Gesellschaft

Von der Herausforderung Werte im schulischen Rahmen zu vermitteln

Als Quereinsteiger macht der Autor aktuell eine Mutterschaftsvertretung an einer Oberstufe. Von Anfang an war er mit seinen Werten und deren Vermittlung konfrontiert.
Ein Erfahrungsbericht.

«Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir eine Chance geben!» Mit diesem Satz endete mein Bewerbungsschreiben. Ich hatte mich soeben auf eine Mutterschaftsvertretung in den Fächern Deutsch, Französisch sowie Sport und Bewegung an einer Oberstufe im Kanton Bern beworben.
Im Gepäck: meine Begeisterung für Sprachen (und Sport), eine Ausbildung als Fachübersetzer (Französisch>Deutsch), diverse Erfahrungen mit Jugendlichen im Rahmen von Workshops zu den Themen Gärtnern und Saatgutproduktion, und eine grosse Portion Neugier und Enthusiasmus. In diesem Kontext erhielt ich Ende Januar die Chance und trat an, «meinen» 17 pubertierenden Schüler*innen einen Werterahmen abzustecken.

Wie sollte dieser aussehen? Relativ schnell schälten sich bei mir drei tief verwurzelte Überzeugungen heraus, die ich im Unterricht besonders hervorheben wollte. Erstens: Wir sind ein Team respektive ein Kollektiv, wir arbeiten miteinander und nicht gegeneinander. Zweitens: Wir kommunizieren offen miteinander. Drittens: Wir gehen respektvoll miteinander um. Ebenfalls nahm ich mir zu Herzen, den Leitsatz «Hilf mir, es selbst zu tun» (Maria Montessori) wenn immer möglich in meinem Unterricht und meinem Handeln zu berücksichtigen. 

Ziel: ein angenehmes Lernklima

Alsbald entdeckte ich, dass basierend auf Artikel 28.2 des Volksschulgesetzes (VSG) im Kanton Bern die Lehrpersonen und die Schulleitung meiner Schule ein «einheitliches Regelsystem mit zunehmenden Interventionsstufen» beschlossen hatten. Konkret: Strichli (aus verschiedenen Gründen) führen zu Sanktionen von einem Dienst an die Gemeinschaft der Klasse über Nachsitzen bis zu einem Elterngespräch. Kurz schreckte ich auf, sah mich in meiner Naivität eingeholt und suchte das Gespräch mit der Klassenlehrperson – und stiess auf offene Ohren. Meine dargelegten Wertvorstellungen nahmen wir unter anderem als Anlass, dass sich die Klasse nun selbst über ihre Werte Gedanken machte. Werte, die zu Regeln wurden und seither im Klassenzimmer hängen.
Während ich mich in die Welt des Unterrichtens reinkniete, versuchte ich auf die Werte und Regeln, sofern sie nicht respektiert wurden, hinzuweisen und in Erinnerung zu rufen, dass wir diese gemeinsam abgemacht hatten – gewissermassen als Basis einer vertrauensbasierten Zusammenarbeit. Alle sollten ihren Teil zu einem angenehmen Lernklima beitragen.

Was fair ist, ist Ansichtssache 

Kurze Zeit später dann die erste grosse Herausforderung: Eine von mir gelassen formulierte Aufforderung – ich bat zwei Schüler, das gut gefüllte Arbeitszimmer zu wechseln, da ich den Eindruck bekam, die Lernumgebung sei für sie nicht fruchtbar – wurde (mehrmals!) ignoriert. Konkret: Ich war mit strikter Verweigerung zweier Jungs konfrontiert. Und weil es sich für mich in dem Moment als eine respektlose Grenzüberschreitung respektive fehlerhaftes Sozialverhalten anfühlte, zückte ich die Karte Strichli, ganz spontan. Später merkte ich, wie unwohl es mir war, dieses Strichli verteilt zu haben. Zu Hause dann fiel mir einer dieser Allerwelt-Jogi-Teebeutel in die Hände. Auf diesem stand: «Jede Erfahrung lehrt Dich etwas. Deine Reaktion zeigt, ob Du verstanden hast!» Meine Reaktion zeigte, dass ich das Regelsystem der Schule verstanden, so mein Gesicht als Autorität gewahrt hatte und nicht klein beigab. Doch entspricht dies auch meinen eigenen Werten? Jein. Ich musste lernen, einen Mittelweg zu gehen. Einerseits akzeptiere ich, was die Schule vorgibt. Ich will mich nicht querstellen und die teils von meiner Vorgängerin mit der Klasse erarbeiteten Mechanismen kurzerhand über Bord werfen. Andererseits fuchste es mich, dass ich in dieser Situation keine andere, mir wohliger erscheinende Lösung gefunden hatte. Hätte ich besser analysieren sollen, und erst dann handeln? Oder einfach nachgeben? Ich meine: Dass nicht immer Ja und Amen gesagt wird, ist mir sympathisch, schliesslich sollen künftige Generationen zu kritischen, selbstständigen Wesen «erzogen» werden. So eindeutig meine fehlende Erfahrung zum Vorschein kam, so eindeutig griff ich auf das schulische Wertekorsett zurück und handelte nach diesem. 

Einer der beiden Jungs hat das Strichli später mir gegenüber als äusserst «unfair» bezeichnet. Weil sein Frust unübersehbar war und sich in fehlender Motivation ausdrückte, suchte ich das Gespräch. Ich fragte ihn nach seiner Meinung, erklärte ihm meine Haltung und betonte, wie wichtig es mir ist, die Strichli möglichst fair einzusetzen. Er nahm es zur Kenntnis, auch wenn sein Frust noch leicht spürbar war. 

Doch liegt nicht gerade darin die grösste Herausforderung, die Strichli über einen grösseren Zeitraum fair einzusetzen? Sofern denn ein Strichlisystem zur Anwendung kommt …

Salopp gesagt: «Wer will, der kann!» So in etwa scheint mir die aktuelle Ausgangslage angesichts des akuten Lehrerkräftemangels im Kanton Bern. Gemäss der Berner Bildungsdirektion waren Ende Mai 402 Stellen ausgeschrieben (233 unbefristet, 169 befristet). Natürlich braucht es entsprechende Vorkenntnisse bzw. Ausbildungen im jeweiligen Fachbereich – doch selbst mit geringer pädagogischer Erfahrung, liegt ein Einstieg drin. Auf dem SteZe-Portal (Stellvertretungszentrale) des Kantons Bern sind alle zu besetzenden Stellen ausgeschrieben. Je nach Ausbildung und Erfahrung verdient man besser oder schlechter.

Pascal Mülchi ist selbstständiger Sprachdienstleister (pascoum.net) und leidenschaftlicher Gärtner. Sprachen vermitteln will er auch in Zukunft – in welchem Wertekorsett muss er noch genau herausfinden.

https://pascoum.net/ (Seite im Aufbau / site en construction)

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