Was können Wohnsituation, Zivilcourage und Benevol-Arbeit gemeinsam für abgewiesene Asylsuchende leisten? Und wer kann davon profitieren? Diese Fragen werden hier anhand der persönlichen Erfahrung des Autors beantwortet. Und es kommen Betroffene zu Worte.
Viele abgewiesene Asylsuchende aus Ländern, in welche eine Rückkehr in absehbarer Zeit weder möglich noch zumutbar ist, leben jahrelang unter unwürdigen Verhältnissen in kollektiven Notunterkünften mit durchschnittlich 8 Franken Nothilfe pro Tag und regelmässigen Polizeikontrollen. Dies betrifft sowohl Junge, Kranke wie auch Familien mit Kindern, welche zum Teil sogar den Schulunterricht intern besuchen. Pfarrer Daniel Winkler, der sich bei Riggi-Asyl engagiert, sagt zur Situation der Langzeitnothilfe bei Menschen, die aus Ländern mit erschwerten Rückkehrbedingungen kommen – Tibet, Eritrea, Afghanistan, Iran usw.: „Die desperate Situation führt dazu, dass die betroffenen Menschen entweder depressiv und suizidal werden oder aber sich völlig gehen lassen. Beides ist für unsere Gesellschaft wenig wünschenswert.“ Viele von ihnen sind arbeitsfähig und -willig; der Antritt einer regulären Stelle oder Ausbildung ist ihnen aber verwehrt. Seit die ORS Gruppe vom Kanton mit der Betreuung der Asylbewerber*innen beauftragt worden ist, sind die Betroffenen sogar nicht mehr haftpflichtversichert.
Steuergeld-Verschwendung für „Sicherheit“
Die Umstrukturierung des Asylwesens im Kanton Bern erfolgte im Jahr 2019. Viele über Jahre hinweg erfolgreiche Partner (Heilsarmee, Caritas, Asyl Biel und Region) verloren ihren Leistungsvertrag mit dem Kanton und den Gemeinden. ORS übernahm, was zu Streichungen von Integrationsprogrammen führte. Man merkt vor Ort und Stelle in den Kollektivunterkünften, dass hier unter dem Stichwort „Sicherheit“ der Grossteil der aufgewendeten Mittel für polizeiliche Massnahmen und nicht für Begleitmassnahmen eingesetzt wird – eine Verschwendung öffentlicher Steuergelder und eine Situation, die in Zukunft weitere hohe Sozialkosten erwarten lässt. Prof. A. Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Uni Bern, sagte diesbezüglich kürzlich in einem Interview in der Wochenzeitung WOZ: „Früher wurden die Zentren von Hilfswerken geführt, heute wartet ein Securitas am Eingang. Mehr Betreuung, weniger Sicherheit wäre besser.“
Wie werden wir von unseren Nachkommen beurteilt werden?
Politiker und Beamte derweil interpretieren die neuen Gesetze sehr repressiv. Sie bezeichnen auf Bundesebene unsichere Länder nach undurchsichtigen Kriterien als sicher und verweigern damit humanitäre Aufnahmen. Dies mit dem erklärten Ziel, Pullfaktoren zu vermeiden. Auf Kantonsebene schliesslich werden die Abgewiesenen möglichst unfreundlich behandelt. Damit will man, wie ich bei den Kantonsbehörden erfahren habe, freiwillige Rückkehren erzwingen.
Die Verantwortlichen glauben in der momentanen politischen Landschaft noch längere Zeit eine Mehrheit hinter sich zu wissen und werden wohl wie bei „Kinder der Landstrasse“, die damals auch als gesetzeskonform galten, erst aus historischer Sicht Rechenschaft ablegen müssen.
Doch wie kann die Zivilgesellschaft sich heute dagegen wehren und ein würdiges Dasein für die Betroffenen sicher stellen?
Private Unterbringung im Kanton Bern
Im Kanton Bern gibt es seit über einem Jahr die Möglichkeit, Einzelpersonen oder Familien legal privat unterzubringen. Für Einzelpersonen genügt ein freies Zimmer im eigenen Haushalt, bei Familien eine Wohnung im selben Haus und die Bereitschaft, den Grundbedarf privat aufzubringen. Es gibt aber auch Organisationen und Einzelpersonen, welche helfen können. Die Nothilfe soll gemäss Grossratsbeschluss (Der Bund vom 9.9.20) auch für privat Untergebrachte vom Kanton übernommen werden. Der Berner Sicherheitsdirektor wehrt sich aber dagegen und will eine zweite Debatte erwirken.
Es ist aber schon viel wert, dass die private Unterbringung abgewiesener Asylsuchender im Kanton Bern überhaupt möglich ist. Wer sich dafür interessiert, wird auf Anfrage vom Migrationsdienst des Kantons zu einem Gespräch eingeladen – zusammen mit der betreffenden abgewiesenen Person. Dort wird dann ein Vertrag abgeschlossen. Im Kanton Bern sind aktuell über 100 Personen privat untergebracht.
Persönliche Erfahrung
Als das Bieler Projekt Haus pour Bienne – ein Begegnungsort, wo freiwilliges Engagement gebraucht wurde – startete, habe ich mich sehr schnell dafür interessiert. Ich bekam somit die Möglichkeit, mich wieder mit jungen Leuten zu beschäftigen, was ich aus meiner Erfahrung als Dozent bei der technischen Fachhochschule gut kannte und seit der Pensionierung nicht mehr ausleben konnte. Sofort habe ich mich zur Verfügung gestellt als Tagesverantwortlicher. In dieser Tätigkeit suchte ich Lösungen, um die Integration, und schlicht das Leben der Asylbewerbende zu verbessern. Leider erwies sich das als unmöglich oder sehr schwierig, da die aktuelle Interpretation der Gesetze den Weg zur Integration total versperrt – bis sich die Lage im Kanton Bern veränderte und ich einen Asylbewerber bei mir und meiner Frau privat unterbringen konnte. Diese Lösung hat viele Vorteile für beide Seiten. Es fördert den Austausch zwischen den Generationen und Kulturen. Wenn man über genügend Platz verfügt, ist es eine schöne Lösung, voneinander zu lernen. Es sei nicht verschwiegen, dass es auch Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten geben wird – aber an diesen wächst und reift man. Sie halten einen geistig jung! Mein Motto mit 76 Jahren: „Jeden Tag eine Aufregung“.
Bild:
Ulrich Burri
Stimmen von Betroffenen
Weldegabriel aus Bettenhausen* :
„Wir zählen 12 Beine, zugehörend zu zwei Menschen, einer Katze und einem Hund. Ich, aus Eritrea kommend, habe keine Angst vor Tieren, ich liebe Tiere. Das ist kein Problem. Aber die Haare sind es. In Eritrea leben die Hunde nicht in den Wohnungen. Sonst leben wir gut zusammen, alle vier. Wenn ich noch arbeiten könnte und am Abend müde nach Hause komme, wäre es besser. Im Gespräch über das Zusammenwohnen sind wir auf das Teilen gekommen. Wohnraum teilen, das Essen teilen, den Garten gemeinsam nutzen. Daraus heraus entstand eine Idee. Wenn nun in Biel gebaut wird, könnte doch die Möglichkeit, mit Migranten geteiltes Wohnen zu ermöglichen, mitgeplant werden.“
Yeshi* aus Brienz* :
„Wenn man privat wohnt, muss man sich nicht jeden Tag ums Unterschreiben kümmern und muss sich nicht viele Dinge wie Küche oder Toilette und Anderes teilen. Man fühlt sich etwas sicherer als im Rückkehrzentrum zu wohnen. Ich denke, mehr Möglichkeiten für die Dinge die man gerne machen würde und andere Leute kennen zu lernen.“
Dolma* aus dem Kanton Bern :
„Im April 2020 konnte ich nach vielen Jahren in einer einsperrungsähnlichen Situation des Nothilferegimes endlich einen langen und friedlichen Atemzug der Freiheit und des Glücks erleben. Dieser Tag ist für mich wahrscheinlich der Tag der Freiheit, denn eine befreundete Familie hat mich privat untergebracht. Seitdem bin ich wieder ein Mensch. Für mich ist diese mitfühlende Familie ein wahrer Bote Gottes. Auch wenn ich meine blutsverwandten Familien hier nicht sehen kann, habe ich hier wieder eine Familie. Ihre Fürsorge, Sorge und Zuneigung sind unermesslich.
Nachdem ich sie kennengelernt hatte, gewann ich Vertrauen, fühlte mich sicher und lernte eine Menge über viele Dinge. Durch sie habe ich viele Menschen kennengelernt und meine Integration in die Schweizer Gemeinschaft ist jetzt sehr gut.
Mit diesem Bericht möchte ich mich bei meiner Gastfamilie und anderen herzlich bedanken. Sie begleiten mich auf diesem schwierigen Lebensweg.“
Wohnen in Biel aus der Sicht eines bald 6-jährigen abgewiesenen Flüchtling-Kindes.
„Ich heisse Passang* und werde im Oktober 6 Jahre alt. Meine kleine zweijährige Schwester und ich sind in Biel geboren. Bis letzten Dezember habe ich in verschiedenen Asylanten-Unterkünften gelebt. Wenn ich Spielfreunde kennen lernte, mussten wir wieder packen und andere Leute kennen lernen. Das Leben war nicht schön. In der Nacht habe ich viel geweint, weil die Polizei Leute geholt hat. Holt die Polizei uns auch? Ich hatte viel Angst.
Meine Eltern haben viele Freunde, die Geld gesammelt haben. Jetzt wohnen wir in einer Wohnung mit grossem Garten. Wir essen Gemüse aus dem Garten und die Leute im Haus sind sehr lieb. Ich möchte jetzt schon in den 2. Kindergarten, muss aber noch warten bis nach den Ferien. Nachts weine ich nicht mehr so viel.“
Michael* im Kanton Bern :
„Ich wohne seit 7 Jahren im Kanton Bern. Die ersten 2 Jahre durfte ich die Schule besuchen und bin bis B1 gekommen. Ich war fest motiviert, die Lehrer hatten mich empfohlen, ich habe bis zu 20 Wörter pro Tag gelernt. Seit der Abweisung bin ich nicht mehr so motiviert. Ich bin enttäuscht, dass die Schweizer Regierung mir nicht einmal einen F-Ausweis gegeben hat. Sie haben gesagt, ich sei unglaubhaft – dabei war der Übersetzer nicht gut. Ich war in genau derselben Lage wie viele meiner Freunde, welche ein Lehre machen durften. Ich weiss nicht, wie es weiter geht, da ich zu Hause ins Gefängnis müsste.“
* Alle Orte und Namen zum Schutz der Betroffenen geändert.