Wieviel Anteil haben wir selbst an den Konflikten, die um uns entstehen, wenn die äussere Welt ein Spiegel unseres Innenlebens ist? Und wenn unsere Realität durch unsere Gedanken und Emotionen geformt wird, wie wirkt es sich auf die Welt aus, wenn wir uns erlauben, zu heilen?
Als ich irgendwann innehielt, da merkte ich, dass ich nichts fühlte, ich innerlich taub war. Ich merkte, dass das Gegenteil von Liebe Nichts ist.
Als ich genau hinsah, wurde mir bewusst, dass mein Leben voller Konflikte war, die meine inneren Verletzungen und Konflikte spiegelten. Schon immer sehnte ich mich nach Akzeptanz, danach geliebt zu werden, wie ich bin. Nur hatte ich schon früh gelernt, dass dies nicht nur unmöglich, sondern auch gefährlich war. So versuchte ich, zu gefallen, zu helfen, zu retten und Konfrontation zu meiden, in der Hoffnung, Verbindung zu schaffen. Dies erlaubte mir ironischerweise auch, mich zu verstecken und nicht wirklich auf tiefe Verbindungen einlassen. Da ich dabei meine eigenen Bedürfnisse meist völlig vernachlässigte und ich mir dessen nicht mal bewusst war, führte dies mit der Zeit dazu, dass ich wütend wurde. Sehr wütend. Immer wieder verfing ich mich in toxischen Beziehungen. Besonders meine Liebesbeziehungen verliefen oft tragisch und bestätigten mir mein Bild, nicht liebenswert zu sein.
Bis zu dem Moment, in dem ich akzeptierte und erkannte, dass ich die Verantwortung für meine Heilung, für mein Leben und meine Beziehungen trage. Bis ich auch erkennen konnte, dass mein Leben nicht voller Dramen sein muss, dass ich heilen kann, dass in mir und meinem Leben Frieden einkehren kann.
Über die Jahre habe ich viele Verhaltensmuster ändern können, peinlicherweise vor allem, indem ich Muster wiederholte. Doch nur so konnte ich mich in bekannten Situationen anders verhalten und daraus lernen. Mit Erstaunen bemerkte ich, wie unangenehm es mir war, Grenzen zu setzen, authentisch zu kommunizieren, Dinge anzusprechen und Toxisches aus meinem Leben zu entfernen. Ich stellte fest, wie sehr ich an Gewohntem hing, das mir schadete, wie sehr ich mir selbst im Weg stand.
Manches wird mich wohl ein Leben lang begleiten – als Teil von mir, der mich unperfekt menschlich macht. Ich lerne, damit umzugehen, es zu akzeptieren. Mich zu zeigen, mit allem was ist, so wie ich bin. Ich merke, wie Vieles leichter wird, wie Mauern einbrechen, wie das Glück immer mehr Raum einnehmen kann.
Wie sehr identifizieren wir uns mit unserem Schmerz, mit unserer Geschichte; lernen und glauben, dass leben Leid bedeuten und schwer sein muss; dass Glück durch Entsagung verdient und Erfolg hart erarbeitet werden muss. Was, wenn ich all dies loslassen kann? Was, wenn meine Geschichte wirklich nur eine Geschichte ist, die ich mir immer wieder selbst erzähle? Wer bin ich jenseits von all diesen Konditionierungen? Was, wenn das Leben eigentlich leicht sein kann, voller Freude? Was, wenn ich nicht sein muss, wer ich war, sondern sein kann, wer ich bin?
Wie viel Zeit verbringen wir damit, wütend zu sein, uns Sorgen um Eventualitäten zu machen; damit, gemocht, bewundert, anerkannt zu werden – durch Geschichten und Äusserlichkeiten! Verschwendete Zeit, die wir damit verbringen könnten, echte Verbindungen zu schaffen, glücklich und frei zu sein, unsere Wahrheit auszusprechen, unser Wesen auszuleben.
Ich gebe mir den Raum und die Zeit, die ich zum Heilen benötige. Lerne Einfachheit und Ruhe zu geniessen: Der Wechsel der Jahreszeiten, Freundschaften, lange Gespräche, Spaziergänge unter Bäumen, die Wärme der Sonne und das Wasser, das mich beim Baden im See umfliesst. Ich erkenne, dass das, was wirklich zählt, die Verbindung zum Leben, zu meinen Mitmenschen, der Natur und zu mir selbst ist. Es geht nicht darum, irgendetwas zu erreichen oder zu sein. Es ist nicht wichtig, ob ich verheiratet bin, ein Haus habe, eine hohe Position in einer bekannten Firma habe, viel verdiene, ob ich die Erleuchtung erlange oder mich jeden Tag etwas verbessere. Es geht darum, das Leben in Harmonie mit seinen Rhythmen in Tiefe zu leben, uns in das Netzwerk des Lebens einzuweben, unseren ureigenen Weg zu gehen.
Auf einmal ist es friedlich um mich und in mir. Sie sind weg, die Konflikte, das recht haben müssen, das gemocht und anerkannt werden wollen. Ich bin kein Opfer mehr, sondern handle und entscheide eigenverantwortlich. Ich gehe mit dem Fluss des Lebens – dahin, wo ich hingeführt werde. Ich wehre mich nicht gegen Veränderungen, Gefühle, Erfahrungen oder andere Meinungen, denn ich vertraue. Bedeutet das, dass ich jetzt nur noch glücklich bin, alles wunderbar läuft und es keine schlechten Tage mehr gibt? Nein. Es bedeutet, dass ich die Dinge, die kommen, mit einer gewissen Leichtigkeit annehmen kann. Es bedeutet, dass ich möglichst nicht an Gefühlen und Situationen festhalte, sondern sie in ihrem natürlichen Rhythmus kommen und gehen lasse. Ich akzeptiere, dass es Herausforderungen gibt und Unangenehmes genauso wie Schönheit und Fülle – oft alles zur gleichen Zeit.
Es bedeutet auch, dass die Fragen, die ich mir stelle, sich verändert haben. Ich frage mich nun: wie geht es den Wesen um mich herum? Was haben meine Taten und Entscheidungen für Auswirkungen auf mein Umfeld? Ich bin überzeugt, dass der erste Schritt für Frieden auf dieser Welt in uns selbst anfängt. Dass der kleine Frieden in uns drin Wellen schlagen und sich ausbreiten kann. Dass, wenn wir mit uns selbst im Reinen sind, sich unser Blick weitet und wir möchten, dass es allen gut geht.
Text:
Angela Herrmann ist ayurvedische Köchin und Körpertherapeutin. Sie liebe es, mit frischen und natürlichen Lebensmitteln heilende und nährende Gerichte zu kreieren und sehnt sich nach einer Welt, in der die Menschen frei und in Frieden mit sich selbst und Mutter Erde sind.
Illustration:
Lia Bianchi, Kunsttherapeutin