Ob Aufhebung der Sklaverei, Frauenstimmrecht oder Tierschutz, immer wieder ging und geht es in der Geschichte menschlicher Entwicklung um die Frage: darf man das? ist das fair? Ist das gerecht? Beim Konzept der Nachhaltigkeit handle es sich im Kern, so Uwe Schneidewind, um eine erweiterte Auffassung von dem, was wir als „gerecht“ bezeichnen.
Gerechtes Handeln bezieht sich immer auf ein Gegenüber. Selbst wenn wir selbstgerecht Handeln haben wir eine Bezugsgrösse gewählt, nämlich uns selbst. Doch meistens beziehen wir uns auf ein Gegenüber. Das kann ein Partner eine Partnerin sein, aber auch eine andere Gruppe von Personen. Der Gerechtigkeitsbegriff wurde im Verlauf der Geschichte auf immer grössere Einheiten der Gesellschaft übertragen. 2017 schrieb Stephan Lessenich das Buch „Neben uns die Sintflut“. Eindrücklich beschreibt er darin die unfaire, strukturell verankerte Abschiebung sozialer und ökologischer Kosten unseres westlichen Lebensstils auf Länder des globalen Südens.
Doch nicht nur in der geographischen Dimension findet diese ungerechte Überwälzung von Lasten und Kosten statt, längst nehmen wir dafür auch Anleihen in der Zukunft. Die heute verbrauchten Naturgüter werden nachfolgenden Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Und mit dem Klimawandel betrifft dieser Verbrauch nicht mehr nur die Ressourcen, sondern wir zerstören mit unserem aktuellen Lebensstil auch die Rahmenbedingungen für ein gutes Leben.
So hat auch der Begriff Klimagerechtigkeit eine geographische und eine zeitliche Dimension. Unser Lebensstil zerstört die Lebensgrundlagen von Menschen (und Tieren) in anderen Regionen der Welt und der Generationen, die nach uns kommen. Die Sintflut findet also nicht nur neben uns, sondern auch nach uns statt. Unser aktueller Lebensstil ist also weder gerecht gegenüber unseren Mitmenschen noch enkeltauglich, sondern zutiefst egoistisch.
Was ist zu tun? Das Konzept der Gerechtigkeit ist auf eine globale und generationenübergreifende zeitliche Dimension auszudehnen. In einer solchen Welt gibt es kein Aussen mehr, das übervorteilt und ausgebeutet werden kann, gegen das man gewinnen kann. In einer solchen Welt hat Konkurrenzdenken keinen Platz mehr. Wir müssen lernen zu kooperieren. Nicht um gegen andere zu bestehen, sondern um gemeinsam zu gewinnen. Die Stichworte dazu lauten: Suffizienz, Ressourcenschutz, Kreislaufwirtschaft, Aufbau und Erhalt resilienter Lebenshaltungssysteme.
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Lukas Weiss ist Kulturschaffender, Umwelt-Erwachsenenbildner und Absolvent eines Masterstudiums für gesellschaftliche Transformation. Er ist Vorstandsmitglied der Vision 2035. Präsident der Grünen Seeland-Biel/Bienne, sowie Leiter der Zukunftswerkstatt und Mitglied des Gemeinderates von Täuffelen-Gerolfingen. lukasweiss.ch
Foto:
Andreas Bachmann, anlässlich der nationalen Klimademo vom 22.10.21 in Bern.