Was wir tun und was wir unterlassen, hat viel mit Werten zu tun. Es gibt Verpflichtungen, deren Handlungen sich nicht immer mit unseren Werten decken. Oder wir sind in etwas hineingerutscht, das wir eigentlich gar nicht wollten und realisieren dies erst im Nachhinein – wenn wir uns Zeit nehmen, in uns hinein horchen. Ein Sophrologe gibt Einblick, wie wir die uns wichtigsten Werte kennen lernen können und wie das zu einem authentischen, zufriedenen Leben beiträgt.
Der Begriff ‚Wert‘ ist verwandt mit „werden“, das entstehen, geschehen bedeutet. Etymologisch wird er als Geltung, Bedeutung habend, geschätzt, kostbar, lieb, beschrieben. Natürlich meint er auch Preis, Wertschätzung und bezieht sich auf ein meist in Geld ausgedrücktes Äquivalent eines Gegenstandes, einer Dienstleistung. Güter besitzen einen materiellen oder immateriellen Wert, zugeschrieben einer sogenannten Marktlogik oder der individuellen Vorliebe, die verbunden ist mit einer persönlichen Geschichte, einem Erlebnis, etwas, das einen geprägt hat und das Freude, vielleicht sogar Glück bringt. Dieses oder jenes ist es mir wert, anderes erscheint mir von geringem Wert oder erachte ich gar als wertlos.
In diesem Text geht es um die zuerst erwähnte Bedeutung und die Begegnung mit unseren eigenen Werten.
Werte lassen sich erfühlen
Max Scheler (1874 – 1928), deutscher Philosoph und Begründer der Axiologie, spricht von einem Wertgefühl, das intuitiv erlebt werden kann, bevor die Bedeutung, z.B. einer Sache, verstandesmässig ergründet wird. Die Axiologie, ein nicht alltäglicher sperriger Begriff, wird in der Philosophie verwendet und bedeutet „die Lehre von den Werten“. Scheler, in dessen Werken sich ein Streben nach Ganzheit zeigt, war der Meinung, dass Werte quasi erfühlt werden können, mit der Einkehr in sich selbst. Im Alltag fehlt uns oft diese Zeit – oder wir nehmen sie uns zu selten. Die Belastungen und Zerstreuungen sind vielfältig. Sie trüben oder verhindern diesen Blick auf uns selbst und die Frage: Was ist wirklich wichtig im Leben? Und genau dort, aber auch bei anderen, alltäglicheren Fragen, kommen Werte ins Spiel.
Der Literatur, Philosophie oder anderen Künsten zugeneigte Menschen propagieren oft den Aufenthalt und die Bewegung in der Natur, in der die Begegnung mit sich selbst, intuitive Einblicke in die eigene Wertehierarchie und in das Wesen des Lebens ermöglicht. Es ist diese Distanz zum Alltag, die beispielsweise bei einem Spaziergang entsteht und Antworten auf existentielle Fragen, Inputs zu einem gelingenden Leben oder auch Lösungen für kleinere und grössere Probleme liefern kann.Vorausgesetzt oder zumindest sehr förderlich ist eine gewisse Haltung der Offenheit. Auch ein Wert.
Gelingende Lebensführung durch Kenntnis der eigenen Werte
Die Erkenntnis, dass hinter jeder auch nur kleinsten Handlung ein Wert steckt, steigerte meine Wertschätzung, aber auch Achtsamkeit gegenüber dieser Tatsache. Wenn wir beispielsweise Hunger verspüren und zu einem Lebensmittel greifen, stellen sich stets Fragen, die mit Werten zu tun haben. Oder wenn ich einen Ausflug mache, den Kindern etwas erkläre, mir etwas kaufen möchte, in welchen Bereichen ich mich engagiere oder nicht, welcher Arbeit ich nachgehe usw. Überall und fortwährend sind wir konfrontiert mit Werten, mit Abwägen und Entscheiden. Oft geschieht das sehr schnell, manchmal auch unüberlegt oder routinemässig, da wir ständig die Komplexität reduzieren müssen. Wir machen es so, wie wir es immer schon gemacht haben, weil wir es so gelernt haben, weil es die Konvention so will. Diese Reduktion ist einerseits nötig, da wir ansonsten zu viel Zeit und Energie verwenden würden, andererseits birgt sie die Gefahr, sich stets auf denselben Trampelpfaden zu bewegen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und der Transfer in den Alltag bleiben dabei auf der Strecke.
Sich Zeit nehmen für sich selbst, Introspektion zu betreiben und die (Wieder-)Entdeckung der eigenen Werte erscheinen mir im zuweilen hektischen Alltag wichtig. Reflexion, Dialog aber auch achtsamkeitsbasierte, kontemplative Techniken können einem helfen, das intuitive Erleben des Wertgefühls in Bezug auf eine Sache, eine Frage oder das Leben ganz allgemein zu erlernen und zu fördern. In der Sophrologie beispielsweise – Wissenschaft der Ausgeglichenheit des Bewusstseins – gibt es Übungen, in denen im anschliessenden Gespräch Werte hinter den Empfindungen und Bildern gesucht werden. Diese lassen sich einerseits in konkrete Handlungen umsetzen, andererseits kann damit mental weiter gearbeitet werden.
Über die Werte, die einem wichtig sind, Bescheid zu wissen, diese mehr und mehr in den Alltag zu integrieren, ist bereichernd. Um herauszufinden, welche Werte das sind, gibt es nebst den oben beschriebenen Ansätzen eine einfache Übung: Wir stellen uns einen für uns perfekten Tag vor, malen uns ein 24 Stunden-Ideal in allen Details aus und schreiben das auf. So lassen sich einige Werte herauskristallisieren. Wenn ich mich beispielsweise am Morgen sehe, wie ich mit dem Tageslicht (ohne Wecker) erwache, verbergen sich darin Werte wie Freiheit, Flexibilität oder Natur. Sehe ich mich eher im Team oder alleine Tätigkeiten ausführen, kann das Aufschluss geben auf Werte wie Gemeinschaft, Kooperation oder Eigenständigkeit. Die Art und Weise wie wir den Tag verbringen, z.B. 9 Stunden in einem Büro arbeitend, enthält andere Werte, als wenn wir uns vor dem inneren Auge Situationen mit der Familie, mit Freunden oder die Mitarbeit bei Kampagnen vorstellen; deren Inhalte wiederum auf Werte hinweisen.
Im Netz finden sich diverse Werte-Listen, welche konsultiert werden können, um eine Übersicht zu bekommen und eine für den Moment stimmige Werte-Auswahl für sich selbst zu treffen.
Mit der Auseinandersetzung der Thematik, der einzelnen Werte, beginnen sich diese mehr und mehr im Leben zu manifestieren. Sie tragen zur Bewusstseinsentwicklung und Sinnhaftigkeit bei.
Beispiel einer Werte-Liste im Internet: https://www.values-academy.de/werte-lexikon/alle-werte/
Cayill Hofer, Sophrologe, Familienvater von zwei Töchtern, Sozialarbeiter, Teamleiter Sozialberatung bei Pro Senectute Kanton Bern und einiges mehr.
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