücksichtigung der wahren Kosten von Lebensmitteln bis hin zu einem grösseren Stellenwert einer ethischen Praxis.
Aufgrund der Komplexität des Themas der Landwirtschaft und der sich leider sehr hartnäckig haltenden Narrative, empfehle ich immer sehr, dass Menschen sich selbst ein Bild von der Landwirtschaft machen und zugleich den Lebewesen begegnen, deren Rechte innerhalb der Nutztierhaltung so stark beschnitten werden.
Auf Lebenshöfen gibt es die Möglichkeit, aus erster Hand von Landwirt*innen zu erfahren, warum es für sie unumgänglich war, der Nutztierhaltung den Rücken zu kehren und den Weg in eine nachhaltige und friedliche Landwirtschaft zu beschreiten. Wer Lebenshöfe besucht, kann sich von ihrer zentralen Bedeutung für den notwendigen Wandel selbst überzeugen und sie gleichzeitig dabei unterstützen. Wir werden alle davon profitieren und es wird sich ein spürbarer Wohlfahrtsgewinn einstellen – im Portemonnaie und im Herzen.

Ausschlaggebend für den Entscheid zu völlig veganer Lebensmittelproduktion ist zunächst der Umgang mit den Tieren: woher nehmen wir uns das Recht, bestimmte Tiere als Nutztiere zu halten, sie zu mästen und zu nutzen und schliesslich massenhaft zu töten und als Nahrungsmittel zu verwerten? Dann stellt sich vor allem und zunehmend die ökologische Frage, weil unsere Ernährung mit tierischen Produkten wie Milch, Fleisch und Eier ein Vielfaches an pflanzlichen Kalorien verschlingt. Und schliesslich ist es auch gesundheitlich fraglich, wenn wir Menschen uns mit einem zu hohen Anteil an tierischen Produkten ernähren.

Vegane Landwirtschaft ist besonders sinnvoll dort, wo Ackerland zur Verfügung steht. Die Nutztierhaltung beansprucht heute gegen 60 Prozent der schweizerischen Ackerfläche für die Produktion von Tiernahrung. 
Eine rein pflanzliche Landwirtschaft ist hingegen im Voralpengebiet mit seinen grossen Gras- und Weideflächen kaum realisierbar. Denn nur die wiederkäuenden Tiere können das faserige Gras und Heu effektiv verwerten. Hier ist der biologische Betrieb mit tierfreundlich gehaltenen Nutztieren sinnvoll.  

Über die vielen Probleme der konventionellen schweizerischen Landwirtschaft ist schon viel geschrieben und geredet worden. Umso wertvoller sind praktische Alternativen, konstruktive Veränderungen, Taten statt Worte. Umstellungen auf biologische und, und einen Schritt weitergehend, Umstellungen auf veganen Betrieb gehören dazu. 

Text:
Göpf Berweger hat Oekonomie studiert, ausserdem Soziologie und war beruflich für verschiedene NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Er ist Mitbegründer der Gesellschaft für bedrohte Völker (Schweiz) und lebt seit drei Jahren in Biel.

Links zu den erwähnten Höfen
www.biohof-hübeli.ch
www.burehofmaerit.ch
www.hof-narr.ch

Lese-Tipp:

Agricultura 04/23. Magazin der Kleinbauernvereinigung mit Schwerpunkt Milchkühe und Mutter-Kalb-Haltung: www.kleinbauern.ch/magazine/

„Die Geschichte einer Schweizer Bauernfamilie, die nicht mehr töten will“ – Artikel von Christof Gertsch in „Das Magazin“ Nr. 42 vom 21. Okt. 2023 zu finden unter: burehofmaerit.ch/ueber-uns/

Ganz im Sinne dieses Artikels auch die Initiative für eine sichere Ernährung www.ernaehrungsinitiative.ch

Golda, ist auf dem Burehof Liebewil am 7.3.2022 geboren und ist „volverpatet“, hat also ihr weiteres Leben inkl. ihr Alter auf dem Lebenshof gesichert.

Christine und Tobias Burren mit ihren zwei Töchtern auf ihrem Hof in Liebewil, den sie seit 2020 gemeinsam führen. zvg.

Urs Marti und Leandra Brusa haben den Biohof Hübeli in Kallnach vor sechs Jahren auf vegane Landwirtschaft umgestellt.

Das sind die Hof Narren Stand September 2022 mit Florian Sisolefski ganz links im Bild.

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