Wie wir mit uns selbst reden, ist Teil davon, wie wir unsere Grenzen leben. Oft sind wir nett, weil wir «Glaubenssätze» in uns hören. «Ich sollte..,». «Ich muss…». Das «Nett-Sein» jedoch braucht Energie. Vor lauter Gewohnheit kann es sein, dass wir diesen Energieverschleiss nicht wahrnehmen und «am Limit» laufen. Unsere Autorin sucht Spuren bis zurück in die Kindheit.
Um Grenzen leben zu können und mit unseren Ressourcen achtsam umzugehen, müssen wir unsere Grenzen zuerst einmal erkennen. Aber wie erkennen wir, was unsere Grenzen sind? Es braucht Raum, um in uns selbst zu lauschen. Machst du gerade das, was du wirklich tun willst? Ist es das, was dir ermöglicht, deine Bestimmung zu leben? «Lebst du dein Talent?», fragt uns eine Treppenstufe eines Bieler Bahnübergangs. Was macht es aus, dass wir diese feine, leise Stimme in uns oft nicht anhören oder ihr nicht Raum geben? Oder wenn wir es tun, ihr dann doch nicht folgen.
Hast du schon mal gelauscht, welche Sätze du dir selber sagst, wenn du etwas getan hast, das alles andere ist als «perfekt»? Was hörst du? Sätze wie «Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute» oder «Das hätte ich doch besser wissen müssen. Wie konnte ich nur!», melden sich häufig und ungefragt ganz von alleine. Man könnte sicher Bücher füllen, wenn wir unsere «Glaubenssätze» zusammentragen würden. Alle haben ihre Berechtigung, denn sie haben uns in unserer Kindheit oder sonst irgendwann in unserem Leben wichtige Bedürfnisse erfüllt, sozusagen unser Überleben gesichert. Insbesondere Kinder, die auf Erwachsene ihres Umfelds angewiesen sind, „glauben“ schnell und leben unbewusst viele dieser «Glaubenssätze». Wie schnell lernt ein Kind brav zu sein und zu gefallen, durch Sätze wie beispielsweise «wenn du dein Zimmer aufräumst, hat Mama dich lieb». Um sich Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Geborgenheit oder Liebe zu erfüllen, gehen Kinder mitunter weit, bis hin zur Selbstaufgabe, nur um nicht abgewiesen zu werden, um nicht «alleine auf dieser Erde» zu sein. Dieses Verhalten geschieht unbewusst. Und genau darum geht es: als erwachsener Mensch dieses unbewusste Verhalten zu erkennen. Es geht noch nicht mal darum, es zu verändern. Der allererste Schritt ist lediglich das Erkennen unserer «Glaubenssätze». Der zweite ist noch herausfordernder: das Anerkennen dieser!
Um herauszufinden, welche Stimme in uns «Glaubenssätze» rezitiert, ist der Satz von Gandhi hilfreich: «Not to confuse what’s habitual compared to what’s natural». Lausche nochmal in dich hinein. Ist dieser Satz, den du vielleicht gerade hörst, «Du solltest jetzt nicht entspannen, denn es gäbe noch so viel zu erledigen», wirklich deiner? Oder hast du ihn übernommen, weil er mal wichtig war; dir oder vielleicht deinen Eltern?
Ein Tipp: Wenn sich in diesen, wie ein Mantra in dir wiederholenden Sätzen, Worte wie «sollen, müssen, nicht dürfen» verstecken oder du sie ganz offensichtlich darin hörst = BINGO! Dann ist es ein «Glaubenssatz».
Ja, sie haben für unser Überleben gesorgt. Aber das war einmal. Heute können wir unsere Bedürfnisse durch andere Strategien erfüllen. Nehmen wir meinen «Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute»-Satz. Er trimmte ein Mädchen dazu, immer das Beste zu geben, ein «braves Mädchen» zu sein. Aber was erfülle ich mir mit dem «Abrackern» heute? Wieso verschiebe ich es nicht auf morgen? Weil da immer noch eine Angst ist, nicht mehr dazu zu gehören und alleine zu sein. Ich erkenne und wähle also als Erwachsene neu bewusst die Strategie, liebevoll (und bedingungslos) mit mir selbst zu sein. Ich brauche jetzt Ruhe und Erholung, lasse die Arbeit ruhen und fahre morgen damit fort, im Vertrauen, dass es keine Konsequenzen haben wird, denen ich nicht gewachsen bin.
Aber wieso geht das oft trotzdem nicht, das mit den neuen anderen Strategien? Das ist unterdessen neurologisch bewiesen. Wir können also aufhören, uns selbst zu peitschen. Die Amygdala steuert dies. Da sind wir machtlos. Sie ist schneller als wir denken können. Die Amygdala ist eine Schaltstelle in unserem Gehirn. Sie funktioniert sozusagen wie ein «Sicherheitscheck». Wir können uns in dem Sinne noch so viel vornehmen, uns bei einem nächsten Mal anders zu verhalten. Die Amygdala reagiert nach alten abgespeicherten Mustern. Wenn etwas durch diesen kleinen mandelförmigen Teil in unserem Gehirn als gefährlich eingestuft wird, also alte vermeintlich «überlebensnotwendige» Bedürfnisse nicht erfüllt werden, werden sofort alle Notfallregister gezogen und wir reagieren. Nicht zu verwechseln mit agieren.
«Freiheit ist die Pause zwischen Reiz und Reaktion», schrieb der amerikanische Psychologe Rollo May. Schaffen wir es, mit unserer Reaktion einen Bruchteil einer Sekunde länger zu warten als gewohnt, rücken wir der Freiheit ein kleines Stückchen näher. Wer mehr darüber lesen mag, dem / der sei das Buch der Kinderärztin und GFK-Trainerin Brita Hahn, «Mama, was schreist du so laut?» empfohlen.
Glaubenssätze können uns also «ans Limit» bringen, wenn wir durch sie Normen hinterherrennen, die gar nicht unsere sind, und uns deshalb unglaublich abrackern. Und nun? Um etwas so Zähes verändern zu können, braucht es erst einmal die recht unangenehme «Annahme» des «Nicht-Gewünschten». Ein «Ja» zu dem, wozu ich eigentlich ein «Nein» habe. Liebevoll annehmen. Das bedeutet, liebevoll mit uns selbst reden, wenn wir hören, wie gewaltvoll wir gerade wieder mit uns selbst sprechen. Das nenne ich «bedingungslose Liebe» und ein würdevoller Umgang mit uns selbst und unserem «Limit».
Text:
Onorina Magri ist Coach für Gewaltfreie Kommunikation und Mediatorin und forscht gerne zum Thema «bedingungslose Liebe». Sie gibt Kurse in Gewaltfreier Kommunikation, in denen «Glaubenssätze» oft thematisiert werden. Das Thema «am Limit» ist eine Einladung zur Selbstempathie.
Illustration:
Lilo Magri, Inspiration: Stefan Stutz „Wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt“.