Die urbane Gärtnerin Anja Fonseka wollte mehr über den Boden wissen, dem sie ihre Gemüse- und Beerenernten verdankt. Je mehr sie über Pflanzen lernte, umso mehr wurde ihr klar, dass ein gesunder Boden die Basis von allem ist. Deshalb entschloss sie sich zu einer Ausbildung an der Soil Food Web School. Dabei ist ihr so manches Licht aufgegangen. In diesem Beitrag teilt sie ihre Faszination für die Geheimnisse der Böden – und sie erklärt, wie schlecht es um sie steht.
Boden ist ein lebendiger Organismus. Oder noch besser: Boden ist ein Körper, bestehend aus Abermillionen von Mikro- und Makroorganismen – er ist Teil eines riesigen Zyklus von Mineralien, Nährstoffen, Gasen und Wasser. Tatsächlich ist das Leben im Boden der entscheidende Faktor, der das Leben auf unserem Planeten im Kreislauf hält. So erstaunt es nicht, dass der Boden in mystischen Entstehungsgeschichten eine zentrale Rolle spielt. Er kommt in fast allen diesen Erzählungen vor, denn sie handeln vom Formen oder Entstehen von Leben aus dem Boden, aus der Erde, aus Staub oder Asche. Wir tun gut daran, diese Erzählungen neu zu lesen und in den Kontext der Herausforderung zu stellen, vor die uns die Klimakrise stellt: unser Überleben auf diesem Planeten. Denn: Wenn das Leben im Boden zerstört wird, werden auch wir nicht mehr existieren können. Ist das Leben erst aus dem Boden verschwunden, haben wir es nur noch mit Dreck zu tun. In Dreck aber wächst nichts. Und der Boden kann viele seiner grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen. Wenn es ihm gut geht, liefert er Sauerstoff und Nährstoffe, sorgt für Temperaturausgleich, bindet Schadstoffe, trägt zum Erhalt der Atmosphäre bei . Kurz: Gesunder Boden garantiert die Vielfalt des Lebens durch Schaffung von optimalem Lebensraum.
Doch ein gesunder Boden ist alles andere als selbstverständlich. Damit die meisten Pflanzen kräftig und gesund wachsen, braucht es dazu: 75’000 verschiedene Bakterien, 2500 Pilzarten, 10’000 Arten von Protozoen (Einzeller) und mehrere hundert Arten von Nematoden (Fadenwürmer).
Lebendiger Boden – was das wirklich heisst
Ich habe persönlich den Begriff vom «lebendigen Boden» nie ganz richtig verstanden. Wenn ich mir vorstellte, was das bedeuten könnte, war da einfach ein vages Bild von Erde, und ein paar Würmern. Oder eine esoterische Vorstellung von «Lebensenergie», mit der ich nicht viel anfangen konnte. Als Teil meiner Ausbildung in der regenerativen Landwirtschaft musste ich dann ein Mikroskop kaufen, um Bodenleben zu messen. Und plötzlich war sie da: In einem Tropfen Bodenprobe sah ich zum ersten Mal diese Lebendigkeit: Bakterien, Protozoen, Nematoden, Pilzhyphen (Fäden), Milben, Rotifere (Rädertierchen), Wasserbären. In der Probe wimmelt, vibriert und bewegt es sich emsig. Ausser den Nematoden, die zwischendurch ein Nickerchen machen, ist alles konstant in Bewegung, werden Bakterien gefressen, Mikroaggregate zu Makroaggregaten arrangiert, wird Totes in Lebendiges verwandelt und Lebendiges in Totes. Dieser Blick «hinter die Kulissen» hat mein Verständnis von lebendigem Boden für immer verändert. Ich war und bin f a s z i n i e r t!
An der Soil Food Web School lernen wir die Funktion und Relevanz einzelner Mikroorganismengruppen kennen. Wir sehen zum Beispiel, was es bedeuten kann, wenn einem Boden Teile dieses lebendigen Netzes fehlen. Gibt es im Boden vor allem Bakterien, aber kaum Pilzhyphen, Amöben und Flagellate (Geisseltierchen), so kann keine Struktur aufgebaut werden, und der Boden verhärtet. Wasser kann nicht einsickern und schwemmt ab. Erosion und mehr Austrocknung sind Folgen davon. Die meisten Wurzeln dringen nur beschränkt durch verfestigten Boden, wachsen alsbald seitwärts und können die Pflanze nicht stabil verankern.
Könnten wir im gleichen Boden das vollständige Netzwerk von Bodenleben ansiedeln und erhalten, würde dieser Boden strukturell einem Schwamm ähneln: Bakterien bilden mit ihren leimartigen Oberflächen stabile Aggregate mit organischem Material und Mineralien, grössere Mikroorganismen fügen diese zu Makroaggregaten zusammen. Dazwischen gibt es viel poröse Lücken, durch die Sauerstoff, Wasser, und Wurzeln dringen können. Trocknet ein «Bodenschwamm» aus, behält er seine Form, so wie es ein trockener Schwamm täte und kann so bei erneutem Regen jedes Tröpfchen in sich aufnehmen. So wird nichts im Kreislauf verschwendet.
Die faszinierende Welt der Nematoden
Wichtig für ein gesundes Bodenleben ist nicht nur das Vorhandensein aller trophischer Ebenen (siehe Skizze 1), sondern auch die Vielfalt innerhalb dieser Ebenen. Also nicht nur die Anzahl Nematoden, sondern auch ihre unterschiedlichen Arten. Es gibt grob gesagt bakterienfressende, pilzfressende, räuberische und wurzelfressende Nematoden. Alle haben ihre Funktion im Netz der Abhängigkeiten des Bodens. Es ist enorm spannend, Nematoden zu beobachten.
Bakterienfressende Arten verschlingen bis zu 10’000 Bakterien pro Tag. Sie tragen dazu bei, dass sich das Verhältnis von Bakterien und Pilzen im Boden zugunsten der Pilze verschiebt und stossen mit ihrer Ausscheidung hoch konzentriert Nährstoffe in für Pflanzen verfügbarer Form aus. Also eine Art Flüssigdünger.
Jägernematoden verschlingen andere Nematoden. Das Spannende ist dabei, dass sie, wenn immer möglich, Wurzelfressende Nematoden bevorzugen. Sehe ich in einer Bodenprobe also Jägernematoden, vermerke ich dies als ein gutes Zeichen, da im Boden bereits ein natürlicher Feind der «bösen» Nematoden vorhanden ist.
Kommen wir zu den Bakterien. Bei der Bodenanalyse halten wir unter dem Mikroskop Ausschau nach mindestens 10-15 verschiedenen Arten von Bakterien. Natürlich bin ich mit meinem Mikroskop (400-fache Vergrösserung) nicht in der Lage, auf die Spezies genau zu definieren, um welches Bakterium oder sonstiges Lebewesen es sich handelt. Aber bereits die morphologische Unterscheidung der Formen und Grössen ist ein starker Indikator für Vielfalt – und Vielfalt ist ein starker Indikator für gesunden Boden. Wonach wir besonders suchen, sind potenziell krankheitserregende Bakterien, die in ihrer Form und Bewegung meist sehr spezifisch sind.
Jeder Tropfen Gift reisst eine Lücke ins System
Alles Bodenleben hat seinen Platz und seine Funktion. Wenn ein Teil des Netzwerkes fehlt, tut sich automatisch eine Lücke im «Immunsystem» des Bodens auf. Der Boden verhärtet und die darin wachsenden Pflanzen werden anfällig für Krankheiten und Schädlinge, was leider oft einen üblen Kreislauf auslöst und anderen Problemen Vorschub leistet. Künstliche Dünger und Pestizide, Herbizide und Fungizide verdrängen weiteres Bodenleben – es wird noch enger für unsere aktiven Freunde im Boden und wir kommen mit Giessen, Spritzen und Lockern nicht nach.
Ich bin ursprünglich wegen meines Gartens aufs Thema Bodengesundheit gestossen. Kompostieren ist eine sehr effiziente Methode, um Mikroorganismen in grosser Menge und Vielfalt zu vermehren und im Garten auszubringen.
Inzwischen geht es mir um das Bodenleben im viel grösseren Kontext der Klimakrise. Jedes Gift dass wir anwenden, hat eine enorme Auswirkung auf eine ganzes System von Lebewesen und Funktionen. Und die Fülle von Bodenleben hat einen direkten Zusammenhang mit unserer Lebensqualität. Ein lebendiger Boden ist kühler wenn es heiss wird, er hält mehr Feuchtigkeit und lässt Pflanzen besser wachsen. Extremem Wetter kann so resistenter standgehalten werden. Das sind Ansätze, die wir nicht ignorieren können. Es lebe der Boden!
Text: Anja Fonseka ist Bielerin, freischaffende Fotografin und Studentin an der Soil Food Web School, wo sie bereits den Abschluss als Lab Technician gemacht hat. Sie will Böden regenerieren und lebendige Oasen in der Stadt schaffen.
Workshops demnächst mit Anja Fonseka
Workshop 1: Kompostieren im Gemeinschaftsgarten.
Ziel: Basics der Heissrotte oder des Wurmkomposts kennenlernen und vorhandenes Wissen erweitern. Zutaten, Temperaturen, Feuchtigkeit und Lagerung.
Datum: 21.10.2022 14 – 16 Uhr
Dauer: 2 Stunden
Ort: Im Garten an der Quellgasse 2
Kosten: Solidaritätsbeitrag von 20.- in bar/Person
Hinweis: Der Workshop ist für Erwachsene, es können aber auch Fragen zum Kompostieren mit Kindern gestellt werden.
Workshop 2: Mikroorganismen im Boden kennen lernen
Ziel: Mitgebrachte Boden,- oder Kompostproben werden nach der Methode von Elaine Ingham untersucht und die Mikroorganismen des Soil Food Webs eingeordnet. Wir können dabei auch Bilder oder Videos aufnehmen, um sie mit anderen zu teilen.
Datum: 28.10.2022 14 – 16 Uhr
Dauer: 2 Stunden
Ort: Im Atelier an der Kontrollstrasse 19
Kosten: Solidaritätsbeitrag von 20.- in bar/Person
Anmeldungen bis am 14.10.2022 an post@anjafonseka.ch Betreff: Workshop 1 oder 2.
Für Barrierefreiheit und andere Fragen bitte mit der Kursleiterin Kontakt aufnehmen.