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Wandel ist machbar, Familie Nachbar

Weshalb sich unser Autor mitten in Biel für ein nachhaltigeres Flora-Carrée engagiert, welche Lösungen er sieht und auf welche Widerstände er stösst, erzählt er in diesem Bericht. Chancen bieten vor allem anstehende Erneuerungen von Heizsystemen und Elektrifizierung von Autos. Zentral dabei: gemeinsames statt einsames Handeln.

 

Nach Corona, dem Flutsommer 2021 und dem Glutsommer 2022 zeigt uns der laufende Ukraine-Krieg auf, dass auch wir Bieler* unseren Alltag ändern müssen.
Während die Stille der Heimbüro-Corona-Monate inzwischen fast wie ein Traum erscheint, erinnert uns die kriegsbedingte Teuerung täglich, wie sehr unser Lebensstil von günstigen Energie- und Rohstoffpreisen abhängt. Und wie sinnvoll es daher ist, dauerhaft sparsamer mit Energie und Rohstoffen umzugehen sowie möglichst viel davon im Inland zu erzeugen und zu nutzen.

Nur: Wie schnell kann das gelingen?
Die erlebten Corona- und Stromsparmonate zeigten uns, wie rasch wir uns ändern können.

Als Raum- und Verkehrsplanender unterstütze ich seit 45 Jahren Interessierte bei nachhaltigerer Alltagsorganisation. Seit 5 Jahren leben meine trinationale Familie und ich gerne im Stockwerkeigentum des Flora Carree (siehe Foto), das zentral in der Bieler Neustadt zwischen Schüss, Garten-, Dufour- und Neumarkstrasse liegt. Mit Balkonen vor jedem Zimmer, einer Terrasse zur Schüss und kurzen Wegen bietet uns dieser Wohnort ein sehr bequemes autofreies Leben. Nun geht es darum, anstehende Projekte in Haus und Quartier zu nutzen, um unser Leben Jahr für Jahr deutlich nachhaltiger zu gestalten, einen Beitrag zur Energiewende zu leisten.

Die Ausgangslage ist folgende 

Um einen Innenhof gebaute mehrstöckige Häuser bilden das Flora Carree. Häuser und Einstellhallen gehören häufig hier Wohnenden. Zwischen den Eigentümergemeinschaften gibt es bisher jedoch kaum Austausch. Das erschwert, nun da die Ende der 1990-er Jahre eingebauten Gas-Heizungen ihrem Lebensende entgegen gehen, u.a. den Umstieg auf regenerative Energiesysteme. Denn Bedarf und Voraussetzungen für rentable Photovoltaik, Wärmepumpen, Elektro-Ladestellen sind nicht in allen Häusern gleich.

In solchen Situationen sind Hausverwaltungen gefragt, die proaktiv Eigentümergemeinschaften über gemeinsam lösbare Themen informieren. Und Förderbedingungen, die ein Klären von Kooperationslösungen auferlegen. 

Die Realität sieht jedoch (noch) anders aus. Entscheidungen, die eigentumsübergreifende und damit wirtschaftlichere Eigenverbrauchsgemeinschaften, Ladeinfrastruktur in Einstellhallen sowie Gestaltungen von Aussenflächen ermöglichen, sind selten. Und ein selbst für Profis unübersichtlicher Förder-Dschungel erschwert zudem noch Diskussionen über nachhaltigere Energiesysteme.

So liess auch meine Eigentümergemeinschaft 2021 unser Dach sanieren, ohne zuvor Eignung und Anschlüsse für regenerative Energiesysteme abzuklären. In ihrem Auftrag holt die Verwaltung aktuell Angebote für einen Heizungstausch ein. Ohne ein kleines Wunder wird die Mehrheit der überwiegend betagten Eigentümer vielleicht schon im April entscheiden, dass Gas auf Gas folgen soll, und damit die nachfolgende Eigentümergeneration entweder den Klimawandel weitere 20 Jahre anheizen oder nochmal mit viel Geld ein nachhaltigeres Heizsystem beschaffen muss. Was den Wert auch meiner Wohnung sicher nicht steigern wird… 

 

Das könnte nachhaltigeres Leben erleichtern

Dabei gäbe es bereits bewährte Alternativen für das Flora Carree – sofern sich Eigentümergemeinschaften zu Energieverbrauchsgemeinschaften zusammenschlössen.: Auf bisher ungenutzten Dächern könnten sogenannte Powerroof-Panele mehrere Häuser mit genügend Strom und Wärme versorgen. Unter den Solarpanelen montierte Heizungsleitungen erzeugen zudem Warmwasser, kühlen damit an Sommertagen die Panele und halten sie im Winter schneefrei. Powerroofs können dadurch bis zu 30% mehr Strom als reine Solarpanele erzeugen, in das Stromnetz einspeisen oder im Verbund mit in den Einstellhallen durchschnittlich 23 Std./Tag geparkten E-Autos zwischenspeichern und nachts wieder abrufen. Mobility testet bereits – auch in Biel – solche bidirektional ladende E-Autos, die in Bedarfsspitzen wieder Strom ins Netz zurückspeisen und damit Spitzenlasten ausgleichen können.

Ein weiteres Problem: Heutige Energie- und Ladesystemen sind so komplex, dass auch Profis zunächst in kostenpflichtigen Machbarkeitsstudien klären müssen, welche Systeme voraussichtlich wirtschaftlich sind und welche Teile davon gefördert werden können. Auch der ESB berät bisher nicht spartenübergreifend zu Photovoltaik in Kombination mit Heiz- und Ladeinfrastruktur. Dabei könnten kostengünstige Beratungs- und Förderleistungen in diesem Bereich helfen, besonders teure Leitungs- und Garagenneubauten zu vermeiden, wenn wir an Systeme denken, die neben dezentral erzeugtem Strom und Wärme auch Infrastruktur für als Stromspeicher nutzbare E-Autos und E-Carsharing umfassen.

Gemeinsam gelingt es schneller

Die Stadt Biel/Bienne geht voran: Nach Bau von Neumarktbrücke und Fernwärmeleitungen setzte sie 2022 ein paar zusätzliche (Mini-) Bäume in Bubenberg-Strasse und Logengasse und schotterte am Oberen Quai bisher asphaltierte Gehwegbereiche. Das hilft nicht nur, dass dort langsamer fahrende Autos weniger Energie verbrauchen und mehr Regenwasser versickern kann. Gedeihen die Bäume, wird deren Laub in ein paar Jahren auch die Umgebung kühlen und CO2 abbauen helfen.

Dass mit einer auf Mobilität und Umfeldgestaltung erweiterten Quartiererneuerung noch mehr erreichbar wird, zeigen die Bieler Sommerinseln: Z.B. könnte das Umparken von Autos in wenig genutzte Einstellhallen wie bspw. die nur zu 50% ausgelasteten Einstellhallen im Flora Carree helfen, bisher durch „Stehzeuge“ blockierte Flächen für Bäume, Aufenthalts- und/oder wasserdurchlässige Bereiche zu gewinnen. Was in weiter erwartbaren Glutsommern die Hitze für alle erträglicher machen würde. Und wer weiss: Vielleicht staut bald einmal ein Kasimir Blaumilch in der Sommerhitze den Schüsskanal zu Bieler Zentralbädern auf…Les Bains Centrales de Bienne… Ca serra trop Bienne!

Bei den Bieler LabCity Days konnte ich mich im Herbst 2022 mit Akteuren von Energie-, Mobilitäts-, Stadt-, und Bildungsinstitutionen vernetzen. Hausverwaltung Roth und Mobility-Genossenschaft unterstützen inzwischen das Abklären von Fragen zu nachhaltigeren Energie- und Mobilitätsangeboten. Die SANU-Stiftung ist offen, im Rahmen von Nachhaltigkeits-Fortbildungen weitere Fragen abklären zu helfen.

Trotzdem bemerke ich, dass mein Ziel, eine Blaupause für ähnliche Quartiere in Biel/Bienne zu erarbeiten, ohne eine breitere Abstützung und Vernetzung des Projektes im Flora-Carree wohl kaum erreichbar ist. Weil dazu nötige Schritte auch für mich als erfahrenen Planenden zu umfangreich sind. Daher suche ich nun Engagierte, die wie ich Leben in ihrem Quartier rasch nachhaltiger gestalten wollen. Und sich auf dem Weg dorthin gegenseitig unterstützen wollen. Alle meine bisherigen Projekte zeigten mir: Nachhaltiger werden? – Gemeinsam gelingt’s schneller!

Text:

Helmut-Mario Reiter ist Bauassessor und Dipl.-Ing. für Raumplanung. In 40 Berufsjahren wirkte er als Verkehrsplaner in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er liebt es, bei seinen Arbeiten in interdisziplinären Teams nachhaltige Mobilitätsinnovationen vorzubereiten, mit Betroffenen weiterzuentwickeln und umzusetzen.

Bild: Bidirektionale Ladestation: Damit können ein Elektrofahrzeug und ein mit einer sogenannten " Poverbox" - Schnittstelle austerüstetes Photovoltaik - Haus wechselweise als Stromquelle oder als Pufferspeicher fungieren.
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